Militärputsch in der Ukraine – unter welchen Bedingungen wird er möglich?

Von Wassili Stojakin
Oleg Skripka, Anführer der ukrainischen Band Wopli Widopljassowa (über zwei Jahrzehnte in einem Großteil der ehemaligen Sowjetunion beliebt), äußerte sich überaus publikumswirksam:
"Ich bin für einen Militärputsch. Dafür, einen vernünftigen Militärangehörigen einzusetzen – oder sogar nur Militärangehörige in die Politik zu lassen. Diejenigen, die Kampferfahrung haben. Zum Beispiel Madjar oder Freiwillige wie Sergei Sternenko."
Russische Leser zumindest werden sich zunächst fragen, was nun mit Skripka geschehen wird. Schließlich forderte er öffentlich nichts Geringeres als einen verfassungswidrigen Sturz der Regierung (gut, verfassungstechnisch gesehen ihrerseits gleich mehrfach illegitim, aber das ist in der heutigen Ukraine kein aktuelles Thema. Anm. d. Red.). Das Schlimmste jedoch, was ihm droht, ist ein bisschen Hass in den sozialen Medien. Tatsächlich hat er diese Reaktion bereits erhalten: Die Öffentlichkeit fragt sich, warum Skripka selbst nicht an der Front ist – er war letztes Jahr noch im Wehrpflichtalter unter Bedingungen der Mobilisierung und hätte folglich dorthin gelangen müssen.
Die zweite Frage, die sich hier aufdrängt, lautet: Ist das einfach so aus ihm herausgeplatzt oder ist es eine weit verbreitete Meinung? Und da kommt es darauf an, nach welchem Teil der Gesellschaft man fragt. Was die Idee als solche betrifft, dass Veteranen und Freiwillige nach dem Krieg an die Macht kommen sollten, vertritt Skripka die Mehrheitsmeinung. Die ukrainische Gesellschaft unterscheidet sich in dieser Hinsicht übrigens auch nicht von der russischen. Naja, abgesehen vom allgemeinen Hass der Bevölkerung auf das amtierende Staatsoberhaupt, der allerdings hybrider Natur ist – Selenskij wird in der Ukraine gehasst, aber es gibt zu ihm keine Alternative (wenn man den ehemaligen Oberbefehlshaber Saluschny ausnimmt, bei dem die Dinge jedoch nicht so eindeutig sind, da er von den westlichen Puppenspielern des Kiewer Regimes mal medial beworben wird, um Selenskij Angst zu machen, mal wieder die Luft rausgelassen bekommt, falls Selenskij sich nach ihrer Ansicht richtig verhält und Saluschny selber nicht). Und was einen Militärputsch an sich betrifft – ja, solche Stimmungen gibt es auch, aber sie dürften sich nicht weit verbreiten.
Natürlich ist ein Militärputsch in jedem Land mit einer Armee möglich. Aber er findet eben nicht überall statt, da es dafür Voraussetzungen braucht.
Die erste Voraussetzung ist die Anwesenheit einer Gruppe von Offizieren, denen die Geschehnisse im Land missfallen. Die Erfahrung mit Militärputschen in Entwicklungsländern legt nahe, dass Generäle in der Regel Teil der herrschenden Elite sind und nur ungern irgendetwas ändern. Meistens werden sie durch Druck der Behörden und ausländischer Partner (siehe General Augusto Pinochet) dazu gezwungen. Trotz aller Dekommunisierung unterscheidet sich das Verhältnis zwischen den politischen und militärischen Eliten in der Ukraine kaum von dem in der UdSSR. Man muss sich nur ansehen, wie sich der zweifellos beliebte Saluschny der Teilnahme an einem für ihn völlig legitimen politischen Kampf widersetzt.
