
Ehrgeiz und Sanktionen-Kur sind Gold wert: Indien will Russlands zivilen Flugzeugbau ansiedeln

Von Olga Samofalowa
Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kann Russland seine zivile Flugzeugproduktion im Ausland aufbauen: Indien möchte von unserer technologischen Exzellenz im zivilen Flugzeugbau profitieren. Zwischen Rostec und dem indischen Unternehmen HAL wurde bereits eine Absichtserklärung zur gemeinsamen Fertigung in Indien unterzeichnet. Neu-Delhi möchte zwei Flugzeugmodelle von Russland erwerben – das Düsenflugzeug "Suchoi Superjet" und die Turbopropeller-Maschine Iljuschin "Il-114".

Unsere beiden Länder pflegen bereits eine lange und enge Zusammenarbeit im militärischen Flugzeugbau: Die bekannten leichten Jagdflugzeuge Mikojan-Gurewitsch MiG-21 und die Mehrzweckjäger Su-30 werden in Indien in Lizenz gefertigt. Es ist an der Zeit, dass auch der Glaube an Russlands zivilen Flugzeugbau erstarkt.
Neu-Delhis Bestreben, russische Passagierflugzeuge mit russischer Technologie zu produzieren, ist eine wichtige Bestätigung für die Wirksamkeit der jahrelangen Arbeit der Entwickler und Hersteller in Russland. Bis vor kurzem kaufte Russland selbst Dutzende ausländische Flugzeuge – doch nun ist es zu einem Trendsetter im zivilen Flugzeugbau geworden.
Moskau hatte versucht, sich auch mit Peking in der zivilen Flugzeugproduktion zusammenzuschließen: Russland wollte enorme Investitionen ebenso wie Risiken mit einem Partner teilen, während China Technologien für viele Komponenten, Baugruppen und Triebwerke erwerben wollte, die es selbst nicht herstellen konnte. Viele Sachen kann China immer noch nicht: Zwar montiert man dort eigene Versionen des Schmalrumpf-Regionalflugzeugs Suchoi Superjet und des Schmalrumpf-Langstreckenflugzeugs Jakowlew MS-21 – jedoch unter Verwendung westlicher, nicht heimischer Komponenten.
Russland hingegen war China in der zivilen Luftfahrt von Anfang an weit überlegen und hat sich in den vergangenen Jahren aufs höchste Niveau gehievt: Es hat nicht nur Kenntnisse und Kapazitäten zum Fertigen von modernen Triebwerken für verschiedene Flugzeugtypen – sondern hat auch im Superjet und der MS-21 importierte Komponenten vollständig durch heimische ersetzt. Beide "importsubstituierten" Flugzeugmodelle befinden sich derzeit in der finalen Test- und Zertifizierungsphase. China kann davon vorerst nur träumen.
Die Importsubstitution ist entscheidend – und das nicht nur für Russlands Unabhängigkeit von Boeing und Airbus im Luftfahrtsektor, sondern auch für die Eroberung ausländischer Märkte. Mit ausländischen Komponenten war dies unmöglich:
Im Jahr 2019 etwa wurde sogar der gewöhnliche Export fertiger SSJ-100-Flugzeuge nach Iran unterbrochen. Die USA blockierten diese Lieferungen, obwohl der Anteil US-amerikanischer Komponenten im Flugzeug gering war – unter 20 Prozent. Nach US-Recht können die USA den Export von in Drittländern gefertigten Flugzeugen mit einem Anteil von mindestens 10 Prozent an Komponenten aus US-Fertigung blockieren. Moskaus Export-Ambitionen wurden damals also im Keim erstickt.
Jetzt aber können wir unsere eigenen, importsubstituierten Flugzeuge überallhin liefern, wo wir wollen. Niemand kann uns vorschreiben, was wir zu tun haben.
Beim Export fertiger Flugzeuge gibt es jedoch ein anderes Problem. Russlands eigener Markt benötigt diese Flugzeuge nämlich dringend, und nachdem der Superjet im Jahr 2026 den kommerziellen Betrieb aufgenommen haben wird, wird es nochmals viele Jahre dauern, den Bedarf unseres eigenen Inlandsmarktes zu decken. Daher sind derzeit Exportlieferungen selbst bei bestem Willen zunächst ausgeschlossen. Die Montage neuer Flugzeuge – und der Superjet New ist nach Abschluss der Importsubstitution tatsächlich ein komplett neues Flugzeug im Vergleich zum "alten" SSJ – lässt sich auch nicht schnell steigern. Dies wäre sowohl gefährlich als auch teuer. Daher ist die Option, die Produktion durch die Gründung eines Joint Ventures in Indien auszuweiten, ein profitabler und attraktiver Weg für Russland: Die indische Seite übernimmt einen Teil der Kosten, während wir de facto die Produktion ausbauen. Gleichzeitig kassiert das Land dann auch noch jährliche Lizenzgebühren.
