Meinung

Südamerika als Zone von Trumps neuer Monroe-Doktrin – nur ist es diesmal Marilyn Monroe

Nach Venezuela hat sich Trump mit der Regierung eines weiteren lateinamerikanischen Landes in den Haaren – Kolumbien. Doch wer meint, er würde dort eigenhändig einen Regime-Change einleiten, irrt: Vielmehr wird er sich, wenn unliebsame Regierungen abtreten, einfach danebenstellen und so tun, als wäre es sein Verdienst.
Südamerika als Zone von Trumps neuer Monroe-Doktrin – nur ist es diesmal Marilyn Monroe© RIA Nowosti

Von Dmitri Bawyrin

Kolumbien berief seinen Botschafter aus Washington ab, weil sich US-Präsident Donald Trump dem Land gegenüber flegelhaft ausdrückte, drohte und sogar noch weiter ging: Er fror alle "Zahlungen und Subventionen" in Höhe von einer halben Milliarde Dollar pro Jahr ein. Und Trump hatte viel einzufrieren, denn Kolumbien stand und steht schon immer auf Washingtons ganz besonderer Liste: Dies ist ein Streit zwischen zwei Herzen, die seit Jahrhunderten im Gleichklang schlagen. Kolumbianer kämpften sogar in Korea – niemand sonst in Lateinamerika erlaubte sich diese Dummheit.

Heute aber spricht der US-Präsident von seinem iranischen Amtskollegen, dessen Land er bombardierte, respektvoller als von seinem kolumbianischen Amtskollegen Gustavo Petro. Laut Trump sei Petro "ein Anführer des illegalen Drogenhandels, der die Massenproduktion von Drogen aktiv fördert.

Übrigens lässt der nach heutigem allgemeinem Rechtsverständnis offensichtliche Pleonasmus "illegaler Drogenhandel" tiefer blicken als Washington vielleicht lieb ist. In Kolumbien gab es nämlich auch "legitime" Anführer des Drogenhandels – und Petro machte eigens dadurch Karriere, dass er sie entlarvte. Während der Regierungszeit des Präsidenten Álvaro Uribe beispielsweise wurden dessen Verbindungen zu rechtsextremen Militanten und über diese zu Drogenkartellen untersucht, öffentlich gemacht und diskutiert – Uribe war in Washington jedoch heißgeliebt, während er unter Petro wegen Erpressung von Zeugen in seinem Fall für 15 Jahre inhaftiert wurde.

Sprich: Trump und Petro waren und sind zwar Feinde, doch Trumps jüngste Eskapade sollte man nicht als persönlichen Angriff auffassen. Vielmehr ist die Entwicklung in Kolumbien ein umfassender Prozess, er begann vor langer Zeit und findet nun seinen logischen Abschluss unter der Regierung einer breiten Parteienkoalition, für die Petro nach dem Prinzip des "Ersten unter Gleichen" Präsident wurde. Doch Uribes Freunde im Kapitol scheinen Trump angestachelt zu haben, der nun Streit sucht und fordert, Kolumbien solle "die Killing Fields schließen", andernfalls "werden die USA sie selbst schließen, und zwar nicht sanft".

So droht der Chef des Weißen Hauses Kolumbien unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung mit einer militärischen Intervention gegen Kolumbien. Unter demselben Vorwand droht er mit der Entsendung von Truppen nach Venezuela – und kaum jemand bezweifelt, dass dies in Wirklichkeit von dem Wunsch motiviert ist, den Präsidenten des Landes, Nicolás Maduro, zu stürzen. "Aus Gier nach venezolanischem und guyanischem Öl" – so sieht Petro selbst Trumps Motiv im Falle Venezuelas. Er ist der Ansicht, der US-Präsident sei "von seinen Beratern getäuscht" worden.