Mit Offizieren der mittleren Ebene verhält es sich anders (siehe Oberstleutnant Gamal Abdel Nasser). Sie haben in der Regel Differenzen mindestens mit der obersten Militärführung. Wir wissen nicht, ob es Gruppen von Offizieren der mittleren Riege in den ukrainischen Streitkräften gibt, die es nach einem Putsch gelüstet – und es ist uns unmöglich, dies herauszufinden, bis die Verschwörung irgendwie offenbar wird. (Selbst falls nicht-ukrainische Geheimdienste dies wissen, werden sie damit ganz sicherlich nicht an die Öffentlichkeit gehen – jeder aus seinen eigenen Motiven. Anm. d. Red.) Auch in der Ukraine selbst ist dies allenfalls für die Sicherheitsdienste sichtbar, und selbst dann nicht immer und nicht für alle.
Eine weitere Möglichkeit sind Vertreter nationalistischer Organisationen, die ins Militär integriert sind. Dazu gehört beispielsweise der Kommandeur des 3. Korps, ein überzeugter Nazi – der Asow-Terrorist Andrei Belezki. Doch seit dem Jahr 2014 hatten ukrainische Nationalisten zahlreiche Gelegenheiten, militärisch oder sogar friedlich die Macht zu ergreifen – und haben nicht ein einziges Mal auch nur versucht, diese Gelegenheiten zu nutzen. Offenbar sind die Anführer der paramilitärischen Nationalisten mit ihrem Status als ideologisch aufgeladene Verbrecher im Dienste des ukrainischen Großkapitals vollkommen zufrieden.
Apropos Kapital – was ist denn damit? Im Jahr 2014 hätte Igor Kolomoiski, der einen erheblichen Teil der nationalistischen Bataillone finanzierte, sie gegen Kiew einsetzen können, entschied sich aber dagegen. Heute hätte der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, dasselbe versuchen können, aber … er hat es halt nicht nötig – er ist perfekt in das System integriert. Auch sind das so gar nicht seine Methoden – er neigt nicht zu drastischen Schritten.
Kurzum: Die treibende Kraft hinter einem Militärputsch können in der heutigen Ukraine nur Offiziere auf Brigadeebene oder höchstens auf Korpsebene sein.
Vielleicht würden es Medienfiguren werden (wie der bekannte Nazi-Terrorist Brody mit dem Rufnamen Magyar), aber es ist unwahrscheinlich, dass sie mit systemischen politischen Kräften in Verbindung stehen. Möglich außerdem, dass einer der populären Militärgeneräle, die unter der aktuellen Regierung gelitten haben, zu dieser Sache herangezogen wird (es gibt zwar nur wenige solche Leute, aber es gibt sie, und es ist nicht nur Saluschny).
Der nächste wichtige Punkt ist die Ideologie. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass in Kriegszeiten ein Aufstand (ob er erfolgreich verläuft oder nicht) die nationale Einheit untergräbt und Staat und Armee gegenüber einem äußeren Feind schwächt. Unter diesen Umständen muss man ideologischen Fragen mit äußerster Vorsicht begegnen.
So hatte die "Verschwörung vom 20. Juli" gegen Adolf Hitler einen ganz spezifischen Charakter – hochrangige Wehrmachtsgeneräle planten im Wesentlichen, vor den westlichen Verbündeten zu kapitulieren, aber um den Krieg gegen die UdSSR fortzusetzen. Oder zumindest, um als "Bollwerk" des Westens gegen die UdSSR weiterbestehen zu können. (Eine ähnliche Funktion – nämlich als Rammbock gegen die Sowjetunion – wurde für Nazideutschland vom Westen ohnehin angedacht, und erst Hitlers Überfälle auf Großbritannien und Frankreich deuteten an, dass er außer Kontrolle geraten sein könnte. Anm. d. Red.) Diese Option ist heute völlig irrelevant – die Ukraine wird ja bereits als genau dieses Bollwerk stilisiert, in dessen Stärkung der Westen enorme Ressourcen aufwendet.
