Meinung

Wahre Herren des Westens rufen heimlich Kreml an – London als Hauptgegner Russlands in der Ukraine

Geheime Anrufe im Kreml bezüglich des Ukraine-Krieges, Schutz für Wladimir Selenskij vor Donald Trumps Zorn – Großbritannien leistet sich deutlich mehr Eigenständigkeit gegenüber den USA wie dem gesamten Restwesten, als seine wirtschaftliche und militärische Macht erlaubt. Wie erklärt sich das?
Wahre Herren des Westens rufen heimlich Kreml an – London als Hauptgegner Russlands in der Ukraine© RIA Nowosti

Von Pjotr Akopow

Russlands Hauptgegner im Ukraine-Konflikt sind, anders als oftmals angenommen, nicht die Vereinigten Staaten oder die Europäische Union. Unser primärer, fundamentaler und skrupellosester Feind ist Großbritannien. Daher mag die am 12. November 2025 in der britischen Presse aufgetauchte Information über ein Telefonat aus der Downing Street mit dem Kreml einen durchaus überraschen: Was wollte die "Engländerin" denn auf einmal?

Das Telefonat selbst fand bereits Anfang des Jahres statt: Der britische Nationale Sicherheitsberater Jonathan Powell kontaktierte Juri Uschakow, einen Berater des russischen Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin. Das Gespräch drehte sich, wie konnte es auch anders sein, um die Ukraine – hatte aber keine Fortsetzung: Denn wie der Kreml erklärte:

"Ein akuter Wunsch des Gesprächspartners, uns die europäische Position mitzuteilen, war zwar vorhanden – aber auch ein Mangel an Wunsch und Absicht, auch unsere Position anzuhören."

Bedeutsam ist hier jedoch allein schon der Versuch Londons, überhaupt einen informellen Kommunikationskanal mit Moskau aufzubauen – und dies trotz der Tatsache, dass die britischen Behörden öffentlich eine sehr harte Linie gegenüber Russland vertreten und nicht bloß jegliche geheimen, sondern auch jegliche offiziellen Verhandlungen ablehnen, bis wir einem "sofortigen Ende des Krieges" zustimmen. Und jetzt also derart urplötzlich ein geheimes Telefonat.

Formal lässt sich alles damit erklären, dass Anfang des Jahres der ganze Westen die bevorstehende Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus mit Furcht erwartete – was, wenn er tatsächlich auf einmal seine Unterstützung für die Ukraine zurückzöge und sie zu einem Frieden durch "Zugeständnisse an die Russen" zwänge? Sowohl Europa als auch Großbritannien waren also äußerst nervös, und so könnte Powells Anruf durchaus dem Wunsch entsprungen sein, Moskau die britische Position zu verdeutlichen: Ungeachtet dessen, was Trump tut und lässt, würden Großbritannien und Europa die Ukraine nicht an Russland ausliefern, sondern sie unterstützen und bewaffnen. Dies war denn auch höchstwahrscheinlich der Fall.

Dabei sprach Großbritannien aber nicht für sich selbst, sondern für den gesamten Westen mit Ausnahme der Vereinigten Staaten (und hier sollte man nicht vergessen, dass zum Westen nicht nur Kanada und Australien unter der Führung der britischen Krone gehören, sondern beispielsweise auch Japan). Warum man das so sagen kann? Weil Großbritannien längst kein gewöhnlicher Staat mehr ist. Man könnte sogar sagen, dass das Vereinigte Königreich in den letzten drei Jahrhunderten lediglich eine Fassade für das globale Projekt der angelsächsischen Eliten war und ist.

Die Auflösung des über dem britischen Königreich aufgebauten British Empire veränderte nämlich zwar die Form dieses Projekts, nicht aber seinen Inhalt. Dieser lässt sich in aller Kürze als Plan zur Weltherrschaft beschreiben – im vollen Sinne des Wortes, nicht bloß in der Hitler zugeschriebenen, karikierten Form. Die Nazis planten die Herrschaft über Teile Eurasiens, während jede weitere Expansion nicht einmal die Form von Plänen annahm und reine Fantasie blieb. Die "Großen Brüder" (denn die Deutschen betrachteten die Angelsachsen als Teil einer größeren germanischen Nation) hingegen gingen weitaus ernsthafter an die Sache heran. Weltherrschaft bedeutet nämlich nicht zwangsläufig den Besitz allen Landes – vielmehr bedeutet sie Kontrolle: über Waren-, Informations- und Finanzströme, über Prozesse und über Eliten. Der britische Staat ist in diesem Sinne lediglich eine bequeme Tarnung für das Konglomerat aus Finanz-, Elite-, Management-, Geheimdienst- und Bildungsstrukturen, das den Kern des angelsächsischen Weltprojekts bilden. Die Vereinigten Staaten übernahmen in der Nachkriegszeit die Hauptrolle bei dessen offener Umsetzung – doch Hirn und Herz blieb und ist weiterhin Großbritannien.

