Meinung

Eine Reise nach Sotschi - Olympisches Angedenken vier Jahre danach

Vor vier Jahren war die Russische Föderation selbst Gastgeberin der Olympischen Winterspiele. Schon damals war dies für deutsche Politik und Medien Anlass zu Hassausbrüchen. Ein Besuch in Sotschi heute zeigt, wie lächerlich die damalige Berichterstattung war.
Eine Reise nach Sotschi - Olympisches Angedenken vier Jahre danach

von Gert-Ewen Ungar

Es war eine spontane Idee. Wir hatten ein paar Tage Zeit und entschlossen uns, Sotschi zu besuchen. Der Moment konnte kaum glücklicher gewählt sein, denn aktuell laufen die Winterspiele in Pyeongchang in Südkorea. Es war eine gute Gelegenheit, mit einem Besuch vor Ort die vorangegangenen Winterspiele auch in ihrer politischen Dimension in Erinnerung zu rufen.

Bei den diesjährigen Spielen ist die russische Flagge wegen des Vorwurfs des Staatsdopings verboten. Der Grund für diese Entscheidung ist inzwischen mehr als nur umstritten. Schon der Begriff "Staatsdoping" ist ein interessantes Wording, suggeriert es doch, privates Doping wäre in irgendeiner Weise weniger systematisch und irgendwie besser. Zudem suggeriert es auch, und das dürfte wohl der Clou an der ganzen Sache sein, Russland wäre ein autoritärer Staat, der aus Gründen des eigenen Ansehens die Gesundheit seiner Athleten opfern würde. Und der Begriff suggeriert weiterhin, dass es zwischen der Sowjetunion und der Russischen Föderation mehr Kontinuitäten als Brüche gibt.

Mit anderen Worten, der Begriff "Staatsdoping" ist in keiner Weise beschreibend, sondern verleiht der Geschichte über leistungssteigernde Mittel im Sport einen zusätzlichen Spin.

Inzwischen wird jedoch immer deutlicher, dass es sich bei der Sanktionierung der russischen Athleten und der russischen Flagge mehr um eine politische denn um eine der Seriosität des Sports und dem sportlichen Wettbewerb verpflichtete Entscheidung handelt. Die Vorstellung, Sport und Politik seien getrennte Sphären, ist eine völlige Illusion - insbesondere in Zeiten einer geopolitischen Neuordnung der Welt.

Hetzerische Olympia-Berichterstattung als Begleitmusik zum Maidan-Putsch

Die politische Dimension der Spiele war daher vor vier Jahren kaum anders. Damals fanden die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi statt. Man konnte die russischen Athleten schlecht aussperren oder die russische Fahne verbieten, schließlich war Russland das Gastgeberland.

Daher griff man zu anderen Mitteln. Es war das Jahr 2014, in der Ukraine überschlugen sich parallel zu den Spielen die Ereignisse. Auf dem Maidan fielen Schüsse, denen sowohl Vertreter der staatlichen Ordnungsmacht als auch Demonstranten zum Opfer fielen. Das entstehende Chaos bereitete den Boden für den Putsch, der nach westlicher Lesart ein demokratisches Aufbegehren, ein mutiger zivilgesellschaftlicher Umsturz war. Nach Lesart der Fakten war es jedoch einfach ein Putsch.

Ausgelöst davon drängte die Krim auf ein Referendum über ihren künftigen Status, was letztlich zur Abspaltung von der Ukraine und dem anschließenden Anschluss der Krim an die Russische Föderation führte.

Dieser Vorgang wird im Mainstream bis heute unbeirrt unter dem Begriff "Annexion" zusammengefasst, war faktisch richtig betrachtet jedoch eine Sezession. Auch dieses Wording ist politisch motiviert und hat mit den Tatsachen und den damaligen Abläufen nichts zu tun.

Entsprechend den Entwicklungen war die Berichterstattung über die Winterspiele in Sotschi in den deutschen Mainstreammedien von einer Gehässigkeit, zu der nur eine Presse fähig ist, in der die Kontinuitäten im Übergang vom Reich zur Republik personell, vor allem aber strukturell weitgehend gewahrt blieben.

Vom deutschen Journalismus bekam Putin Größenwahn diagnostiziert. Die Winterspiele in subtropischem Klima stattfinden zu lassen, war den deutschen Schreiberlingen trotz der dazu fehlenden medizinischen Qualifikation eine küchenpsychologische Ferndiagnose wert.

