
Nach dem Zollschock aus den USA offenbaren sich die Risse in der Schweizer Wirtschaft

Von Hans-Ueli Läppli
Der Zollschock aus den USA hat die Schweiz unvorbereitet getroffen. Seit dem Entscheid der Regierung Trump im August zeigt sich, wie verletzlich das exportgetriebene Modell geworden ist. Im dritten Quartal sank die Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent.
Besonders exponiert ist die Pharmaindustrie, deren Wertschöpfung um acht Prozent einbrach. Was lange als temporäre Delle galt, nimmt zunehmend strukturelle Züge an.
Zwar konnten sich die großen Pharmagiganten mit Washington auf einen Modus Vivendi einigen. Doch diese Verständigung hat ihren Preis. In Stein im Aargau, am größten inländischen Produktionsstandort eines der Konzerne, werden 550 Stellen gestrichen. Das ist keine taktische Korrektur, sondern ein klares Standortsignal. Wertschöpfung, Investitionen und strategische Prioritäten verschieben sich schrittweise weg von der Schweiz.
Der von Wirtschaftsminister Guy Parmelin ausgehandelte Zollkompromiss wirkt entsprechend brüchig. Die USA lassen offen erkennen, dass weitere Abgaben folgen könnten, falls die Verhandlungen nicht rasch abgeschlossen werden.

Die Zollsenkungen sind zwar in Kraft, doch ihre Halbwertszeit ist ungewiss. In Washington gilt nichts als endgültig. Was heute zugesagt wird, kann morgen schon wieder zur Disposition stehen.
Diese Unsicherheit bleibt nicht auf die Pharmabranche beschränkt. Sie frisst sich weiter in die industrielle Substanz. Der Traditionskonzern Stäubli beendet seine Textilmaschinenproduktion im norditalienischen Carate Brianza. 45 Arbeitsplätze verschwinden, die Fertigung wandert nach Frankreich.
Offiziell hat das keine Folgen für die Schweiz. In der Praxis folgt das Unternehmen jedoch derselben Logik wie viele andere Konzerne. Standorte werden gebündelt, Kosten gesenkt, Produktionsketten neu geordnet. Der Markt gibt den Takt vor, nicht die Landesgrenzen.
Auch der Detailhandel steht unter Druck. Die Migros zieht sich aus Deutschland weiter zurück. Bei der Tochter Delica sind innert eines Jahres mehr als zwei Drittel der Arbeitsplätze verschwunden.
Noch deutlicher zeigt sich der Trend bei Pfizer. Der US-Pharmakonzern hat innerhalb von eineinhalb Jahren rund 170 Stellen in der Schweiz gestrichen, fast 40 Prozent der Belegschaft. Noch 2024 beschäftigte das Unternehmen hierzulande 440 Mitarbeitende. In absoluten Zahlen übertrifft Novartis diesen Einschnitt inzwischen.
Solche Kürzungen sind mehr als statistische Effekte. Gerät die Pharmaindustrie unter Druck, wird es für die Schweiz grundlegend. Sie trägt einen erheblichen Teil zu Exporten, Steuereinnahmen und hoch qualifizierter Beschäftigung bei.
Was passiert, wenn internationale Konzerne Investitionen zurückfahren oder Standorte verlagern, bleibt politisch erstaunlich unterbelichtet. Dabei lebt die Schweiz von berechenbaren Rahmenbedingungen. Genau diese geraten ins Wanken.
Die US-Handelspolitik folgt keiner verlässlichen Linie. Abgaben werden gesenkt, erneut infrage gestellt und an neue Bedingungen geknüpft. Für eine offene Volkswirtschaft bedeutet das wachsende Abhängigkeit bei sinkendem Einfluss.
Der Blick nach Deutschland bietet keine Entlastung. Im Gegenteil. Nach Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft verliert Europas größte Volkswirtschaft spürbar an Wachstumskraft. Das langfristige Produktionspotenzial dürfte bis zum Ende des Jahrzehnts von rund 0,5 auf etwa 0,3 Prozent sinken. Ursache sind die demografische Alterung und ein schwacher Kapitalstock, ein Indiz für tief sitzende Standortprobleme.
Zwar erwarten die Ökonomen eine gewisse Produktivitätsbelebung. Doch sie reicht nicht aus, um frühere Wachstumsdynamiken zu erreichen. Die Industrie steckt in einer anhaltenden Krise, verschärft durch internationalen Konkurrenzdruck, insbesondere aus China. Die Kapazitäten bleiben unterausgelastet, die reale Wirtschaftsleistung deutlich unter dem Möglichen.
Für die Schweiz ist das eine schlechte Nachricht. Wenn der wichtigste europäische Handelspartner schwächelt und gleichzeitig der Druck aus den USA steigt, schrumpft der Spielraum weiter. Der Winter dürfte kälter werden, als es viele einplanen.
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