
Historische Abläufe als Zumutung – Warum eine Zeitung ein Lawrow-Interview nicht veröffentlicht

Von Gert Ewen Ungar
Das russische Außenministerium hat der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera ein Interview mit Außenminister Sergei Lawrow angeboten. Die Zeitung nahm das Angebot an und schickte Fragen. Die Fragen speisen sich aus dem Geist der westlichen Propaganda. Die Antworten Lawrows darauf korrigieren diese Sicht, indem sie den Ukraine-Krieg in die historischen Abläufe einordnen und die Fehler im westlichen Narrativ über Russland berichtigen.
Lawrow schildert unter anderem, welchen Anteil der Westen an der Eskalation des Konflikts habe und wie vor allem die EU den Krieg in die Länge ziehe. Lawrow korrigiert die Behauptung, beim Krieg in der Ukraine handele es sich um einen imperialistischen Angriffskrieg Russlands, bei dem das Motiv der Landnahme im Zentrum stehe. Lawrow erläutert zudem, wie der Westen die Sicherheitsarchitektur in Europa durch die Absicht, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, zerstört habe. Er wiederholt die Einladung an die westlichen Staaten, an der Errichtung einer neuen Sicherheitsarchitektur auf der Grundlage des Prinzips gegenseitigen Respekts mitzuarbeiten.
Weil die Ausführungen von Russlands Außenminister Sergei Lawrow nicht ins Narrativ passen, veröffentlicht die italienische Zeitung Corriere della Sera ein Interview mit ihm nicht. Das Interview wurde nun vom russischen Außenministerium veröffentlichthttps://t.co/hzYpNw47DD
— Gert Ewen Ungar (@GertEwen) November 13, 2025
Dass sich Lawrow diese Freiheit nimmt, war allerdings schon zu viel für ein Medium des westlichen Mainstreams. Die Redaktion des Corriere della Sera hat sich entschieden, das Interview nicht zu veröffentlichen. Das lesenswerte Interview wurde inzwischen auf der Seite des russischen Außenministeriums publiziert. Die Entscheidung des Corriere della Sera fügt dem Bild, das den Zustand des westeuropäischen Journalismus zeigt, ein weiteres Mosaiksteinchen hinzu.

Dieser Zustand ist ganz einfach in Worte zu fassen: Wer vom offiziellen Narrativ abweicht, wird gecancelt. Abweichungen vom eng gesteckten Korridor des Sagbaren werden nicht zugelassen. Eine offene Diskussion über die Ursachen des Ukraine-Kriegs findet daher nicht statt. Da diese Diskussion nicht stattfindet und das offizielle Narrativ darauf besteht, dass die alleinige Schuld für den Krieg bei Russland liegt, kann Westeuropa zu einer Lösung des Konflikts nichts beitragen. Der Weg, eine Lösung und einen Ausgleich der Interessen zu finden, ist durch die Leugnung der eigenen Mitverantwortung für die Entstehung des Konflikts und durch das Beharren auf der absoluten Richtigkeit der eigenen Position verbaut. Weil die Realität der Abläufe aber das westliche Propaganda-Narrativ in seinen Grundfesten erschüttert und zum Einsturz bringt, ist man nicht mehr in der Lage, die Schilderung dieser historischen Abläufe zu ertragen. Sie erscheinen als Zumutung.
Nichts an dem, was Lawrow sagt, ist falsch. Nichts ist Propaganda oder Desinformation – genau das aber ist das Problem. Wäre das der Fall, ließe es sich schnell entlarven. Wahrheit lässt sich aber nicht als falsch entlarven. Sie lässt sich nur verschweigen. Zu diesem Mittel greift der Corriere della sera.
Falsch sind dagegen die Annahmen, auf denen die an an Lawrow gestellten Fragen beruhen. Lawrows Antworten decken das auf.
Die Frage beispielsweise, "hat der bewaffnete Konflikt in der Ukraine und die darauf folgende internationale Isolation Russlands es Russland nicht unmöglich gemacht, in anderen Krisengebieten, wie etwa im Nahen Osten, effektiver zu agieren?", beruht auf der Annahme, Russland sei isoliert. Das deckt sich zwar mit der in Westeuropa veröffentlichten Desinformation und Propaganda, entspricht aber nicht den Tatsachen.
Das Gegenteil ist der Fall. Russland ist inzwischen ein wesentlich bedeutenderer internationaler Player als die EU. Die EU droht inzwischen aller Welt mit Konsequenzen, wenn EU-Vorgaben wie die Russlandsanktionen nicht umgesetzt werden. Sie macht sich so Widersacher in aller Welt, denn es macht die EU und Bündnisse mit ihr unattraktiv. Russland bietet dagegen Kooperation und bleibt für Gespräche und Verhandlungen auf Augenhöhe offen. Kooperationen mit Russland öffnen Perspektiven, Brüssel dagegen fordert Unterordnung. Brüssel trägt ganz offen imperialistische und neokoloniale Arroganz zur Schau.
Westeuropa ist daher isoliert und hat sich mit dem Festhalten an den eigenen Narrativen von der Partizipation an der internationalen Diskussion obendrein entkoppelt. Was sowohl der Corriere della Sera als auch andere Medien des Mainstreams nämlich übersehen: Die westeuropäischen Narrative gelten nur regional, nämlich in Westeuropa. Außerhalb haben sie keine Gültigkeit. Sie wirken im Gegenteil lächerlich, verbohrt und in ihrer Leugnung von Abläufen und Fakten idiotisch.
Das ist ein Problem, über das man in Westeuropa nicht nachdenkt. Der Krieg geht nämlich auch an der Informationsfront verloren. Man war in der EU so vermessen, zu glauben, die Welt ließe sich eine verkürzte westliche Sicht zum Ukraine-Konflikt aufzwingen. Das ist gescheitert. Inzwischen lassen sich die Informationen, die auf den aggressiven Charakter Westeuropas hindeuten, auch nicht mehr entsprechend umdeuten und umschreiben. Es sind zu viele, und sie sind zu eindeutig. Sie müssen daher unterdrückt werden, wie der Vorfall um das Interview mit Lawrow deutlich macht.
Das Misstrauen gegenüber den eigenen Medien ist in Westeuropa inzwischen so groß, dass auch ein journalistisch ins Narrativ "eingeordnetes" Interview mit Lawrow nicht mehr gebracht werden kann. Es muss komplett verschwiegen werden. Stattdessen setzt man auf immer schrillere Töne, auf noch lauteres Kriegsgeschrei und immer hysterischer klingende Russophobie – das Vertrauen in die Medien lässt sich dadurch natürlich nicht zurückgewinnen. Was allerdings als Nebenwirkung produziert wird, ist, dass man die Konsumenten des Mainstreams an ihrer Einfalt und der Schlichtheit ihrer Gedanken zu komplexen Themen sofort erkennt.
Mehr zum Thema – "Krasse Zensur": Italienische Zeitung lässt Interview mit Sergei Lawrow unveröffentlicht
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