
Jung gegen Alt: Union flutet Mainstream mit hypothetischen Fake-Zahlen, um Renten zu drücken

Von Susan Bonath
Kann sich Deutschland "seine" Rentner noch leisten? Darüber debattiert der Mainstream derzeit ernsthaft rauf und runter. Das Niveau dabei ist kaum zu unterbieten. Bei Markus Lanz im ZDF betrieben der Moderator sowie Jung- und Altpolitiker der CDU am Dienstag obskure Zahlenspiele zur Rentenfrage, die eines nahelegen: Manch ein bürgerlicher Apologet an der Seite des Kapitals versteht offenbar "sein eigenes" System nicht.

Mit Bullshit-Zahlenbingo gegen Rentner
Hintergrund ist der Kampf, den junge Unionsabgeordnete im Bundestag den Rentnern angesagt haben. Formiert als "Junge Gruppe" toben sie gegen den Regierungsentwurf für ein Gesetz, welches das klägliche Rentenniveau in Deutschland von nur noch 48 Prozent bis 2031 erhalten soll. Sie kritisieren jedoch nicht etwa, dass der Entwurf nicht festlegt, wie danach der weiter drohende Verfall der Renten zu stoppen wäre.
Vielmehr behauptet der Unionsnachwuchs, mit der Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent durch die Vorgänger-Ampelregierung liege dieses seit 2023 um einen Prozentpunkt höher, als es das unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel verabschiedete Kürzungspaket vorgesehen hätte. Diese Mini-Korrektur, um einen allzu rasanten Anstieg der Altersarmut abzumildern, werde, so rechnet die "Junge Gruppe" vor, angeblich "120 Milliarden Euro Folgekosten für die jüngere Generation haben."
Auf diesem Bullshit-Zahlenbingo beharrte in der Lanz-Talkshow Johannes Winkel, der 34-jährige Vorsitzende der CDU-Jugendorganisation "Junge Union" (JU). "Wir wollen die 120 Milliarden rausbekommen", schimpfte er bockig, und Moderator Lanz stieg darauf ein: Ob er auch mit der Hälfte zufrieden wäre? Winkel wich dem aus:
"Ich will den Gesprächen nicht vorgreifen."
Neoliberale Fantasiewelten
So ein Kampf Jung gegen Alt ist den Verbänden des deutschen Großkapitals willkommen. Seit langem trommeln diese für immer niedrigere Renten, ein höheres Eintrittsalter, bis hin zur Privatisierung der Altersvorsorge; dies stets unter dem Vorwand "hoher Kosten für die junge Generation". Vermutlich baut man dort darauf, dass kaum wer diesen Hoax durchschaut.
Denn die absurde Vorstellung, ein Staatshaushalt funktioniere wie das eigene private Portemonnaie, ist weit verbreitet. In dieser dem Alltagsbewusstsein und jahrzehntelanger neoliberaler Propaganda entsprungenen Märchenwelt knöpft "Vater Staat" von seinen Bürgern Steuern ab, steckt sie in seine Kasse und verteilt deren Inhalt dann auf Behörden, Krankenhäuser, Pflegeheime, Renten, Sozialleistungen und so weiter – und wenn die Kasse leer ist, ist sie halt leer. Die Wirtschaftskraft habe nichts mit alledem zu tun.
Nun streben Neoliberale – je nach Strömung mehr oder weniger – stets danach, ihren "Markt", also die Wirtschaft völlig abzukoppeln von bürgerlich-demokratischen Entscheidungsprozessen. Jeder politische "Markteingriff" ist "Planwirtschaft" und Teufelswerk in ihren Augen. In dieser Fantasiewelt vom reinen Kapitalismus hat der Staat nur eins zu tun: für Ordnung zu sorgen, dies gern auch repressiv und diktatorisch gegen die lohnabhängigen Massen. Rentenzuschüsse und Sozialleistungen aller Art sind demnach schädlich für den Standort, bedeuteten mehr Steuerlast – und weniger ausbeutungswillige Arbeitskräfte fürs Kapital.
Ohne Kaufkraft kein Binnenmarkt …
Klar, wer die Ausbeutung auf die Spitze treiben und soziale Zustände wie im "Globalen Süden" haben will, schafft gesetzliche Renten und Sozialleistungen am besten ab. Doch denke man das für eine Industrienation wie Deutschland einmal weiter: Was geschähe, wenn Deutschland Renten und Gesundheitsleistungen weiter rabiat kürzen und Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung und Sozialhilfe einstampfen würde?
