
Warum droht Belgiens Verteidigungsminister Moskau?

Von Pjotr Akopow
Theo Francken hat seine "15 Minuten des Ruhms" erhalten. Noch bis zum gestrigen Tag war er nur in seinem Heimatland Belgien bekannt. Dort machte er vor zehn Jahren, während der gesamteuropäischen Migrationskrise, von sich reden, als er sich gegen die Aufnahme von Migranten aussprach. Inzwischen hat die ganze Welt von dem 47-jährigen Politiker gehört. Kein Wunder – er hat nämlich gedroht, Moskau "vom Antlitz der Erde" zu tilgen. Kann dies vor dem Hintergrund, dass Francken Verteidigungsminister des NATO-Landes Belgien ist, als offizielle Position der Allianz gewertet werden?
Bei dieser Frage geht es ums Detail. Denn eigentlich hat Francken in seinem Interview für die belgische Zeitung De Morgen vor der Gefahr einer Unterschätzung der Russischen Föderation gewarnt, die er als "geopolitische Macht mit starker Armee und hoher Kampfmoral" bezeichnete. Die EU habe indessen nicht einmal ein zentrales Kommando:
"Mit Ausnahme einiger Verbände des Eurokorps in Straßburg haben wir nichts, was wir direkt in den Kampf schicken könnten."
Außerdem produziere Russland viermal mehr Munition als sämtliche NATO-Länder und kaufe Munition auch noch zu kleineren Preisen als die Atlantiker, klagt Francken. Woher also das mit der Zerstörung Moskaus?
Diese Äußerung rührt von den Logikproblemen des Verteidigungsministers eines kleinen europäischen Landes her. Erst sagt er, dass "Menschen, die behaupten, dass wir keine Angst vor den Russen haben sollen, sich gewaltig irren." Dann versichert er, dass man keine Eskalation fürchten sollte, und überhaupt, ein Angriff gegen Brüssel werde Russland die Hauptstadt kosten. Ja, all das passt in einem Kopf zusammen. Denn einerseits müssen die Menschen mit der angeblichen russischen Bedrohung eingeschüchtert werden, um der Ukraine weiterzuhelfen und die eigenen Militärausgaben zu steigern. Andererseits gilt es, den eigenen Landsleuten zu versichern, dass ihnen ganz sicher nichts passieren und keine russische Rakete sie treffen werde. Aber geht so etwas überhaupt?

Sicher, denn genau das tut Francken. Auf die Frage, ob Tomahawk-Lieferungen nicht zu einem Wendepunkt würden, wie der Kreml warnt, antwortet er, dass Putin dasselbe bezüglich der Lieferungen von Panzern, Marschflugkörpern und F-16 behauptet habe. All diese russischen Warnungen würden nichts bedeuten, und die Hauptlektion bestehe darin, dass "wir uns nicht einschüchtern lassen" sollten. Also müssten die Waffenlieferungen gesteigert werden, um Russen "anzugreifen, was wir endlich auch tun", so der Minister. Damit meint er, dass "die Ukrainer mit unseren Waffen, Munition und Geld" kämpften und ohne diese längst eine Niederlage erlitten hätten.
Den Europäern werden diese Russen im Gegenzug nichts tun, versichert Francken. Und wieso nicht?
"Weil Putin weiß: Wenn ich Atomwaffen einsetze, werden sie Moskau vom Antlitz der Erde tilgen. Dann kommt das Ende der Welt."
Der interviewende Journalist teilt die Zuversicht des belgischen Ministers offensichtlich nicht und fragt nach, ob Francken keine Angst habe, dass Putin eine nichtnukleare Rakete auf Brüssel abfeuern werde. Natürlich nicht:
"Dann würde er das Herz der NATO treffen, und wir werden Moskau dem Erdboden gleichmachen."
Eine solch innige Überzeugung erschreckt den Journalisten zunehmend, und in einigen Fragen versucht er, herauszufinden, wieso sich Francken so sicher ist, dass Trump den Artikel 5 der NATO-Satzung erfüllen werde – einfacher gesagt, wieso die USA für Brüssel Rache nehmen und damit New York einem Gegenangriff ausliefern sollten.