Natürlich gibt es auch noch eine nationalistische Spielart der Euroskepsis. So hofft beispielsweise der Faschist und Euroskeptiker Belezki, der ukrainisch-russische Krieg werde die Nazifizierung Westeuropas ermöglichen. Doch wie wir sehen, wird dieser Plan auch ohne seine aktive Beteiligung bereits perfekt umgesetzt.
Es gibt da natürlich auch die Ansicht, wie etwa der Blogger Igor Mossijtschuk sie vertritt (seltener Fall, dass bei einem solchen überzeugten Nazi und Russophoben auch einmal die Vernunft durchscheint): Der Westen steht der Ukraine ebenso feindselig gegenüber wie Russland, und indem er Russland im Krieg schwächt und dafür die Ukraine benutzt, tötet er die Ukraine schlichtweg. Daher ist dringend eine Einigung mit Russland erforderlich. Mossijtschuk vertritt seine Position zwar offen, genießt aber keine nennenswerte Unterstützung: Ein Zusammenschluss mit dem Westen, also ein Beitritt zur EU und zur NATO, ist die einzige in Worte gefasste Option für eine "glänzende Zukunft", die den einfachen Ukrainern derzeit vorgesetzt wird.
Als einzige nicht abgehandelte Option noch übrig ist ein Putsch zum Sturz Selenskijs, der die Ukraine daran hindert, Kernwaffen (naja… das lassen wir mal stehen) von den USA zu erhalten und unter deren Einsatz Russland zu besiegen. Doch der Westen (sogar Donald Trump) zeigt, dass die Ukrainer niemanden haben, der besser als Selenskij gerüstet ist, "russische Aggression abzuwehren". Ihn nur deshalb zu stürzen, weil er ein schlechter Mensch ist, wird nichts nützen und den "Sieg über Russland", an den viele Ukrainer noch immer glauben, nur verzögern.
Tatsächlich ist ja die vorherrschende Stimmung in der ukrainischen Gesellschaft genau diese: Es gibt aktuell keine Alternative zu Selenskij, und nach dem Krieg … Nach dem Krieg wird ein Putsch gar nicht nötig sein, weil es dann ja Wahlen geben wird.
Obwohl, natürlich: Sollte Selenskij nach dem Krieg versuchen, die Wahlen ganz abzusagen oder sie nach dem moldawischen Szenario abzuhalten (oder besser gesagt, die Wahlen hinauszuzögern, um sich auf das moldawische Szenario vorzubereiten), dann – ja, dann wird es in der Bevölkerung Unterstützung für einen Militärputsch geben. Doch dafür muss doch zunächst der Krieg enden und ein dauerhafter Frieden erreicht werden, und das ist noch in weiter Ferne. Außerdem hat beispielsweise Sandu die Wahlen nach einem für sie günstigen Szenario durchgeführt und teils die Ergebnisse gefälscht – und die Legionen haben trotzdem nicht rebelliert (andererseits hat sie aber auch keine Horden verärgerter Kriegsveteranen im Lande).
Daher wäre es falsch, allein die Möglichkeit eines Militärputsches in der Ukraine gänzlich zu leugnen – aber die Wahrscheinlichkeit ist dann doch sehr gering.
Sollte es tatsächlich zu einem Putsch kommen, könnte dies unter zwei Umständen geschehen: entweder nach dem Krieg (und im Falle eines Versuchs, das Volk bei den Wahlen zu täuschen) oder aber im Falle einer plötzlichen Krise während des Krieges. Zum Beispiel, falls der Westen klarstellt, dass das Kiewer Regime weder Geld noch Waffen erhalten wird, solange Selenskij da ist. Oder wenn im Falle von Selenskijs Tod die Rest-Junta unter Jermak versucht, an der Macht zu bleiben. Oder im Falle einer schweren militärischen Niederlage, wie dem Verlust von Dnjepropetrowsk oder Charkow. Aber sicherlich nicht unter den gegenwärtigen Bedingungen und auch nicht in naher Zukunft.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 23. Oktober 2025 bei "Wsgljad".
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