Ohne Lügen oder zumindest Flunkerei scheint es in der Tat nicht abgelaufen zu sein. Denn kolumbianisches Kokain ist zwar eine bekannte Marke, aber als nationale Bedrohung anerkannt wird in den USA etwas anderes – nämlich die von Mexiko ausgehenden (oder über Mexiko verlaufenden) Ströme von Opioiden, allen voran das synthetische Opioid Fentanyl.  

Durch die Zerstörung von angeblichen Drogenschmuggelschiffen (laut Petro lediglich Fischerbooten) mittels Raketen wird das US-Militär eher Partys in Kalifornien ein Stück weit gesünder zwangsgestalten als den Rust Belt vor Überdosen zu retten.

Aber anders als Maduro muss Petro kaum befürchten, militärisch gestürzt zu werden. Es ergibt einfach keinen Sinn – er wird auch von allein gehen. Kolumbianische Präsidenten werden heute für eine Amtszeit von lediglich vier Jahren gewählt, wie es vor Uribe der Fall war. Bis August nächsten Jahres wird es also einen neuen Präsidenten geben, und nur wer genau es sein wird, ist noch offen – es gibt dort viele Parteien, viele Kandidaten und eine lebendige politische Szene.

Dies ist wahrscheinlich der Grund für den aktuellen Konflikt: Washington will Bogotá so viele politische und wirtschaftliche Probleme wie möglich bereiten, um Kolumbien vor den Wahlen zu zermürben und eine Machtübergabe an ein Mitglied der alten Elite sicherzustellen. Also Kolumbien zu den Verhältnissen unter Uribe zurückbringen – idealerweise sogar zu den Verhältnissen des 19. Jahrhunderts:

Damals dehnten sich die relativ kompakten Vereinigten Staaten von Ozean zu Ozean aus und begannen, allen südlich von ihnen gelegenen amerikanischen Ländern ihren Willen zu diktieren. Die Monroe-Doktrin (benannt nach dem fünften US-Präsidenten James Monroe) besagte, dass sich die Amerikaner nicht in die Angelegenheiten Europas einmischen würden, den Europäern aber dafür verboten, sich in die Angelegenheiten Amerikas einzumischen. So wurden die ehemaligen Kolonien Europas in Lateinamerika (sowie Kanada im Norden) zu einer Zone absoluter Dominanz Washingtons. Erst an Kuba haben sich die USA die Zähne ausgebissen – allerdings selbst das nicht, bevor sie es erfolgreich von Spanien erobert hatten.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich das Bild geändert: Die USA mischen sich in globale Angelegenheiten ein und diktieren Europa ihren Willen, verlieren aber die Kontrolle über ihren eigenen Hinterhof – Lateinamerika. Dort haben die Menschen nach einem anderen Leben gesucht, sind auf den Geschmack der Souveränität gekommen und sind fast wie ein Mann nach links gerückt. Nur Panama mit seinem Kanal von besonderer Wichtigkeit wird von Washington nach wie vor fest im Griff gehalten. Doch selbst in Kolumbien, das bisher Washington gegenüber ultraloyal war, ist der Präsident zum ersten Mal in der Geschichte nicht nur ein Linker – sondern eben ein ehemaliger Guerillakämpfer namens Gustavo Petro, der vor 40 Jahren gegen proamerikanische Eliten kämpfte und dafür auch im Gefängnis saß.

Die Außenpolitik Trumps, der ja versprach, Amerika wieder groß zu machen, wird manchmal als "Donroe-Doktrin" bezeichnet. Es ist ein Sprung vom Globalismus unter Obama und Biden zurück zu Monroe: Die USA reduzieren ihre militärische Präsenz in der Welt und ihre Einbezogenheit in Europa zugunsten innenpolitischer Belange – sie "kehren nach Hause zurück" –, erweitern jedoch ihr Territorium in Amerika selbst (auf Kosten Grönlands und Kanadas) und versuchen auch, die Lateinamerikaner zu unterwerfen.