Doch Francken lässt sich nicht beirren. Erst klagt er, dass Europa Trump gegenüber zu voreingenommen sei, dann räumt er ein, dass der US-Präsident oft "merkwürdige Anmerkungen" (gerade in Bezug auf Artikel 5) mache, doch diese seien nicht zu beachten. Als er versteht, zu viel gesprochen zu haben, versucht Francken, wieder vom Thema der "russischen Rakete" wegzukommen. Putin werde es einfach nicht tun, und Schluss ist. Dagegen seien "Szenarien in der Grauzone" zu befürchten:
"Kaum hat man sich's versehen, werden sie ein Stück Estland annektieren."
An dieser Stelle könnte man einwenden, dass für einen echten Atlantiker ein Stück Estland nicht weniger wertvoll als Brüssel sein sollte und dass Moskau dafür ebenfalls mit Einäscherung zu drohen sei, doch provozieren wir den Minister nicht. Schließlich ist er eine Geisel der Umstände, in denen sich nunmehr die gesamte europäische Elite wiederfindet. Sie muss ihre Bürger gleichzeitig mit der "russischen Bedrohung" einschüchtern und ihnen zusichern, dass der US-Nuklearschirm ihnen nicht nur ein sicheres Alter garantiere, sondern auch die Möglichkeit, den Proxykrieg gegen Russen endlos zu führen. Dabei kann niemand garantieren, dass die USA Brüssel New York vorziehen werden, falls es – Gott bewahre – so weit kommt. Brüssel wird nur dadurch gerettet, dass Russland tatsächlich nicht vorhat, es anzugreifen – wir haben wichtigere Ziele, und zwar in jeder Hinsicht.
Freilich gibt es Fragen an Belgien – unter anderem, weil sich dort der Großteil der eingefrorenen russischen Vermögenswerte befinden, die in Euro nominiert sind. Bisher widersteht der belgische Ministerpräsident ihrer Beschlagnahmung und fordert von den europäischen Brüdern, die Risiken von möglichen russischen Reaktionen zu teilen. Damit hat es aber niemand eilig, nicht einmal Frankreich, die einzige Atommacht der EU. Warum auch – sollen doch die USA Brüssel vor den Russen schützen. Frankreich wird den Nachbarn weder militärisch noch finanziell beistehen. Doch es gibt da ein Problem: Eigentlich halten die USA all das für russisch-europäische Probleme, die sie hinter dem Ozean nichts angehen.
Fairerweise sei angemerkt, dass sich in Franckens Interview auch ein vernünftiger Gedanke findet: Er meint, dass es unmöglich sei, "die Russen militärisch in die Knie zu zwingen." Freilich fügt er hinzu, dass dies nicht ohne Entsendung hunderttausender europäischer Soldaten gehe, doch dazu fehle es am politischen Willen. Es gibt auch keine Möglichkeit dazu. Eine direkte Teilnahme europäischer Armeen am Ukraine-Konflikt würde diesen in das Format eines direkten Krieges zwischen Russland und der NATO überführen, und dann müsste man sich um Brüssel tatsächlich Sorgen machen. All das versteht Francken übrigens und schlägt deswegen vor, Russland wirtschaftlich mittels Sanktionen zu besiegen:
"Wir müssen versuchen, Russland wirtschaftlich zu brechen. Im vergangenen Jahrhundert gelang das uns schon dreimal."
Die letzte Anmerkung ist wohl am merkwürdigsten – was meint der Belgier? Vielleicht den wirtschaftlichen Druck auf Russland während des Russisch-Japanischen Krieges, als Europa einen Kredit an Russland ablehnte? Oder den Zerfall des Russischen Reiches im Ersten Weltkrieg, der ebenfalls vor allem innenpolitische Gründe hatte – ganz zu schweigen davon, dass das von Deutschland besetzte Belgien damals zu Russlands Verbündeten gehörte. Vielleicht den Zusammenbruch der UdSSR? Hier schreibt sich der Westen die eigenen Fehler der Sowjetunion und Gorbatschows wahnsinniger Reformen zu. Meint er den gegenwärtigen Druck? Doch der begann bereits 2014 und verstärkte sich 2022, und alle verstehen, dass es nicht gelungen ist, Russland zu brechen. Und es wird auch nicht gelingen, egal was man uns für Brüssel androht.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 30. Oktober bei "RIA Nowosti".
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