Emiliano Zapata und sein lange unbekannter Brief an Lenin
von Günter Buhlke
Die seit 1910 in Mexiko tobende Revolution unter der Losung "Tierra y Libertad" (Land und Freiheit) ging ihrem Ende zu. Die schlecht ausgerüsteten Bauernarmeen unter Fransisco Pancho Villa und Emiliano Zapata waren erschöpft. Auf allen Seiten war die Zahl der Opfer hoch. Die Zahl der Toten wird auf 1,5 Millionen geschätzt. Zorn und Wut trieben die Aufständischen an.
Ende Januar 1919 ritt ein Bote Zapatas nach New Orleans. Sein Auftrag: Einen Brief an Lenin zum nächsten nach Europa abgehenden Schiff zu bringen. Die Häfen Veracruz und Tampico wurden zu dieser Zeit noch nicht regelmäßig von Fracht-Postschiffen angelaufen.
Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Mexiko und der UdSSR im Jahr 1974 erfuhr erstmals die Öffentlichkeit über die Geschichte des Briefes, nachdem die sowjetische Botschaft in Mexiko-Stadt ein Bulletin darüber herausgegeben hatte. Erste sowjetische Botschafterin in Mexiko war die bekannte Revolutionärin Alexandra Kollontai.
Hintergrund des damaligen Briefes waren die Revolutionen, die in beiden Ländern stattfanden. Seit Generationen bestimmten miserable Zustände das Leben der Kleinbauern und der Landarbeiter sowohl in Mexiko wie auch in der späteren Sowjetunion. Nur mit bewaffneten Aktionen schien die Situation veränderbar zu sein. In beiden Staaten tobten die Kämpfe über Jahre. Ein Ende musste gefunden werden, aber wie?
Die Revolutionen in Russland und Mexiko
Die Nachricht von Lenins Dekret "Über den Frieden" ging damals um die Welt. Soweit bekannt, ging es im Brief um Alternativen, vor allem aber um Voraussetzungen, den Krieg zu beenden, und um die Frage, wie das Leben der Kleinbauern und der Landarbeiter aus eigener Kraft zu verbessern sei. Zapata sah die Lösung in einer Ausweitung der Landverteilung im Rahmen des bestehenden Ejido-Systems, das den Kleinbauern mehr eigenes Land gab, das zwar vererbbar, aber nicht verkäuflich war.
Lenin sah die Einrichtung von Genossenschaften (Kolchosen) als Lösungsweg. Beide wollten den Bauern Landeigentum zukommen lassen. Ein Meinungsaustausch schien für Zapata nützlich. Ob der Brief beantwortet wurde, ist nicht bekannt. Zapata hätte davon allerdings auch keinen Nutzen mehr gehabt. Er wurde im April 1919 auf der Hacienda Chinameca von einem seiner politischen Gegner erschossen. Der Brief aber gilt unter Historikern als erster Schritt auf dem Weg zur Etablierung von diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die 1923 dann tatsächlich vollzogen wurden.
Lenin hat mit seiner Revolution das Leben der Bauern und der abhängigen Arbeiter dauerhaft verbessert. Die extreme Armut wurde aus Russland verbannt und nach Jahren auch der Hunger eingedämmt. Kostenlose Bildung und Gesundheitsbetreung erhielten Einzug in Russland. Kunst und Kultur erhielten dauerhaft einen hohen Stellenwert. Blutige konterrevolutionäre Aktionen der inneren und äußeren Reaktion haben den sozial-alternativen Prozess nicht aufhalten können. Die Rätedemokratie wurde hingegen später durch Stalin dauerhaft verletzt. Mit der russischen Revolution hat die Welt positive wie auch negative Erfahrungen sammeln können.
