Meinung

"Ich werde Vilnius beschützen" – Litauer meißeln Merz-Versprechen in Stein

Ein militärisches Merz-Versprechen an Litauen wird in Vilnius auf einer Tafel verewigt. Dieses schmückt nun die Wände des Rathauses neben einem ähnlich gemeinten Bush-Zitat – eine eher zweifelhafte Nachbarschaft.
"Ich werde Vilnius beschützen" – Litauer meißeln Merz-Versprechen in Stein

Von Wladislaw Sankin

Der Bundeskanzler Friedrich Merz hat es geschafft. Innerhalb von nur sechs Monaten hat er Rekordwerte der Unbeliebtheit erreicht – im eigenen Lande. Die Nachrichtenagenturen verkündeten am Dienstag, "76 Prozent der Deutschen sind mit ihm unzufrieden". Damit habe er den Scholz-Tiefstwert erreicht. Allerdings habe der Ex-Kanzler diesen erst nach immerhin zweieinhalb Jahren "erarbeitet". Der energische Merz, beseelt von der historischen Aufgabe, das Land für einen Krieg gegen Russland hochzurüsten, drückt eben in allem, was er tut, aufs Eiltempo. 

Auch diese schlechte Nachricht kann er also wegstecken. Noch, zumal er im Ausland auch mal etwas Gutes hört. So in Litauen, dessen Hauptstadt ihn zu dem hat aufrücken lassen, was der populäre US-Präsident John Kennedy einmal für West-Berlin war. Damals, mitten im Kalten Krieg, sagte er seinen berühmt gewordenen Satz "Ich bin ein Berliner", der seitdem zu einer Werbeparole wurde.

Was aus dem Merzenschen Satz in historischer Perspektive wird, ist noch ungewiss. Aber der Anspruch ist groß. Am 22. Mai – es war gerade erst die dritte Woche seiner Amtszeit – unternahm der designierte Kanzler bereits seine siebte Auslandsreise und sie führte ihn eben nach Vilnius. Bei einem feierlichen Appell mit den Angehörigen der Panzerbrigade 45, sagte er auf Englisch: "Die Sicherheit Litauens ist unsere Sicherheit. Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin". Und ja, auch von der deutschen Führungsrolle als Streitmacht Europas sagte er etwas.

Diese Worte sind nun in buchstäblich Stein gemeißelt, so als ob Litauens Offizielle den Bundeskanzler beim Wort nehmen wollen – kämpfe für uns, du hast es versprochen! Eingeweiht wurde die Gedenktafel ehrenvoll und feierlich, so als ob Merz höchstpersönlich dabei gewesen wäre: Umarmungen, Lächeln, Orchester. Und natürlich hielt auch der Brigadekommandant, General Christoph Huber, seine Ansprache und redete ebenso von deutschen Führungspositionen.

Wenn man den Medien glauben will, herrscht derzeit im größten Land des Baltikums Harmonie zwischen den Deutschen und Einheimischen. Russisch wird als zweite Fremdsprache in den Schulen verdrängt, Deutsch soll nachrücken, so der Plan der Regierung. In der Tat: Wer in diesem Sommer durch Vilnius spazieren gegangen ist, dem sollte es aufgefallen sein: An vielen amtlichen Gebäuden wehten Deutschlandfahnen. In den Biergärten saßen zum Mittag entspannt deutsche Männer im geschäftigen Alter. Dennoch ist die meistgesprochene Sprache auf litauischen Straßen nach der Amtssprache Litauisch nach wie vor Russisch. Das ist nur einer der vielen Kontraste in dieser aufstrebenden Stadt, gefangen zwischen Glanz und Verfall.

In Vilnius, dessen imposantes Flughafen-Gebäude Statuen aus der Stalin-Ära schmücken, ist der Russland-Bezug auch in der Architektur überall sichtbar: Die Didžioji-Straße, die touristische Fußgängerader der Stadt, die das Rathaus mit der frischen Merz-Tafel mit dem Domplatz verbindet, wird von zwei historischen russisch-orthodoxen Kirchen geschmückt. Eine davon, die Paraskeva-Kirche, war die erste christliche Heiligenstätte in Vilnius, erbaut im 14. Jahrhundert von der russischen Frau des litauisch-russischen Großfürsten Olgerd. Das teilt den Fußgängern die Marmortafel aus dem 19. Jahrhundert an der vorderen Wand mit. Diese Tafel, selbst ein Denkmal, zeigt russische Buchstaben des vorrevolutionären Alt-Alphabets, was sie noch wertvoller macht.

Was ist daneben ein Merz-Zitat, dessen Aufbringen auf eine Tafel der aktuellen politischen Lage litauischer Obrigkeit geschuldet ist? Seitdem ehemalige KpdSU-Funktionäre Litauens nach der Loslösung von der Sowjetunion mit Russophobie, der gängigsten geopolitischen Währung des Westens, handelten, schrumpfte die Einwohnerzahl ihres Landes von 3,7 Millionen (1990) auf 2,9 Millionen (2025). Und sie waren es auch, die einen Satz des US-Präsidenten und de facto Kriegsverbrechers George W. Bush an die gleiche Rathaus-Fassade angebracht hatten. "Jeder, der Litauen als Feind betrachtet, wählt sich auch die USA zum Feind", steht darauf. Bush hatte dies im Jahr 2002 in Vilnius bei einem Litauen-Besuch gesagt.

Im Unterschied zu den USA, die die Worte von Bush möglicherweise schon bald als "Geschwätz von gestern" betrachten werden, sehen die Deutschen ihre neue Verwurzelung im Baltikum als neue Chance, den Osten mal wieder militärisch zu erschließen, dieses Mal unter "wohlgemeinten" Vorzeichen. Nach der Auflösung und dem Anschluss der DDR sieht sich ein derart "geeintes" Deutschland durch die eigens vorangetriebene NATO-Osterweiterung zunehmend als der neue alte "Große Bruder" der Balten und wird dort militärisch immer aktiver. Gleichzeitig rüstet die Bundeswehr jetzt auch rhetorisch massiv auf ("Russland ist der Feind."). Die Nachbarschaft der Merz-Zitattafel mit den Worten des US-Präsidenten, der nicht nur einen Krieg unter vorgeschobenen Vorwänden angefangen hat, ist kein gutes Omen.

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