Meinung

Zu teure Senioren? Junge Union und Unternehmerlobby sagen Rentnern den Kampf an

Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, das mickrige deutsche Rentenniveau für sechs weitere Jahre durch Steuermittel zu sichern und Gerechtigkeitslücken für Mütter zu schließen. Die Altersarmut reduziert das kaum. Die Kapitallobby und junge Unionspolitiker wollen das verhindern.
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Von Susan Bonath

Der Bundestag diskutiert mal wieder über die Alterssicherung. Ein Gesetzentwurf der Regierung sieht vor, die Mütterrente gerechter zu gestalten und sogenannte Haltelinien sechs Jahre zu verlängern, um das Rentenniveau nicht weiter in den Keller rutschen zu lassen. Doch selbst ein paar Jahre Status-quo-Erhalt sind einigen Unionsmitgliedern noch zu viel: Die "Junge Gruppe" – 18 Nachwuchsabgeordnete der CDU und CSU – will den Entwurf blockieren und bläst zum Kampf "Jung gegen Alt".

Hungerrenten

Vorab: In den letzten 35 Jahren hatten gewöhnliche Rentner mit gravierenden Kürzungen zu kämpfen, unter anderem durch die Erhöhung des Eintrittsalters von 65 auf 67 Jahre. Seit 1990 sank das Rentenniveau von 55 auf derzeit 48 Prozent vom vorherigen Bruttolohn. Zuvor hatte es zeitweise sogar bei fast 60 Prozent gelegen. Dass Senioren heute nicht noch weniger bekommen, falls sie 45 Jahre durchgearbeitet und eingezahlt haben, ist minimalen staatlichen Eingriffen, der sogenannten "Haltelinie", in die zuvor vorangetriebenen "Reformen" zu verdanken.

Den Anstieg der Altersarmut konnte diese "Haltelinie" bestenfalls verlangsamen, aber nicht aufhalten. Vergangenes Jahr stockten 740.000 Senioren und über 520.000 jüngere Erwerbsunfähige ihre mageren Altersbezüge mit Grundsicherung auf – etwa doppelt so viele wie 2006, Tendenz rasch steigend. Wobei von weitaus mehr Bedürftigen auszugehen ist, die ihre Ansprüche aus Scham oder Überforderung nicht geltend machen.

Vergangenes Jahr erhielt jeder fünfte Rentner mit 45 Erwerbsjahren weniger als 1.200 Euro brutto monatlich. Derzeit bräuchte man einen Stundenlohn von 17,27 Euro, um mit durchgehender Vollzeitarbeit über diesen langen Zeitraum im Alter diese Summe überhaupt zu erreichen. Netto wären das in etwa 1.050 Euro – immer noch zu wenig für viele Alleinstehende, um bei den heutigen Lebenshaltungskosten über die Runden zu kommen.

Hinzu kommt, dass die Arbeitsverhältnisse prekärer werden. Viele haben heute nicht mehr das Glück, durchgehend bei entsprechendem Gehalt beschäftigt zu sein – mit Ausnahme vielleicht von Beamten, aber diese zahlen in die gesetzliche Rentenversicherung nichts ein. Arbeitslosigkeit und notgedrungene Umschulungen hinterlassen Lücken in der Rentenbeitragsbiografie. Und selbst wer immer wieder gleich was Neues findet, aber zeitlebens im Niedriglohnsektor, zuletzt für Mindestlohn geackert hat, bekäme heute nach 45 Jahren mit der Rente etwa 920 Euro netto ausgezahlt – eine Summe, die man mancherorts für eine Einraumwohnung zahlt.

Status quo verlängern

Der diskutierte Gesetzentwurf sieht nun vor, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu halten. Überdies sollen für Erziehungszeiten für vor und nach 1992 geborene Kinder gleichermaßen drei Jahre auf die Altersbezüge angerechnet werden. Bisher sind Mütter von älterem Nachwuchs hier benachteiligt, ihnen werden nur 30 Erziehungsmonate angerechnet. Diese sogenannte Mütterrente hatte der Gesetzgeber 2014 eingeführt.

Es geht also keineswegs um Wohltaten für Rentner, sondern um einen für wenige Jahre befristeten Erhalt des Status quo der Rentenhöhe und das Schließen der Gerechtigkeitslücke für Mütter. Apropos Kinder: Immer gern verschwiegen wird, dass das Kapital durchaus selbst Interesse daran hat, dass sich die benötigte Arbeitskraft in Form von Nachwuchs reproduziert. Nur aufkommen wollen die Profiteure dafür nicht. Mit Blick auf die Politik könnte man das im Kreuzfeuer stehende Vorhaben auch so qualifizieren: Die Mehrheit der Regierungspolitiker will offenbar die Zahl verarmender Senioren, die man schon heute oft beim Flaschensammeln sieht, nicht ganz so drastisch explodieren lassen.

Die Beitragslüge

Der seit langem vor allem im Interesse großer Unternehmen agierende Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt die geplante wirkungsarme Bremse in seiner Stellungnahme und schwenkt dazu mal kurz seine sozialdemokratische "Flagge": Das Rentenniveau müsse aber zusätzlich "dauerhaft auf 50 Prozent angehoben werden." Es sei im internationalen Vergleich in Deutschland nämlich unterdurchschnittlich. Das liege auch an dem "niedrigen Beitragssatz" von 18,6 Prozent, der zur Hälfte vom Bruttolohn des Beschäftigten abgezogen wird und den zur anderen Hälfte das Unternehmen obendrauf packt.