Die Revolution in Mexiko hat der Landbevölkerung mehr an Boden und Rechten und auch den Arbeitern soziale Verbesserungen gebracht. Hervorzuheben ist die Verabschiedung der damals fortschrittlichsten Verfassung der Welt im Jahre 1917. Ihr bis in die Gegenwart heftig umkämpfter Artikel 27 legt beispielsweise fest, dass der Boden Eigentum der Nation ist. Eine 51-Prozent-Klausel sollte weitere Bereiche der Grundversorgung vor dem Zugriff des internationalen Kapitals schützen. Der Artikel 123 sicherte die Rechte der Gewerkschaften, legte einen Acht-Stunden-Arbeitstag, Mindestlöhne sowie eine Sozialversicherung für die Arbeitenden fest.
Vieles blieb jedoch in der Papierform stecken. Wie auch beim deutschen Grundgesetz sollen Einzelheiten und die Einklagbarkeit in Folgegesetzen geregelt werden, die wiederum Spielwiesen für Lobbyisten sind.
"Zapatisten" knüpften in den 1990er Jahren an Revolutionsjahre an
Besonders in der neoliberalen Phase des Kapitalismus, die in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts begann, haben das nordamerikanische und europäische Kapital Verfassungsänderungen zu ihren Gunsten erzwungen.
Im Zusammenhang mit der von US-Präsident Donald Trump geforderten Neuverhandlung des Abkommens zwischen den USA, Kanada und Mexiko (NAFTA) werden auch die abgeschwächten Regelungen der mexikanischen Verfassung etwa zu Erdöl und Landkauf in Frage gestellt.
Der Aufstand der Bauern in Chiapas 1994 war für die Politiker des Landes ein erneuter Paukenschlag. Bewusst haben sich die Aufständischen den Namen "Zapatistas" gegeben. Eine ihrer ersten Handlungen war die Verbrennung der Grundbücher, die den Landbesitz dokumentierten. Spanien hatte die Bücher nach der Eroberung von oben und in fremder Sprache eingeführt, ohne die Rechte der Indigenas an Land, Wiesen, Seen, Wäldern und Erzvorkommen anzuerkennen. Die Gemeinschaften der Maya, Chamula, Tzeltales, Lacandones und viele andere in Chiapas bestehen auf ihrem ursprünglichen Eigentum. Das zeigt, dass ein Schwerpunkt der Probleme hinsichtlich der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung in Mexiko im Bereich des Rechts auf Landbesitz und der Nutzung natürlicher Vorkommen liegt.
Mit Spannung blickt die mexikanische Bevölkerung auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen im Juli 2018. Die Vereinigungen der Indigenaverbände haben mit Maria de Jesús Patricio Martínez eine eigene Kandidatin aufgestellt.
Zwei Dekrete, zwei Welten
Mexiko stuft die Forderungen des seit einem Jahr amtierenden US-Präsidenten Trump zur gemeinsamen Grenze sowie dessen erstes Dekret zur Einwanderung als bedrohlich ein, weil dieses mexikanische Jugendliche des Landes verweist. Der US-Präsident scheint vergessen zu haben, dass die südlichen Bundesstaaten der USA bis 1848 selbst noch mexikanisches Staatsgebiet waren. Ein Krieg, ausgelöst von den USA, hatte Mexiko damals um etwa 46 Prozent verkleinert.
Das erste Dekret von Lenin vor 100 Jahren leitete hingegen die Beendigung des Ersten Weltkrieges ein. Humanisten und Sozialisten warnten bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor dessen möglichen Folgen. Dessen wurden sie auch während des Krieges nicht müde. So ging Lenins Dekret auf die Zimmerwalder Konferenz von 5. September 1915 zurück, wo Sozialisten aus aller Welt erneut Grundsätze hinsichtlich ihrer Haltung zum Krieg beschlossen. Unter diesen waren auch Teilnehmer aus den USA. Der Frieden braucht auch heute starke Unterstützer.
Zum Autor: Günter Buhlke, geb. 1934, studierte an der Humboldt-Universität und der Hochschule für Ökonomie in Berlin. Er ist Dipl. Volkswirtschaftler. Er war für die DDR als Handelsrat in Mexiko und Venezuela sowie als Koordinator für die Wirtschaftsbeziehungen der DDR zu Lateinamerika tätig. Heute arbeitet er als Autor und Publizist.
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