Meinung

Nach Bild-Kampagne und zweifelhaftem "Hamas-Dokument": Wie das ZDF seine Kollegen verrät

Ein von Israel gezielt getöteter Techniker einer Partner-Medienfirma des ZDF in Gaza sei "Hamas-Mitglied" gewesen. So verteidigte der Sender nach einer Springer-Kampagne den illegalen Mord an dem Kollegen. Als "Beleg" genügte dem ZDF ein fragwürdiger Screenshot der israelischen Armee.
Nach Bild-Kampagne und zweifelhaftem "Hamas-Dokument": Wie das ZDF seine Kollegen verrätQuelle: Gettyimages.ru © Abdalhkem Abu Riash/Anadolu

Von Susan Bonath

Wer erinnert sich noch an die angeblich gefundenen Pässe vermeintlicher Attentäter mitten in den Ruinen des World Trade Centers nach dem 11. September 2001? Geschichten von gefundenen "Dokumenten" gibt es inzwischen viele, um Kritiker mundtot zu machen oder illegale staatliche Morde und Angriffskriege zu rechtfertigen. Dokumente zu fälschen, ist heute selbst für Laien kein Kunststück mehr. Vor allem von Tätern verbreitete "Belege" dieser Art sind ohne unabhängige Untersuchung vollkommen wertlos. Journalisten, die daraus Fakten konstruieren, betreiben Propaganda – so wie nun das öffentlich-rechtliche ZDF.

Screenshot vom Täter 

So bekannte das ZDF am Montag reumütig, dass ihm der des mutmaßlichen Völkermords international angeklagte westliche Verbündete Israel "Dokumente vorgelegt" habe, die angeblich "belegen", dass der von ihm gezielt getötete Mitarbeiter der Produktionsfirma PMP "Mitglied der Hamas war." Daraufhin habe der Sender die Zusammenarbeit mit der Firma "bis auf Weiteres" beendet

Hintergrund ist ein gezielter Luftangriff der israelischen Armee am 19. Oktober trotz vereinbarter Waffenruhe auf ein Journalistenteam im Gazastreifen, das seit Langem Material an das ZDF lieferte – weil Israel ausländischen Journalisten den Zugang verwehrt. Dabei tötete die israelische Armee IDF einen Techniker,  den achtjährigen Sohn eines anderen Beschäftigten und verletzte einen weiteren Mann schwer. 

Der öffentlich-rechtliche Sender blendete in seinen Montagabend-Nachrichten kurz einen Screenshot dieses "Dokuments" ein, den ihm offenbar die IDF übermittelt hatten. Dabei handelte es sich um eine arabisch beschriftete Tabelle mit Jahresdaten von 2009 bis 2018 und einem Foto des Getöteten. Das angebliche "Dokument" belege, so das ZDF, eine "Hamas-Mitgliedschaft" des Getöteten "als niedrigrangiger Offizier".

Ausgerechnet von einem ehemaligen  Angestellten des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet ließ der Sender die Behauptung "untermauern" – eine "Expertise", die kaum als neutral gelten kann. So behauptete der Ex-Geheimdienstler Matti Steinberg gegenüber dem ZDF: 

"Es handelt sich um ein formales, originales und authentisches Dokument."

Fraglos hätte Israels vom Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) wegen schwerer Völkerrechtsverbrechen gesuchter Premier Benjamin Netanjahu das Gleiche erzählt. 

Notorische Lügner 

Die Glaubwürdigkeit dieses "Dokuments" ist nicht nur deshalb zweifelhaft, weil der Screenshot direkt vom Täter übermittelt wurde, der daran interessiert ist, eigene Verbrechen zu vertuschen. Unabhängig prüfen ließ das ZDF das Foto offensichtlich auch nicht. Mehr noch: Mitglieder der israelischen Regierung und Armee wurden (nicht nur) in den letzten beiden Jahren immer wieder beim Lügen erwischt. 