Es stimmt, dass in anderen europäischen Ländern mehr Geld pro Beschäftigtem in die Sozialkassen fließt. Im Unterschied zu Deutschland sind die Beitragssätze dort aber anders aufgeteilt: Der Arbeitnehmer zahlt im Schnitt nur ein Viertel des Gesamtbetrags, den Rest muss der Arbeitgeber tragen. Somit bleibt die Brutto-Netto-Diskrepanz in vielen EU-Ländern viel geringer als in der BRD.

Löhne drücken mit Sozialabgaben

In Italien beispielsweise gehen für ältere Beschäftigte rund 43 Prozent vom Brutto für die gesamte Sozialversicherung, einschließlich Krankenkasse, drauf. Vom Arbeitslohn fließen davon aber nur gut zehn Prozent ab, den Rest finanziert das Unternehmen. In Spanien zahlen Arbeitnehmer sogar nur 6,4 Prozent selbst, etwa 32 Prozent vom Brutto kommen vom Arbeitgeber hinzu. In Frankreich ist es ähnlich: Dort liegt der Beitrag für die Rente je nach Alter bei rund 25 Prozent, für die Krankenversicherung bei 14 Prozent. Der Angestellte selbst zahlt allerdings insgesamt nur etwa neun Prozent, drei Viertel trägt der Betrieb.

Kurz gesagt: In Deutschland beträgt die Höhe der Beiträge für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung inklusive Zusatzbeitrag zusammengenommen bei etwa 34,5 Prozent. In den genannten Nachbarstaaten hingegen sind diese Abgaben mit gut 38 bis 43 Prozent vom Brutto deutlich höher. Doch während dort die Arbeitnehmer nur rund ein Viertel davon tragen, beharrt die deutsche Politik auf dem Hälfte-Hälfte-Prinzip.

Dass Beschäftigte in Deutschland weniger Netto vom Brutto haben als in anderen EU-Staaten, liegt also nicht an überbordenden Sozialbeiträgen, wie es gerne suggeriert wird, sondern daran, dass die Arbeitgeberanteile in der BRD viel niedriger sind. So minimiert man die Arbeitskosten der Konzerne – und drückt durch hohe Abgaben die Nettolöhne der Beschäftigten.

Militarisierung statt Alterssicherung

Der größte Kapitalverband Deutschlands, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), stemmt sich wie erwartet dagegen, seinem "Humankapital" ein auskömmliches Leben zu bescheren, erst recht im Alter, wenn es nicht mehr für die Kapitalverwertung taugt. Rund 200 Milliarden Euro werde der Erhalt des (kläglichen) gegenwärtigen Rentenniveaus innerhalb von 15 Jahren zusätzlich verschlingen, klagt er. Das sind gut 13 Milliarden Euro pro Jahr – das hört sich schon ganz anders an.

Abgesehen davon, dass man das Geld durch eine höhere Beteiligung der Unternehmen komplett sparen könnte: Bedenkt man die zusätzlichen, schuldenfinanzierten, aber letztlich auf den Schultern der Arbeiter lastenden Sondervermögen fürs Militär und entsprechende Infrastruktur, die 2022 und 2025 in einer Gesamthöhe von 600 Milliarden Euro beschlossen wurden, dazu die Verdoppelung der Militärausgaben auf rund 90 Milliarden Euro pro Jahr, wird klar, wo hier die Prioritäten liegen: Für die Profitmaximierung einiger weniger, und sei es durch Krieg, scheut die Politik keine Kosten. Rentner haben diese Lobby nicht.

Nützlichkeitsdenken

Selbst wenn das Gesetz demnächst beschlossen würde, befürchtet der Sozialverband VdK einen weiteren Absturz des Rentenniveaus und eine Explosion der Altersarmut, sobald die aktuelle "Bremse" 2032 ausläuft. Dann könnte die Rente 2040 nur noch 46 Prozent vom Brutto betragen, warnt er in seiner Stellungnahme.

Ob das Gesetz tatsächlich durchgeht, steht aber noch nicht fest. Ein kleiner Zusammenschluss von Nachwuchsabgeordneten innerhalb der Unionsfraktion, die sogenannte "Junge Gruppe", ist dagegen in die Schlacht gezogen. Deren "Chef", der 30-jährige CDU-Karrierist Pascal Reddig, wetterte, der Gesetzentwurf zur Sicherung des Status quo treibe die Sozialausgaben in die Höhe, dies "zulasten der nächsten Generation". 

Das Nützlichkeitsdenken der neoliberalen Marktlogik lässt grüßen: Wer für die Profitmaximierung nicht mehr taugt, kann "weg", salopp gesagt, ob arbeitslos, krank oder alt – egal. Bundeskanzler Merz hat sich bei seiner erbosten Jugendorganisation, der "Jungen Union", wegen der "Differenzen" bereits als Redner angekündigt. Mal sehen, ob er einknicken – und die SPD ihm folgen wird. So oder so werden immer mehr verarmte Senioren zum neuen deutschen Stadtbild gehören – ganz ohne Zutun irgendeines Migranten.

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