
Rückzug aus der Weltrolle: USA setzen auf Einflusszonen statt globaler Führung

Von Fjodor Lukjanow
Der US-Präsident Donald Trump verabschiedet das Jahr 2025 so, wie er es begonnen hat. Zu seinem neuen Sonderbeauftragten für Grönland wurde Jeff Landry, Gouverneur von Louisiana und überzeugter Anhänger Trumps, ernannt. Landry sieht seine Aufgabe darin, diese autonome Verwaltungseinheit Dänemarks den Vereinigten Staaten anzuschließen. Dieses Ziel bekundete Trump bereits vor seiner Amtseinführung und er hält daran fest.

Die Frage, wie dies mit dem Völkerrecht zu vereinbaren ist, macht keinen Sinn. Denn solche "Kleinigkeiten" interessieren Donald Trump nicht. Auch die Realisierung dieses Vorhabens ist kaum vorstellbar: Dänemark ist empört und die Mehrheit der Inselbevölkerung spricht sich dagegen aus. Man kann sich kaum vorstellen, dass ein NATO-Mitglied ein anderes mit Gewalt besetzt. Solche Beziehungen zwischen Washington und Kopenhagen könnten isoliert betrachtet als Kuriosum angesehen werden, wenn hinter dieser "Grönland-Geschichte" nicht Veränderungen in der Struktur der internationalen Beziehungen zu erkennen wären.
Im Zeitalter der liberalen Globalisierung verbreitete sich die Vorstellung, dass geografische Nähe kein wesentlicher Beziehungsfaktor sei. Neue Kommunikationsmittel würden Grenzen aufheben und Entfernungen beseitigen. Die Welt sei einheitlich und offen, und man könne mit jedem in Kontakt treten. Die Nachbarschaft als solche sei natürlich wichtig. Es sei zwar völlig normal, mit Nachbarstaaten zu interagieren, aber das sei kein Dogma – dies gelte im wirtschaftlichen Sinne, ganz zu schweigen vom politischen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts äußerte sich einer der zentralasiatischen Präsidenten in einer Rede in Moskau wie folgt: Unsere drei großen Nachbarn seien Russland, China und die Vereinigten Staaten, da die USA Nachbarn aller Länder der Welt seien. Dementsprechend sollten ihre Wünsche nicht weniger berücksichtigt werden als die Interessen der Länder, mit denen man eine Grenze teilt. Die weltweite Dominanz der USA rechtfertigte diesen Ansatz. Während einige Länder (wie Zentralasien) einen taktischen Manövrierkurs verfolgten, setzten andere auf den fernen "Nachbarn" zum Nachteil ihres unmittelbaren Umfelds. Es war daher kein Wunder, dass es anschließend zu Problemen in den Beziehungen in der nahen Nachbarschaft kam.
Die US-Regierung unter Donald Trump distanzierte sich von diesem Konzept. Zunächst in der Rhetorik: Zum Jahresbeginn machte das Weiße Haus Ansprüche auf Grönland, Kanada und den Panamakanal als strategisch wichtige Gebiete geltend. Anschließend kam es zu konkreten Schritten: Im Herbst wurde unverhohlener Druck auf Venezuela ausgeübt, um dort einen freiwilligen Regimewechsel zu erzwingen. Schließlich erfolgte im Dezember die konzeptionelle Ausgestaltung: Die nationale Sicherheitsstrategie der USA erklärte offiziell die "Monroe-Doktrin in der Auslegung Trumps" zum Grundprinzip der US-Außenpolitik.
Die Doktrin des fünften US-Präsidenten James Monroe wurde vor über 200 Jahren verkündet und beinhaltet den Schutz der westlichen Hemisphäre vor Einmischungen durch europäische Mächte. Ungeachtet ihres antikolonialen Pathos wird sie als deutlichster Ausdruck eines auf der Aufteilung von Einflussbereichen basierenden Ansatzes angesehen: Die Vereinigten Staaten beanspruchten für sich die Unantastbarkeit ihres "Hinterhofs" – Südamerika – durch andere Länder.
Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es als unangebracht, sich auf diese Praxis zu berufen: Schließlich verkündet die UNO die souveräne Gleichheit aller Staaten und die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, was sich nur schwer mit der Idee von Einflusssphären vereinbaren lässt. Aber wie oben erwähnt, können Donald Trump weder Rechtsnormen noch Anstandsregeln "abschrecken". Daher rührt diese unverblümte Offenheit. Mit der Abkehr von der "globalen Führungsrolle", die die US-Amerikaner mittlerweile als Belastung empfinden, beanspruchen sie nun die Sonderrechte in ihrem Nachbarraum.
Neben politischen Gründen gab es noch einen weiteren wichtigen Grund für diesen Wandel: die Coronavirus-Pandemie. Der Zusammenbruch internationaler Kontakte aufgrund der Panik, die 2020 die Welt erfasste, machte plötzlich deutlich, dass man sich (abgesehen von den Eigenkräften) nur auf das engste Umfeld verlassen kann, also auf diejenigen, die in der Nähe sind. Je länger die Lieferkette und die Vernetzungsstrukturen sind, desto schneller können sie durch höhere Gewalt unterbrochen werden.
Dieser weltweite Schock ist zwar allmählich abgeklungen, doch seine Folgen sind nach wie vor spürbar. Und im Rahmen strategischer Planungen wird man künftig immer berücksichtigen, dass internationale Kommunikationswege plötzlich unterbrochen werden können. Die Gründe für solche Unterbrechungen können – wie wir nach der COVID-Krise erfahren haben – militärpolitische und geoökonomische Konflikte sein, deren Logik weniger von Marktzweckmäßigkeit als vielmehr von Sicherheit im allgemeinen Sinne bestimmt wird.
Das Jahr 2025 kann wohl als Meilenstein auf dem Weg zur Revision der bisherigen Prioritätenhierarchie angesehen werden. Diese wird nun "von unten" aufgebaut (Nachbarländer, Region und erst dann alle anderen Faktoren) und nicht "von oben" (Hegemonialmacht, ihre weltweit agierenden Institutionen, ein System von Verbündeten rund um den Globus und so weiter). Die USA geben den Takt an, aber andere – weniger mächtige – Staaten schließen sich ihnen an. So versucht Israel, den gesamten Nahen Osten mit Gewalt umzugestalten, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Die Türkei setzt unter dem Motto "türkische Welt" auf eine transregionale Ausbreitung. Es gibt noch weitere Beispiele. Kurz gesagt: Die territoriale Lage ist von Bedeutung, und mit ihr erlebt auch die klassische Geopolitik eine Renaissance.
In einer solchen Welt ist Stabilität nicht zu erwarten. Der Charakter der Herausforderungen verändert sich jedoch. Für Russland betrifft dies vor allem seinen unmittelbaren Nachbarraum, der für uns bekanntermaßen eine größere Bedeutung hat als alles andere – also das, was am treffendsten mit dem Begriff "nahes Ausland" beschrieben werden kann. Allerdings erfordert die Bewältigung dieser Herausforderungen im postglobalen Zeitalter des Wettbewerbs zwischen Einflussbereichen in vielerlei Hinsicht ein Umdenken. Und mit dem Ende der militärischen Sonderoperation in der Ukraine wird eine qualitativ neue Phase beginnen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 24. Dezember 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Rossijskaja Gaseta erschienen.
Fjodor Lukjanow ist seit 2002 Chefredakteur von "Russia in Global Affairs". Im Jahr 2012 wurde er zum Vorsitzenden des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik Russlands gewählt. Seit 2015 ist er Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai. Lukjanow ist zudem Forschungsprofessor an der Fakultät für Weltwirtschaft und Globale Politik der Nationalen Forschungsuniversität "Higher School of Economics".
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