Meinung

Friedrich Merz und das Glück der Geburt

Letztes Wochenende war CDU-Landesparteitag in Sachsen-Anhalt. Das hätte man gar nicht mitbekommen, wenn nicht Friedrich Merz wieder einmal verbal etwas die Kontrolle verloren hätte. Der Kanzler des Westens eben, was soll man da erwarten.
Friedrich Merz und das Glück der Geburt© Urheberrechtlich geschützt

Von Dagmar Henn

Immerhin, ablenken kann er gut. Wer will auch schon als Kanzler der Rekordschulden in die Geschichte eingehen? Zuletzt sprach die Republik öfter über den Fettnäpfchensuchradar des Bundeskanzlers Friedrich Merz als über die von ihm in kurzer Zeit angerührten Katastrophen, und er müht sich eifrig, dass es dabei bleibt.

Und eines zeigte sein verbaler Ausfall deutlich: Für ihn ist die DDR nach wie vor Ausland. Schließlich war er bisher nur Brasilianern und anderen Schwarzen zu nahe getreten und hatte gezeigt, wie ungern er doch das heimische Sauerland verlässt und in Gefilde aufbricht, in denen das Wetter anders ist oder kein deutsches Brot erhältlich.

Also, diesmal war er auf feindlichem Gebiet und beglückte die Zuhörerschaft auf dem Landesparteitag der CDU in Magdeburg mit seinen Vorstellungen von Glück und Unglück. Das musste auch sein, der CDU in Sachsen-Anhalt geht es viel zu gut: Die 26 Prozent, die da immer noch standen, kränken wahrscheinlich das westliche Selbstwertgefühl, wo im Bund doch zuletzt nur noch 25,6 Prozent prognostiziert wurden. Kein Problem. Die AfD wird es danken, die ohnehin schon bei 40 Prozent stand in der letzten Umfrage.

"Ich habe das Glück, und es ist nicht mehr als Glück und Zufall gewesen, nur das, im Westen geboren, im Westen groß geworden zu sein", sagte er mit dem ihm eigenen Feingefühl. Schließlich ist das ja auch nur eine Kolonie, in Magdeburg, bewohnt von eigenartigen Subjekten, nicht ganz richtigen Deutschen, weil ihnen die US-amerikanischen Wohltaten so lange abgingen. Und zugegeben, wenn man sich die Besetzung der Führungspositionen in den östlichen Bundesländern ansieht, ist das "Glück, im Westen groß geworden zu sein" bis heute erste Einstellungsvoraussetzung. Insofern findet sich ein Korn Wahrheit in seiner Aussage.

Zugegeben, man hat es in Deutschland mit einer ganzen Generation von Politikern zu tun, die irgendwie nicht wirklich begreifen, was ihre Aufgabe ist. Da ist Merz eben auch nicht anders als seine Umgebung: Man kann von ihm nicht erwarten, zu verstehen, dass er sich schließlich auch als Kanzler der "Unglücklichen" sehen müsste.

Wobei eben die ganze Nummer mit der Übernahme damals auch kein Glück war, das plötzlich über die "Unglücklichen" hereinbrach, sondern eine toxische Mischung aus Ausplünderung und Abwrackunternehmen. Ganz nebenbei wurden dann alle Dinge entsorgt, in denen die DDR selbst vom Westen anerkannt voraus war. Bei der Kinderbetreuung, bei der Schulbildung, die dann von den Finnen kopiert und dann beim PISA-Schock Anfang des Jahrtausends plötzlich zum Vorbild wurde …

Glück und Unglück, das ist nicht ganz so einfach, wie das Herr Merz sieht. Aber er kennt schließlich auch die westlichen Varianten des Unglücks nicht, der gutbürgerliche Streber, den es schon mit 17 in die CDU zog, was man in der Atmosphäre der damaligen Jahre nur als einen schweren Fall von Frühvergreisung lesen kann. Papa als Richter, Großvater als Bürgermeister waren nicht gerade arm, und seine jugendlichen Eskapaden waren, wenn man bedenkt, dass sie Anfang der 1970er stattfanden, auch nicht sonderlich beeindruckend. Nein, im Kern war der immer angepasst und brav, der Merz Fritze.