Der zweite Vorteil ergibt sich daraus, dass alle Komponenten wie Avionik, Triebwerke und dergleichen mehr aus heimischer Produktion stammen – und Russland für den zusätzlichen Flugzeugbau im Ausland auch die Fertigungsraten dieser Komponenten ausbauen muss. Der wahrlich enorme Vorteil liegt hierbei darin, dass eine Produktionsausweitung zu geringeren Stückkosten führt. Je mehr Teile ein Werk produziert, desto rentabler ist es und desto besser kann es die Preise niedrig halten und die Gewinnmargen erhöhen. Darüber hinaus bedeutet dies neue Arbeitsplätze, zusätzliche Steuereinnahmen für den Staatshaushalt und zusätzliches Kapital für Reinvestitionen in die Expansion.
Der dritte Vorteil besteht darin, dass Russland damit Zugang zum schnell wachsenden indischen Markt erhält. Das Passagieraufkommen dort ist enorm und wächst stetig: Die Marktnachfrage wird auf 200 neue Flugzeuge dieser beiden Klassen geschätzt.
Der vierte Vorteil schließlich: Die Fertigung in Indien wird neue Exportmärkte für Russland erschließen. Die dort in Lizenz produzierten russischen Superjets und Il-114 können befreundeten Ländern in Südostasien, Afrika und sogar Lateinamerika angeboten werden.
Auch für Indien ist dieses Joint Venture äußerst profitabel: Erstens wird eine Hightech-Produktion auf indischem Staatsgebiet angesiedelt – und Russland wird zumindest seine Montagetechnologien mit Indien teilen. Zweitens könnte der Anteil der örtlich in Indien gefertigten Komponenten in Zukunft auch steigen – und dies passt perfekt zu Neu-Delhis "Made in India"-Strategie. Letztlich wird Neu-Delhi dank Russland nach einer langen Pause seine Kompetenzen im Bereich der zivilen Flugzeugproduktion wieder ausbauen.
Indiens Wahl der Flugzeugtypen zur Lizenzfertigung erscheint auf den ersten Blick kontraintuitiv: Warum sollte Indien gleichzeitig zwei Regionaljets produzieren? Warum nicht den beliebtesten und am weitesten verbreiteten Typ, die MS-21, wählen? Allerdings unterscheiden sich diese drei Maschinen zunächst erheblich voneinander – in Größe, Reichweite und Leistungsfähigkeit. Superjets fliegen relativ lange Strecken – 3.500 Kilometer, fast so weit wie die Großraumflugzeuge von Boeing und Airbus – sind dabei aber mit höchstens 103 Personen für nur etwa halb so viele Sitzplätze ausgelegt. Dies macht den Superjet besonders vorteilhaft für längere Strecken, auf denen allerdings das Passagieraufkommen geringer ist. Die Il-114 hingegen bietet Platz für 60 Passagiere und eignet sich für kürzere Flüge zwischen Flughäfen mit schlecht präparierten Start- und Landebahnen – Flughäfen, die dabei auch in großer Höhe über dem Meeresspiegel liegen können. Die MS-21 schließlich fliegt, je nach Version, knapp 4.000 bis 6.000 Kilometer weit und kann 132 bis 230 Personen befördern.
Zukünftig könnten Russland und Indien auch die Langstreckenmaschine MS-21, einen direkten Konkurrenten der Flugzeuge von Boeing und Airbus, gemeinsam montieren, doch würde Neu-Delhi dies jetzt ankündigen, könnte dies eine neue Runde absatzmarktbezogener geopolitischer Konflikte mit den USA auslösen. Die gemeinsame Montage von russischen Superjet- und Il-114-Flugzeugen in Indien könnte den USA weniger auffallen, da in den USA Flugzeuge gerade dieser Klassen nicht montiert werden. Indien demonstriert somit seine Unabhängigkeit beim Aufbau von Beziehungen zu Russland – und wahrt gleichzeitig seine Freundschaft mit den USA und der EU. Russland wiederum führt seinen rasanten Aufstieg an die Spitze der Luftfahrtbranche und seinen Weg aus der Isolation dank der Entwicklung von Partnerschaften eindrucksvoll vor.
Solch eine Wirkung hatte der Westen sich von seinen harten Sanktionen gegen Russland im Luftfahrtsektor wohl kaum versprochen.
Übersetzt aus dem Russischen.
Der Artikel ist zuerst am 11. Dezember 2025 bei RIA Nowosti erschienen.
Olga Samofalowa ist Wirtschaftsanalystin bei der Zeitung Wsgljad und schreibt Kommentare für weitere Medien.
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