Und es scheint ja auch Erfolge zu geben. Der argentinische Exzentriker Javier Milei hat trotz seiner Verwicklung in einen Korruptionsskandal die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht, als viele dachten, er würde ihr den Rest geben. Der salvadorianische Staatschef Nayib Bukele hat dank seiner harten Politik zur Verbrechensbekämpfung immense Beliebtheit erlangt. In Peru wurde die Sozialistin Dina Boluarte, die in Korruptionsmachenschaften verwickelt war, einstimmig ab- und durch den rechtsliberalen José Jeri ersetzt, während in Bolivien, wo die prorussische "Bewegung für den Sozialismus" jahrzehntelang regierte, ein pro-US-Kandidat die Präsidentschaftswahl gewann – Rodrigo Paz, der Moskaus Pläne zur Lithiumförderung in diesem Land bedroht.

Anti-Washington-Linke werden wahrscheinlich auch in Kolumbien im nächsten Jahr die Macht verlieren. Aber ohne größeren äußeren Einfluss: Ihre Zustimmungswerte sind aufgrund wirkungsloser Versuche, langjährige Probleme zu lösen, bereits niedrig. Sprich: Die Rolle der US-Drohungen bei Regierungswechseln in Lateinamerika ist verschwindend gering und wird es auch bleiben – bis es gegebenenfalls zu einer US-Invasion in Venezuela kommt.

Verglichen mit der Ära der Monroe-Doktrin ist Amerika nicht mehr dasselbe, weder im Norden, wo man sich schlicht übernommen hat, noch im Süden, wo man Stärke und nationale Identität aufgebaut hat. Anstatt also selbst zu entscheiden, wo und welche Art von Regierung an die Macht kommen wird, tritt der US-Präsident einfach jedes Mal dann in den Vordergrund, wenn eine Washington gegenüber illoyale Regierung unter der Last ihres eigenen Verschuldens oder ihrer inneren Widersprüche zusammenbricht. Und unabhängig davon, ob die Regierungen in Südamerika jeweils rechts oder links ausgerichtet sind oder waren, ist es ihnen allen gleichermaßen gelungen, sich aus den außenpolitischen Abenteuern des Weißen Hauses schön herauszuhalten – wie der vergebliche Versuch Washingtons zeigte, die Region im Jahr 2022 in eine Konfrontation mit Russland zu ziehen.

Eine Expansion der USA um Kanada und Grönland ist noch utopischer: Die modernen Vereinigten Staaten sind gespalten, und es besteht kaum eine Chance, die nationale Einheit und den Glauben an die "offensichtliche Bestimmung", wie Washingtons Konzept der Hegemonie in der Neuen Welt einst genannt wurde, wiederherzustellen. Für die James-Monroe-Doktrin reicht ihre Kraft gar nicht – höchstens für eine Marilyn-Monroe-Doktrin:

"Manchmal muss man sich selbst einfach eine Krone aufsetzen und alle daran erinnern, mit wem sie es zu tun haben."

So lautete der Ratschlag der Leinwand-Ikone für alle, die Aufmerksamkeit erregen wollen. Und Trump ist sehr gut darin, sich eine Krone aufzusetzen und Aufmerksamkeit zu erregen – doch jetzt stehen die Vereinigten Staaten eher neben politischen Umwälzungen in Lateinamerika als direkt dahinter.

Nicht weil Trump so ist, wie er ist – sondern so sind eben die Zeiten.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 23. Oktober 2025.

Dmitri Bawyrin ist Journalist, Publizist und Politologe mit den Interessenschwerpunkten USA, Balkan und nicht anerkannte Staaten. Er arbeitete fast 20 Jahre als Polittechnologe in russischen Wahlkampagnen unterschiedlicher Ebenen. Er verfasst Kommentare für die russischen Medien Wsgljad, RIA Nowosti und Regnum und arbeitete mit zahlreichen Medien zusammen.

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