Beispiele dafür gibt es viele, darunter das Massaker an 15 Sanitätern, deren Leichen die IDF danach samt Krankenwagen mit einem Bulldozer verscharrten, das sogenannte Mehlmassaker 2024 oder den angeblichen Hamas-Dienstplan unter einem bombardierten Kinderkrankenhaus, der sich später als bloßer Kalender mit zweckentsprechend darauf vermerkten Wochentagen entpuppte

Dass Israel einerseits keine ausländischen Journalisten in den Gazastreifen lässt, andererseits vielfach gezielt palästinensische Reporter getötet hat, ist bekannt. Der vom Westen gestützte Besatzerstaat rechtfertigte viele dieser Morde mit einer vermeintlichen "Hamas-Mitgliedschaft". So veröffentlichten die IDF im Fall des von ihnen ermordeten 28-jährigen Al-Jazeera-Korrespondenten Anas Al-Sharif eine wahrscheinlich gefälschte "Hamas-Mitgliedschaftsliste" und ein altes Foto Al-Sharifs mit Ismail Haniyya, dem von Israel 2024 illegal in Iran getöteten Chef des Hamas-Politbüros. Dass dies, selbst wenn es wahr wäre, keinen politischen Mord an einem Journalisten rechtfertigt: geschenkt. 

Irreführender Talking Point 

Noch wichtiger als die zweifelhafte Glaubwürdigkeit der vom Täter selbst gelieferten "Belege" und Israels Bruch des vereinbarten Waffenstillstandes aufgrund ebenso unbelegter Behauptungen eines angeblichen "Hamas-Angriffs" ist ein anderer Aspekt: Eine bloße Mitgliedschaft in einer feindlichen Organisation rechtfertigt auch im "Krieg" keine gezielte Tötung außerhalb von Gefechten. Danach dürfen ausnahmslos aktive, bewaffnete Kombattanten getötet werden. 

Es ist ausgeschlossen, dass die IDF aus dem Medienbüro vor der Bombardierung desselben angegriffen wurden. Der getötete Techniker war auch nicht bewaffnet, sondern ging seiner Arbeit für die Medienfirma nach. Das "Dokument" ist letztlich nur ein irreführender Talking Point zur Legitimierung von Verbrechen. Denn zu beweisen wäre ein aktiver Kombattantenstatus zum Zeitpunkt des Mordanschlags. 

Wäre das anders, hätte man auch den Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 damit billigen können, dass alle getöteten erwachsenen jüdisch-israelischen Zivilisten zumindest mal Mitglied der IDF – also der völkerrechtswidrig handelnden Militärbesatzungsmacht – waren. Danach dürfte die Hamas sogar, hätte sie die Möglichkeit dazu, israelische Soldaten im Urlaub in Thailand bombardieren. Und Russland könnte mit der Begründung etwa ukrainische Krankenhäuser angreifen, die verwundete Soldaten behandeln. 

Das ZDF sollte das wissen. Doch anstatt zu betonen, dass es auf die Echtheit des fragwürdigen "Dokuments" gar nicht ankommt, um den Mordanschlag als illegal zu qualifizieren, fiel der Sender in den Chor der Unterstützer der völkerrechtswidrigen, rassistischen Besatzung Palästinas und des mutmaßlich von Israel verübten Völkermordes ein, die da rufen: "Wir haben es doch immer gewusst, dass die alle 'Hamas' sind!" So rechtfertigt das öffentlich-rechtliche Zweite Deutsche Fernsehen am Ende illegale Morde fernab von Recht und Gesetz, sogar an eigenen Kollegen – und stachelt nicht zuletzt die Täter zum Weitermachen an. 

Eingeknickt nach Springer-Kampagne 

Betrachtet man die Vorgänge und die Realität objektiv, ist letztlich ein anderes Szenario viel plausibler. Es war, wenig verwunderlich, das proisraelische und für seine Hetzkampagnen gegen Unterprivilegierte bekannte Axel-Springer-Boulevardblatt Bild, das die Story am 23. Oktober losgetreten hatte. Zunächst muss man hier erst mal genauer hinschauen. 

Dass der Axel-Springer-Verlag im Auftrag Israels Propaganda betreibt, ist kein Geheimnis. Seit Jahren verdient der Konzern an der illegalen Besatzung mit. So betreibt er das Immobilienportal Yad2, das unter anderem im völkerrechtswidrig von Israel besetzten Westjordanland Wohnungen an Siedler verkauft. Vor über elf Jahren rühmte sich der Springer-Konzern mit dem Erwerb der Marktplattform selbst. 

Fake-News-Schleuder Bild

Entsprechend verhält sich der Verlag bei seiner "Berichterstattung": So verbreitete er über seine Medien zum Beispiel vor gut einem Jahr Fake News unter Berufung auf ein "israelisches Geheimdienstdokument", um Netanjahu zu stützen und die Fortsetzung israelischer Massaker in Gaza zu rechtfertigen.