Das ist natürlich auch irgendwie insofern ein Problem, als sein Weltbild vermutlich damals schon fertig war, abgeschlossen, und dieser Unfall mit der Übernahme des deutschsprachigen Nachbarlands zu einem Zeitpunkt geschah, als sämtliche Einstellungen schon fixiert waren. Wie gesagt, für ihn ist Magdeburg Ausland. Was ginge, wenn er, wie der Onkel aus Amerika in den Fantasien früherer Jahrzehnte, zum Ausgleich mit einem Koffer voller Geld käme; dann wird immer viel hingenommen. Aber Merz ist gewissermaßen der Onkel aus Akirema, der nicht mit einem Koffer voll Geld kommt, sondern einen voll Geld mitnimmt, wenn man sich an den Rausch der Sondervermögen erinnert, und an seine Leidenschaft, Millionen und Milliarden in die Ukraine zu schicken.

Dumm gelaufen, denn derjenige, der das Geld holt, statt es zu bringen, muss darauf achten, sich nicht unbeliebt zu machen. Und Diplomatie ist schon gar nicht das Feld, auf dem der Merzsche Fritze brilliert. Geschweige denn, auch nur ansatzweise begriffen zu haben, dass auch die DDR ein Industrieland war, und Menschen dort ganz normale Leben lebten, und beispielsweise – das ist wissenschaftlich erforscht – in ihrem Beziehungsleben freier waren, weil Geld und Status keine so große Rolle spielten wie im Westen.

Aber das beides ist wohl das, was Merz unter dem Begriff Freiheit versteht. Die Millionen, die man verdienen kann, wenn man für große Konzerne arbeitet, Blackrock und andere. Wenn man als deren Lobbyist im Parlament sitzt und nicht popelige Bürger vertreten muss, mit ihren nicht sehr ertragreichen Interessen. In der DDR konnte man nicht Blackrock-Aufsichtsratschef werden.

Wobei, Merz war ja auch noch Gründungsmitglied des Fördervereins der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft; das war dieser vor allem von der Metallindustrie finanzierte Haufen, der so rege für Hartz IV getrommelt hat. Das dann vor allem die Lebenslage der aus der stillgelegten DDR-Industrie Freigesetzten verschlechtern half. Also ein Heimspiel ist Magdeburg da nicht.

Der Schaden hält sich natürlich dennoch in Grenzen. Die Landtagswahlen im kommenden Herbst in Sachsen-Anhalt gewinnt die CDU sowieso nicht, aber den westdeutschen Teil der CDU freut es vermutlich immer noch, wenn wieder etwas Ossi-Bashing kommt. Außerdem könnte es ja sein, das Rententheater genügt nicht ganz zur Ablenkung des Publikums – schließlich ist es egal, wer sich da durchsetzt, solange der Absturz der deutschen Industrie weitergeht. Dann gehen am Ende sowieso alle leer aus.

Vielleicht kann man ja Vorschläge einreichen bei Merz, wem er als Nächstes auf die Zehen steigt. Aber besser nicht China, das wird langweilig. Das ist so sehr Klischee, erst die Brasilianer, dann Afrika, dann Magdeburg, man könnte glauben, er hätte ein echtes Problem mit Vorurteilen. Wie wäre es denn mal zur Abwechslung mit den Briten oder Franzosen? Fährt er demnächst nach Bayern?

Wenn man wirklich Spaß haben wollte, müsste er US-Präsident Donald Trump anpöbeln. Das gäbe dann echte Unterhaltung. Aber daran hindert ihn vermutlich die eingeübte Unterwürfigkeit, nach oben treten fällt ihm schwer. Schade irgendwie. Wenn man wenigstens richtig über ihn lachen könnte, wäre er doch noch zu etwas nütze.

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