Nach vielfacher Vorstellung, teils sogar unter normalen Arbeitern, bräche damit eine Art Paradies aus: keine Sozialabgaben mehr, weniger Steuern, also mehr Netto vom Brutto, dafür mehr "Eigenverantwortung" und so weiter. Die Realität sähe freilich düsterer aus: 26 Millionen Bezieher gesetzlicher Renten, etwa 1,35 Millionen davon mit Sozialhilfe aufstockend, würden auf einen Schlag noch ärmer werden. Weitere 5,5 Millionen Menschen in Haushalten, die vom Bürgergeld leben oder damit aufstocken, rutschten in blanke Existenznot, viele davon in die Obdachlosigkeit.
... und das Aus für den Mittelstand
Im Klartext hieße das: Die Kaufkraft von 30 Millionen Menschen, also mehr als einem Drittel der Bevölkerung, würde rapide sinken, teilweise sogar ganz wegbrechen. Obdachlosigkeit und Kriminalität schössen in die Höhe, die Gesundheit vieler weiterer Millionen Beschäftigter, vor allem im Niedriglohnsektor, verschlechterte sich massiv, weil Arztbesuche teuer würden.
Das international agierende Großkapital, darunter deutsche Rüstungskonzerne, könnte das vermutlich gut verschmerzen. Mehr noch: Es würde sich auf diese Weise sogar noch mehr Marktanteile unter den Nagel reißen. Doch für den deutschen Mittelstand wäre so ein Einbruch des Binnenmarktes eine Katastrophe, perspektivisch sogar das Ende: Kleinere Betriebe gingen pleite, die Arbeitslosigkeit stiege weiter, das Elend mehrte sich, was wiederum Firmeninsolvenzen zur Folge hätte, und so weiter … eine Spirale nach unten.
So bräche der deutsche Binnenmarkt früher oder später weitgehend zusammen; der Mittelstand, wie er heute noch existiert, wäre ein für alle Mal Geschichte und an Stadträndern wüchsen Slums zu Ghettos.
Mit Lügen Sozialneid schüren
Der von politischen Parteien auch außerhalb der Union instrumentalisierte und zusätzlich vom härter werdenden Konkurrenzkampf gefütterte Sozialneid fußt ganz grundsätzlich auf der (bewusst kolportierten) Fehlannahme, ein Staatshaushalt funktioniere wie der eigene Geldbeutel. So wiegelt man gezielt Bevölkerungsgruppen gegeneinander auf: Junge gegen Alte, Jobbesitzer gegen Arbeitslose, Männer gegen Frauen, Deutsche gegen Migranten und so weiter. Dabei hat sich der Glaube vieler, selbst mehr vom Staat zu bekommen, wenn andere weniger oder nichts mehr haben, in diesem System noch nie bewahrheitet.
Apropos Migranten: Was wäre eigentlich, wenn Deutschland alle Menschen ohne deutschen Pass aus der Bundesrepublik abschieben würde? Die Kliniken und Pflegeeinrichtungen würden jedenfalls völlig kollabieren. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte 2023 bereits jede fünfte Pflegekraft in Altenheimen und jede siebte in Krankenhäusern keinen deutschen Pass – Tendenz steigend. Fast jeder fünfte Arzt – 76.000 an der Zahl, mehr als ein Viertel davon aus arabischen Ländern – besaß vergangenes Jahr laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) keine deutsche Staatsangehörigkeit.
Politik für Oligarchie und soziale Verelendung
Kurzum: Die derart ernsthaft im Mainstream diskutierte Zahlen-Geisterfahrt der Jungen Union entpuppt sich mal wieder als Milchmädchenrechnung, die einfache volkswirtschaftliche Zusammenhänge ignoriert: Zum Beispiel die Tatsache, dass das zum Bestehen im globalen Konkurrenzkampf notwendige Wirtschaftswachstum auch Kaufkraft im Binnenmarkt benötigt.
Jedenfalls, sofern man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht allein durch die Profite von Rüstungskonzernen und diversen Deutschland-Ablegern US-amerikanischer Digitalgiganten und Vermögensverwalter pushen will. Und sofern man den Staat nicht zu einer von multinational agierenden Oligarchen dominierten, im Inneren jedoch sozial komplett verwahrlosten, imperialistischen Peripherie-Enklave umbauen will, wo Hungerlöhner bestenfalls ein paar Kriegsgüter und andere Exportschlager produzieren dürfen und Alte, Kranke und Arbeitslose in den Straßen dahinsiechen.
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