Anna Netrebko in Zürich – Ein Abend, der zeigte, dass Kunst noch überzeugen kann
Von Hans-Ueli Läppli
Es war bereits so viel über Anna Netrebko geschrieben worden, dass man hätte glauben können, die Vorstellung sei damit erledigt. Rezensionen, Kommentare, moralische Einschätzungen, geopolitische Ferndiagnosen.
Manchmal hatte man fast den Eindruck, Netrebko bestehe weniger aus Stimmbändern als aus politischer Symbolkraft. Und doch, ich möchte von diesem Abend erzählen. Von dem, was tatsächlich geschah, als die Lichter im Zürcher Opernhaus langsam ausgingen und der Saal sich senkte wie ein Vorhang über unnötige Debatten.

Zunächst dies: Die Zeit, in der man Opern wie Netflix-Serien behandelte, scheint ihrem Ende entgegenzugehen. Genug von dramaturgischen Konzepten, in denen Schneewittchen schwarz, die sieben Zwerge nonbinär und der Jäger ein Start-up-Gründer aus New York ist. Genug davon, dass jede Handlung pädagogisch korrigiert wird, bis niemand mehr weiß, wer wen liebt oder warum überhaupt jemand singt. Man spürte an diesem Abend eine gewisse Müdigkeit gegenüber dem permanenten Versuch, die Welt zu verbessern, indem man Dekor umbaut.
Netrebkos Stimme war das Gegenmittel. Ein Timbre, das keinen Diskurs sucht. Es nimmt den Raum ein, ohne sich zu entschuldigen. Es gibt, so sagt man manchmal im Scherz, auf dieser Welt zwei Stimmen, die unmittelbar das Herz erreichen. Die einer Mutter, die ein Kind in den Schlaf singt. Und die von Anna Netrebko, wenn sie "Pace, pace, mio Dio" beginnt. Man hörte es auch hier. Eine Stimme, der man nicht widersprechen muss. Man lässt sie einfach geschehen.
Und ja, für jene, die gern alles in Symbolik auflösen, war die Inszenierung vermutlich ein enttäuschender Abend. Keine Regenbogenfahne flatterte über der Bühne. Keine Figur erklärte ihre Identität in einer begleitenden Monologpause. Keine Schneewittchen-Transformation, keine sieben politisch neu interpretierten Bergarbeiterkollektive. Stattdessen eine Realität, die eher an Nachrichtenbilder erinnerte. Trümmer, grelles Licht, eine Landschaft, in der Entscheidungen Folgen haben und keine ästhetischen Likes.

Für manche war das zu direkt. Einige hätten lieber das übliche Sicherheitsgefühl gehabt, bei dem Gewalt, Trauer und Leidenschaft immer leicht ironisch gebrochen sind. Hier war nichts gebrochen. Es war alles ernst.
Interessanterweise zeigte sich gerade darin eine gewisse Befreiung. Nicht die große, revolutionäre Befreiung, sondern eine stille. Man konnte einfach zuhören. Ohne Haltungskorrektur. Ohne moralische Vorleistung.

Die Sängerin wirkte, als sei sie mit dem Raum vertraut, bevor sie ihn überhaupt betreten hatte. Nichts an ihrem Auftreten war betont oder gewollt. Die Figur, die sie verkörperte, entwickelte sich aus ihrem Inneren heraus und nicht aus gespielter Geste. So entstand ein Ausdruck, der sich ohne Erklärung erschloss. Die Aufführung gab Zeit, nicht nur zu sehen, sondern zu hören und in der Stille dazwischen zu bleiben. Die Kunst stand für sich, ohne Absicht, jemanden zu überzeugen oder zu belehren – sie war einfach gegenwärtig.
Und gerade das machte diesen Abend überraschend kostbar.
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