Für ihre Propaganda würdigt der Staat Israel die Chefs der Springer-Blätter regelmäßig mit Ehrungen. Zuletzt vor wenigen Tagen verlieh dessen Präsident Jitzchak Herzog dem Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner einen  "Orden" unter dem Label "Presidential Medal of Honour" (zu Deutsch: Ehrenmedaille des Präsidenten) wegen dessen vermeintlicher "Solidarität mit dem jüdischen Volk" – eine in Deutschland rege praktizierte (und antisemitische) Gleichsetzung des Staats Israel mit allen Juden. Stolz berichtete die Bild selbst darüber.  

Viele offene Fragen 

Die Bild in ihrer bekannten Funktion als (nicht nur) israelische Fake-News-Schleuder mit einer mächtigen Millionenreichweite in Deutschland, die genau wie israelische Führungskräfte schon zigfach beim Lügen ertappt worden war, hat also vier Tage nach der illegalen Ermordung des Medientechnikers und des achtjährigen Kindes eine ihrer üblichen Hetzkampagnen losgetreten, in der sie die Hamas-Mitgliedschaft unter einziger Berufung auf den Täter behauptete. Weitere vier Tage später – also acht Tage nach dem Bombenanschlag – bekam das ZDF dann offenbar besagtes "Dokument" vom Täter zugeschickt – und versank sogleich in tiefste Unterwürfigkeit. 

Man muss sich auch fragen, was der öffentlich-rechtliche Sender möglicherweise noch so bekam: Drohungen vielleicht? Und warum dauerte es eigentlich acht lange Tage, bevor die IDF mit einem "Dokument", das sie ja schon vorher besessen haben müssen, herausgerückt sind? Mussten sie dieses vielleicht erst (schlecht) fälschen? Als Journalist sollte man sich nicht nur solche Fragen stellen – man muss es. 

Abgesehen davon dürfte allein der Druck, den das Propagandablatt des Axel-Springer-Verlags mit seiner Millionenreichweite imstande ist, zu erzeugen, ausgereicht haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass Medien vor derlei Hetzkampagnen einknicken, zumal hier die deutsche "Staatsräson" noch oben drauf kommt, verbunden mit dem allgegenwärtigen Antisemitismus-Vorwurf, der schon mal Posten kosten kann. 

Verrat an Kollegen 

Letzten Endes ist auch der moralische Aspekt nicht zu unterschätzen. Israel als völkerrechtswidriger Kolonialbesatzer unter dem Schutzschirm des Gewohnheitsverbrecherimperiums USA hat innerhalb von zwei Jahren mehr als 250 Journalisten und Medienmitarbeiter großteils gezielt mit der immer gleichen, aber irrelevanten "Begründung" einer angeblichen "Hamas-Mitgliedschaft" ermordet. Zugleich lässt Israel keine ausländischen Journalisten in die abgeriegelte Enklave, die einem Vernichtungslager gleicht. Der Grund liegt auf der Hand: Ein Täter will nicht, dass jemand seine Grausamkeiten dokumentiert. 

Westliche Medien, darunter das ZDF, sind daher auf einheimische Journalisten im Gazastreifen angewiesen. Es ist ihre Pflicht, ihre Kollegen vor Ort, die unter elenden Bedingungen leben und selbst vielfach Angehörige verloren haben, in Schutz zu nehmen, auch vor israelischen Hetzkampagnen mit so irrelevanten wie fragwürdigen "Belegen". Doch das tun sie ebenso wenig, wie sie die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Israels unterdrückender Armee und Palästinas unterdrückter Bevölkerung analysieren. 

Die unterwürfige Kollaboration des ZDF mit der Macht, in diesem Fall verkörpert von Israel, ist nur ein Symptom für eine herablassende Kolonialherrenmentalität, mit der sich deutsche Medien im Einklang mit der deutschen Politik gegenüber palästinensischen Kollegen aufführen, ihre Arbeit delegitimieren und sogar ihre Ermordung und die ihrer Angehörigen rechtfertigen. Es ist nur ein Zeugnis dafür, wie tief die "Qualitätspresse" mit der westlich-imperialistischen Macht verwoben und verbandelt ist. Allein dafür sollte man sich als "Journalist" in Grund und Boden schämen.

Mehr zum Thema - Der Fall Anas al-Sharif: Die Lügen, Fälschungen und Bullshit-Propaganda der Völkermörder

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