Deshalb kann Powell – ein Mann, der weitaus erfahrener und einflussreicher ist als sein ehemaliger Vorgesetzter, Premierminister Keir Starmer – es sich leisten, für den Westen zu sprechen. Da der heutige Westen ein Zwischenergebnis des globalen angelsächsischen Projekts ist, spricht London nicht etwa im Namen der von ihm zur Unterstützung der Ukraine geschaffenen "Koalition der Willigen", sondern im eigenen Namen – einschließlich auch der von ihm beeinflussten europäischen Eliten (natürlich nicht aller, aber eines wesentlichen Teils).

Genau deshalb fürchtet Wladimir Selenskij Trump nicht – wie er kürzlich in einem Interview mit dem Guardian erklärte:

"König Charles hat mir geholfen, eine Beziehung zu Trump aufzubauen. Während seines Staatsbesuchs in Großbritannien im September traf Trump den König privat. Ich kenne nicht alle Details, aber ich habe verstanden, dass Seine Majestät Präsident Trump einige wichtige Signale gesendet hat. Seine Majestät kümmert sich sehr um unser Volk … Vielleicht ist 'kümmern' nicht ganz das richtige Wort – er unterstützt uns sehr."

Innerhalb von drei Jahren hat König Charles III. Selenskij bereits dreimal empfangen – eine Ehre, die noch nie einem ausländischen Staatsoberhaupt zuteilwurde. Der britische Monarch handelt hierbei aber nicht aus Liebe zum ukrainischen Volk oder Respekt vor Selenskij, sondern weil er ein Schachspiel auf dem globalen Brett spielt. Dieses Spiel läuft seit Jahrhunderten, und Russland findet sich immer wieder als entscheidender Gegner im angelsächsischen Weltprojekt wieder. Selbst jetzt, wo die russischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld zwar vorrücken, Russland dabei aber im Grunde auf seiner eigenen Hälfte des Bretts (dem Gebiet des historischen Russlands) gegen einen mit "ukrainischen" Figuren geführten angelsächsischen geopolitischen Angriff eine Verteidigungspartie spielt, ist London nicht euphorisch.

Dort weiß man nämlich, dass der letztgenannte Umstand im Spiel auch schnell ins Gegenteil umschlagen kann. London hegt daher keinen Wunsch mehr, Russland schon in der nächsten Zeit schachmatt zu setzen (ihm also eine strategische Niederlage zuzufügen) – sondern die feste Absicht, wenigstens ein Unentschieden herauszuschlagen: einen Stillstand entlang der Frontlinien. Sowohl London als auch Moskau verstehen, dass ein solches Unentschieden immer noch ein faktischer Sieg für Großbritannien wäre – weil dieses dadurch die Möglichkeit erhielte, die Ukraine unter die strategische Kontrolle des Westens zu bringen. Genau deshalb wird Russland nicht zulassen, dass Großbritannien ihm sein eigenes Spiel aufzwingt – also die Bedingungen und das Tempo des Kampfes diktiert. Der letzte Zug, wie auch das letzte Wort im Kampf um die Ukraine, wird immer Russland gehören. Und London wird das akzeptieren müssen.

Übersetzt aus dem Russischen. Erschienen bei RIA Nowosti am 13. November 2025.

Pjotr Akopow ist ein russischer Historiker und Geschichtsarchivar (Absolvent des Moskauer Staatlichen Geschichtsarchivarischen Instituts). Seit einer Geschäftsreise in die damalige Bürgerkriegszone Südossetien im Jahr 1991 schreibt er als Journalist für zahlreiche Medien: Golos, Rossijskije Westi, bis 1994 Nowaja Gaseta, ab 1998 Nesawissimaja Gaseta; seit Anfang der 2000er-Jahre als politischer Beobachter bei Nowaja Model und im entsprechenden Ressort der Iswestija. Er arbeitete als Sonderberichterstatter beim Chefredakteur des Polititscheski Journal, dessen Chefredakteur er selbst im Jahr 2007 wurde. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur von Wsgljad ist zudem ständiger politischer Beobachter bei RIA Nowosti. 

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