Journalistische Ahnungsarmut nicht nur geografisch, sondern auch ökonomisch

Dabei ist es einfach so: Die Region um Sotschi ist nicht nur wunderschön, sie bietet auch die einmalige Möglichkeit, unten am Strand unter Palmen den Blick über das Schwarze Meer schweifen zu lassen und eine kurze Fahrt später in den Hängen des Kaukasus Ski zu fahren. Das hat mit geografischer Lage ganz viel, mit Putins psychischer Disposition reichlich wenig zu tun. Der Ort war einfach unter dem Aspekt der sich dort bietenden Vielfalt und der damit verbundenen Möglichkeiten ausgesprochen gut gewählt.

Im Hinblick auf den finanziellen Aspekt hat Russland allerdings tatsächlich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Aber auch hier greift das Argument des Größenwahns nur dann, wenn man von Makroökonomie wenig Ahnung hat, was allerdings auf den Mainstream des deutschen Journalismus weithin zutrifft.

Die Schwarze Null und die Tugend des Sparens waren damals schon Thema. Der Mainstream beeilte sich, seinen Lesern zu versichern, Sparen und die Schuldenbremse seien ein Heilmittel gegen allzu große Ausgabenfreudigkeit der Regierungen. Es sei auf jeden Fall besser, wenn sowohl der Staat als auch die Privaten sparen, bis es quietscht. Investitionen in großem Umfang? Bloß nicht! Wir vererben lieber die Forderungen an unsere Kinder, auf denen diese sitzen bleiben werden, als eine gute Infrastruktur, intakte Straßen, Brücken, Schulen und ein funktionierendes Gemeinwesen. Das verkauft der Mainstream unter dem Wording "Generationengerechtigkeit".

Dass der Preis für Geld, also der Zins, gegen Null geht, wenn alle gleichzeitig sparen, Geld also faktisch nicht nachgefragt wird, das erschließt sich dem Mainstream nicht. Mario Draghi ist schuld. Der ist Italiener und niemand weiß besser als der deutsche Mainstream, wie Italiener so sind.

Der deutsche Qualitätsjournalismus kann daher auch keinen Zusammenhang zwischen all dem und der immer noch tobenden Euro-Krise sehen. Von der Übernahme von Verantwortung für das verantwortungslose Geschreibsel ist er daher himmelweit entfernt.

Die zunehmenden Fliehkräfte in Europa sind nicht zuletzt einem makroökonomisch ungebildeten Mainstream zu verdanken, der sich zu Propagandazwecken von der Finanzwirtschaft und anderen Lobbygruppen instrumentalisieren hat lassen und von deren unsinnigen Thesen intellektuell völlig überrollt wurde.

Region in und um Sotschi blüht auf

Dass Sparen gesamtwirtschaftlich eben gerade keine Tugend ist und sich große, staatliche Investitionen lohnen, wird in Sotschi deutlich. Die Region prosperiert. Von dem in den deutschen Medien vorhergesagten Verfall der Austragungsstätten ist in Sotschi nichts zu sehen. Im Gegenteil werden die Anlagen genutzt, die Skilifte und Seilbahnen sind gut ausgelastet. Sotschi ist ein Zentrum des russischen Tourismus. Das Stadion in Sotschi wird auch zur Fußball-WM wieder ins Rampenlicht rücken, denn Sotschi ist selbstverständlich Austragungsort. Die Infrastruktur ist schließlich vorhanden. Sotschi ist im Grunde sichtbares Beispiel dafür, welch ökonomischen Unsinn deutsche Gazetten verbreiten. Man sollte sich das unbedingt selbst anschauen.

Ein weiteres Thema, das der deutsche Mainstream und die deutsche Politik als dunklen Schatten über dem Austragungsort Sotschi aufziehen ließen, war die Sorge um die Menschenrechte in Russland. Insbesondere das Wohl der vor wenigen Jahren von Politik und Medien ins Herz geschlossenen Homosexuellen rückte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, denn in Russland war im Jahr 2013 das so genannte Anti-Gay-Propaganda-Gesetz in Kraft getreten.

Zur Erinnerung: Das Gesetz ist eine Ergänzung des schon zuvor bestehenden Jugendschutzgesetzes, das Werbung für Prostitution und Pornografie gegenüber Minderjährigen verbietet. Zusätzlich eingefügt wurde lediglich noch Homosexualität. Der Aufschrei war groß. Es wurden dunkelste Szenen ausgemalt. Homosexuelle würden in Russland grausam unterdrückt, würden beständig Opfer von Gewalt, könnten nicht zur Polizei, weil sie auch dort Verfolgung fürchten müssten. Es war kein Szenario zu blöd, um nicht aufgegriffen und dunkel-düster ausgemalt zu werden. Differenzierung ist keine Stärke des deutschen Journalismus.

