Meinung

Ukraine blutet, Europa zahlt, Norwegen kassiert

In die Debatte um den Raub russischer Vermögen könnte auch ein Nicht-EU-Land verwickelt werden: Norwegen. Das nordeuropäische Land hat mit seinem Erdgas gewaltig von den Russlandsanktionen profitiert. Zumindest in Frankreich und Dänemark wird das inzwischen klar wahrgenommen.
Ukraine blutet, Europa zahlt, Norwegen kassiert© Urheberrechtlich geschützt

Von Dagmar Henn

Noch ist die Auseinandersetzung unauffällig, aber sie könnte bald wesentlich deutlicher werden. Im Zusammenhang mit den Vorstellungen der EU-Kommission, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte als "Sicherheit" für einen Kredit an die Ukraine zu nutzen, also zu beschlagnahmen, geht es jetzt auch um den norwegischen Staatsfonds.

Die belgische Euroclear, bei der die überwiegend aus Staatsanleihen anderer Länder stammenden russischen Guthaben gehalten werden, verlangt nämlich eine Absicherung für den Fall, dass sie außerhalb des Westens für diese Aneignung fremder Guthaben verklagt wird. Die belgische Regierung, der klar ist, dass andernfalls Euroclear seine Marktstellung verliert, unterstützt diese Forderung. Allerdings sind die meisten EU-Länder gar nicht in der Lage, mal eben einen Betrag abzusichern, der durchaus die gesamten 140 Milliarden Euro, von denen die Rede ist, umfassen kann. Die französische Nachrichtenagentur AFP hat in einem Artikel vom Freitag dazu angemerkt: "Einigen tief verschuldeten Ländern, wie Frankreich, würde es schwerfallen, einer solchen Forderung zuzustimmen."

Dieser Artikel ist allerdings auch sonst sehr interessant ‒ die Überschrift lautet nämlich: "Wird der 'Kriegsgewinnler' Norwegen die Ukraine finanziell retten?" Hinter dieser Überschrift steht eine vielfach übersehene Tatsache: Während die meisten EU-Länder und deren Bürger, auch Deutschland, durch die Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden, massive Verluste machten und sogar dabei sind, ihre Industrien zu verlieren, fuhr das kleine Norwegen mit fünf Millionen Einwohnern durch die explodierenden Gas- und Ölpreise enorme Gewinne ein. Allein für die Jahre 2022 und 2023 werden sie auf 108 Milliarden Euro geschätzt. Das sind umgerechnet 20.000 Euro pro Einwohner.

Jens Stoltenberg, der ehemalige NATO-Generalsekretär, der heute wieder als norwegischer Finanzminister dient, hat jüngst in einem Gespräch mit der Sunday Times erklärt

"Wir liefern jetzt sieben Milliarden Euro direkte finanzielle Unterstützung an die Ukraine, das meiste militärisch. Kein anderes Land leistet mehr. Verglichen mit dem BIP oder pro Kopf, und selbst in absoluten Zahlen ist Norwegen ‒ mit nur fünf Millionen Menschen ‒ unter den Spitzenlieferanten."

Praktischerweise ist Norwegen kein Mitglied der EU. Es würde also im Fall, dass der Wahnsinnsplan der EU-Kommission umgesetzt wird und zu den erwarteten Folgen führt, nicht mit herangezogen, um den angeblichen Kredit an die Ukraine (von dem jeder weiß, dass er nie zurückgezahlt werden wird) zu decken, wenn internationale Gerichte erwartungsgemäß entscheiden, dass die russischen Guthaben herausgerückt werden müssen.

"Indem sie diese Profite hortete, machte Norwegens Regierung das Land zu einem Kriegsgewinnler", erklärten zwei norwegische Wirtschaftswissenschaftler, Håvard Halland und Knut Anton Mork, vergangenen Monat in einem Kommentar. Norwegen könne dank seines enormen Nationalfonds von geschätzt 2,1 Billionen US-Dollar, in den die Gewinne aus der Gas- und Ölförderung fließen, alleine die ukrainischen Schulden absichern, "ohne einen Kratzer in seiner Kreditbewertung". Eine Idee, die, so die französische Nachrichtenagentur, von der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen nur mit "Das wäre großartig" kommentiert wurde.

Arild Hermstad, der Chef der norwegischen Grünen, auf deren Stimmen es bei der Verabschiedung des kommenden norwegischen Haushalts ankommen könnte, erklärte: "Norwegen ist das einzige Land in Europa, das so viel Geld beiseite gelegt hat und eine solche Summe aufbringen kann, ohne Schulden aufzunehmen oder Steuern zu erhöhen."

Frankreich ist der EU-Staat, dessen finanzielle Lage am kritischsten gesehen wird, da das Land es seit dem Verlust der afrikanischen Tribute noch nicht geschafft hat, einen einzigen stabilen Haushalt aufzustellen. Auch andere EU-Staaten haben zunehmend Probleme, weil die geplante Aufrüstung überall mit Krediten finanziert wird. Gleichzeitig ist klar, dass die Pläne der Kommission vor allem eine Folge haben werden: Die Nachfrage nach Staatsanleihen aus der EU dürfte massiv nachlassen. Die Beschlagnahme der russischen Vermögen und eine kreditfinanzierte Aufrüstung, das ist so unvereinbar wie Energiewende und KI-Ausbau ‒ es geht immer nur das eine oder das andere.

Das Gedächtnis des norwegischen Finanzministers Jens Stoltenberg jedenfalls ist bezogen auf die Finanzen seines Landes ebenso unzuverlässig wie in Bezug auf die Eskalation des Ukraine-Konflikts. Im letzteren Fall ignoriert er alle Kriegshandlungen Kiews von 2014 bis 2022, und wenn es ums Geld geht, ignoriert er die Vorteile, die sein Land aus den Russlandsanktionen zog. Es deutet sich jedoch an, dass sich die Beziehungen Norwegens zu einigen Ländern der EU in naher Zukunft verschlechtern könnten. Je leerer die Kassen dort werden, desto weniger wird selbst die Bereitschaft, jede Provokation in der Ostsee mitzumachen, davon ablenken können, wer in den letzten Jahren verloren ‒ und wer gewonnen ‒ hat.

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