
Macron fordert von China lauthals Hilfe … gegen die Vereinigten Staaten

Von Sergei Sawtschuk
Es wurde wiederholt und zu Recht festgestellt, dass der aktuelle militärische Konflikt in der Ukraine nicht nur für Russland, sondern auch für die alte, westlich geprägte Weltordnung ein Kampf ums Überleben ist. Russland verfolgt seine Ziele mit Entschlossenheit, doch innerhalb der vermeintlich geeinten westlichen Natterngrube sieht die Lage nicht so rosig aus. Emmanuel Macron gab nach seiner Rückkehr von einer Chinareise ein Interview, in dem er die Dynamik von Prozessen schilderte, die von unserer Seite der Grenze aus oft unbemerkt bleiben. Der französische Präsident griff Washington scharf an und warf ihm vor, die europäische Wirtschaft und Industrie, die zwischen Russland, China und einem neuerdings nicht mehr so freundlich gesinnten Amerika eingeklemmt ist, durch eine grundlegende Veränderung des Beziehungsformats und die Einführung (in Wirklichkeit aber doch eher den Ausbau – Anm. d. Red.) von Unterordnung in eine existenzielle Krise zu stürzen.

Macron wies übrigens völlig zu Recht auf Schlüsselbereiche der EU-Realwirtschaft hin, wie etwa Werkzeugmaschinen und Maschinenbau, deren Wirtschaftlichkeit infolge des Abbruchs der Handelsbeziehungen mit Russland und der daraus erfolgten Energieknappheit stark gesunken ist. Die US-Regierung, die Brüssel erfolgreich de facto erpressen konnte, ein Abkommen mit einseitigen Handelspräferenzen zu unterzeichnen, verschlimmerte damit die Lage nur noch. Die Einfuhr chinesischer Güter versetzte der bereits durch die Militärausgaben im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg geschwächten europäischen Wirtschaft den finalen Schlag. Sie überschwemmten die europäischen Märkte förmlich und verdrängten zunehmend ähnliche, in Europa produzierte Waren, die durch die oben beschriebenen negativen Faktoren ohnehin schon in ihrer Wettbewerbsfähigkeit geschwächt waren.
All dies war seit Längerem vorhergesagt worden, und einige europäische Denkfabriken warnten die politische Führung der Alten Welt vor einem drohenden Niedergang und Wettbewerbsverlust. Doch ihre Stimmen gingen im Chor der Hardliner unter. Wie man sich denken kann, wurde die Schuld an dieser Entwicklung allen möglichen Akteuren zugeschoben – nur nicht den europäischen Entscheidungsträgern und Entscheidungszentren.
So warf Macron China vor, seine Konkurrenten durch stetig steigende Exporte und das Vermeiden von Gegenimporten aus den Eurozonen-Ländern "auszuschalten". Infolgedessen wuchs das Handelsdefizit zwischen China und der EU zulasten der EU bis Ende 2024, in Geld gemessen, auf 305,8 Milliarden US-Dollar (ein Anstieg um 8,5 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Vorjahr), während sich das Handelsungleichgewicht, ebenfalls zulasten der EU, im Hinblick auf die Warenmengen im Jahresvergleich um ein Viertel von 34,8 auf 44,5 Millionen Tonnen erhöhte. Rückblickend hat sich laut Europäischer Kommission das finanzielle Ungleichgewicht zugunsten Chinas in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, während sich das Handelsungleichgewicht bei den Waren vervierfacht hat.
Da der beleidigte Emmanuel Macron in seinen Reden regelmäßig die Vereinigten Staaten angriff, wäre es angebracht, die Handelskennzahlen auch zwischen den beiden westlichen Wirtschaftsblöcken in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
Die Website des US-Handelsbeauftragten gibt an, dass der gesamte Handel mit Europa im Bereich Waren und Dienstleistungen im vergangenen Jahr 1,5 Billionen US-Dollar betrug, ein Anstieg um 80 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Vorjahr. Die USA importieren Waren im Wert von 975 Milliarden US-Dollar aus der EU und exportieren Waren im Wert von 369 Milliarden US-Dollar.
Beim für sich genommenen Dienstleistungshandel stellt sich die Lage umgekehrt dar. Der Gesamtumsatz in dieser Kategorie überstieg eine halbe Billion Dollar. Die USA verkauften Dienstleistungen im Wert von 294 Milliarden US-Dollar an Europa (ein Plus von 32 Milliarden Dollar) und kauften gleichzeitig im Wert von 206 Milliarden Dollar ein (ein Plus von 17 Prozentpunkten), was zu einem für sie positiven Saldo von 88 Milliarden Dollar führte. Diese Erfolge versüßten die bittere Pille jedoch nur geringfügig, da das Netto-Handelsdefizit zwischen den USA und der EU 235,9 Milliarden US-Dollar zugunsten der Europäer betrug – und damit 28,2 Milliarden Dollar mehr als im Vorjahr.