Jedenfalls wurde allen russlandnahen Vokabeln und auch dem Präsidentennamen stereotyp das Attribut "homophob" vorangestellt. Ob es tatsächlich stimmt, ob es überhaupt sinnvoll und stichhaltig ist, ein ganzes Land oder einen hohen politischen Repräsentanten mit einem derartigen Attribut zu belegen, interessierte niemanden. Hauptsache, der Spin stimmte.

Joachim Gauck inszeniert sich als Ritter in regenbogenfarbener Rüstung

Die gesamte Hysterie gipfelte darin, dass der damalige Bundespräsident Joachim Gauck nicht nach Sotschi fuhr, unter anderem um seiner Solidarität mit den Schwulen und Lesben Ausdruck zu verleihen. Es soll Leute gegeben haben, die ihm das sogar abgenommen haben. Es gibt immerhin keine Verpflichtung zur politischen Klarsichtigkeit.

Wäre Gauck jedoch gefahren, hätte er einen netten und unterhaltsamen Abend im Cabaret Mayak haben können. Das Cabaret Mayak ist eine recht große Schwulenbar und liegt in der zentralen Einkaufsmeile in Sotschi. Eintritt für Männer 300, für Frauen 500 Rubel. Ein Schnaps ist im Eintritt von umgerechnet etwa vier respektive 5,20 Euro mit drin. Geboten wird dort eine hochklassig trashige Show. Alles, was Russland an namhaften Travestiekünstlern zu bieten hat, war schon im Mayak.

Hätte der Bundespräsident großes Glück gehabt, wäre er dort eventuell auf die großartige Zsa Zsa Napoli getroffen und hätte mit ihr gemeinsam seine durch DDR-Sozialisation sicherlich doch heimlich vorhandene Liebe zu Lenin musikalisch bekennen können.

Seinen Rausch hätte der Bundespräsident am Strand ausschlafen können. Es gibt in Sotschi einen schwulen FKK-Strand. Seine präsidiale Männlichkeit der Schwarzmeer-Sonne aussetzend hätte Gauck darüber nachdenken können, warum die Diskrepanz zwischen Medienberichterstattung und Fakten in Deutschland so übergroß ist und ob das nicht die Demokratie ganz grundlegend gefährdet. Reisen bildet. Hätte Gauck von der sich bietenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, wäre es ihm und den ihn begleitenden deutschen Medien erspart geblieben, einen derartigen Unsinn über vermeintliche Homophobie in Russland schreiben zu müssen.

Reisen bildet

Allerdings ging es wohl weder dem Bundespräsidenten und anderen Politikern noch den Medien darum, ein halbwegs realistisches Bild der Situation von Schwulen und Lesben in Russland zu zeichnen. Es ging im Gegenteil darum, die westliche queere Community und diejenigen, die mit ihr sympathisieren, zu instrumentalisieren, systematisch aufzuhetzen und einen Spin gegen Russland zu erzeugen. Das hat gut funktioniert, denn wenn würde man heute eine Umfrage zum Thema homophobe Länder machen, kann man sicher sein, dass Russland mit als Erstes genannt wird. Dabei stimmt es einfach nicht.

Die absolute und tiefe Unkenntnis im Hinblick auf queeres Leben in Russland weiter Teile der Bevölkerung ist lediglich gut gemachter PR-Arbeit zu verdanken, deren Ergebnis unter ethischen Gesichtspunkten allerdings eine Katastrophe ist. Es wurde absichtsvoll ein Keil zwischen die Kulturen getrieben, dabei ein bisschen mit der Regenbogenfahne gewedelt, die dadurch von einem Zeichen der Toleranz und Vielfalt zu einem Zeichen für politische Vereinnahmung und westlichen Werteimperialismus wurde.

Man kann daher nur raten: Reist! Reist, gewinnt selbst einen Eindruck und tauscht euch aus. Eine Reise nach Sotschi wäre eine gute Gelegenheit, sich selbst aufzuklären. Die Region ist wunderschön und von unglaublicher Vielfalt. An ihr zeigt sich deutlich, wie falsch, einseitig und auf Konfrontation zugeschnitten die deutsche Berichterstattung und deutsche Politik gegenüber Russland war und ist.

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