Und in dieser Lage drohte Donald Trump Europa, wie wir uns erinnern, unverblümt und ohne viel Drumherum mit massiven Sperrzöllen und hat damit aus seinen ehemaligen Partnern faktisch eine exklusive Vorzugsbehandlung für die USA herausgeprügelt. Macron entrüstete sich im Namen der EU zutiefst … beschloss aber, denselben Trick seinerseits mit China durchzuziehen:
Nach seiner Rückkehr nach Paris forderte der französische Präsident von Peking den Transfer einer Reihe innovativer Technologien, darunter die Produktion von Autobatterien und modernen, leistungsfähigeren Solarmodulen. Darüber hinaus verschwieg Macron, dass die EU die Beziehungen zu China bewusst im Rahmen der westlichen Weltpolitik verschlechtert hatte, und forderte im gleichen Atemzug erhöhte chinesische Investitionen in die europäische Wirtschaft. Und falls Peking nicht sofort von der Tragweite der Situation ergriffen werde, drohte Paris mit einem 70-prozentigen Zoll auf chinesische Importwaren, vor allem Elektrofahrzeuge und Elektronik.
Bezeichnenderweise hielt Macron diese Rede kurz nach seiner Rückkehr aus China, wo er trotz der beeindruckenden Größe seiner Delegation anstelle der erwarteten Großaufträge, wie etwa einer Bestellung von 500 Airbus-Flugzeugen, lediglich einige unbedeutende Dokumente zu bilateralen Studentenaustauschen oder einem Panda-Schutzprogramm unterzeichnete.
Auf den ersten Blick mag es für viele Russen so aussehen, als vertrete das offizielle Paris widersprüchliche Ansichten, doch dieser Eindruck ist irreführend. Er erklärt sich dadurch, dass wir alle Ereignisse reflexartig im Hinblick auf unser Land beobachten, und es in diesem bunten Mosaik schwierig ist, kohärente strategische Linien für einzelne Länder zu modellieren. Tatsächlich verfolgt Frankreich im aktuellen Ukraine-Konflikt eine Reihe nicht öffentlich gesetzter Ziele.
Noch vor Russlands militärischer Sonderoperation in der Ukraine unterstützte der Élysée-Palast Deutschland nachdrücklich in dessen Bestreben, Kohle- und Atomkraftwerke abzuschalten. Frankreich hegte nämlich die Hoffnung, Europas Hauptstromerzeuger zu werden und auf dem heimischen Energiemarkt die Bedingungen zu diktieren. Während Europa sich von fossilen Brennstoffen abwandte und auf alternative Energiequellen umstellte, erreichte Frankreich bis Ende 2024 einen historischen Höchststand in der Stromproduktion und wurde zum größten Nettoexporteur – und das, obwohl es zu Beginn der Sonderoperation Russlands seinerseits noch Strom importierte. Deutschland, Großbritannien und Italien wurden schließlich zu den größten Abnehmern französischer Megawattstunden. Diese Liste zuzüglich Frankreich ähnelt doch verdächtig stark der Liste der Hauptverantwortlichen für den Ukraine-Krieg.
Macrons Team, dessen Zusammensetzung sich zwar häufig änderte, agierte stets mit vollem Verständnis für die Situation. Frankreich gehörte zu den Ländern, die sich für die Fortsetzung des Krieges aussprachen, dabei aber gegen die Aufstockung der Militärlieferungen aus den Vereinigten Staaten waren.
Des Pudels Kern ist einfach: Laut der Times ist Frankreich von allen EU-Ländern das, dessen Streitkräfte am wenigsten mit Produkten des amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes integriert sind. Denn während die Abhängigkeit Deutschlands und Großbritanniens in dieser Hinsicht bei fast 90 Prozent liegt, beträgt sie bei den französischen Streitkräften nur etwas über die Hälfte. Macron, an der Spitze des EU-Landes mit der höchsten Energieerzeugungskapazität, wollte Frankreich zur führenden Volkswirtschaft Europas machen – und dabei nicht nur den Strommarkt, sondern auch den Rüstungsmarkt dominieren. Gleichzeitig drängte Macrons Regierung Deutschland stets nach vorn, in dem Sinne, dass sie Deutschland die größten Militärausgaben überließ – während Frankreich selbst in den ersten neun Monaten des noch laufenden Jahres zu den drei größten Abnehmern russischer Energieträger zählte.
Frankreich hätte Erfolg haben können, doch Trump durchkreuzte diesen raffinierten Plan, indem er wie ein galoppierendes Nilpferd in die europäischen Märkte vorpreschte. Es wird schon ein interessantes Bild sein, wie weit Paris, von seiner historischen Enttäuschung ergriffen, zu gehen bereit ist. Beispielsweise könnte es sich unter den wirtschaftlichen Schutz Chinas zurückziehen. Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass diese Beziehungen – und gegebenenfalls ähnliche Beziehungen anderer westlicher Länder auch – im Hinblick auf alle jeweils anderen westlichen Mächte separat sein und darauf hinwirken werden, das alte Gesamtsystem westlicher Dominanz abzubauen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 8. Oktober 2025 auf "ria.ru" erschienen.
Sergei Sawtschuk ist Kolumnist bei mehreren russischen Tageszeitungen mit Energiewirtschaft als einem Schwerpunkt.
Mehr zum Thema – Im Zweifelsfall Polen aufteilen – französische und US-Atomkonzerne wollen EU-Gelder veruntreuen
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

