Meinung

Macrons Abstieg ist eine Gefahr für die Europäische Union

Auch wenn er bis 2027 im Élysée-Palast bleiben sollte, wird Macron den Abstieg nicht aufhalten können. Nach den Krisen 2018 und 2023, ausgelöst durch "Kohlenstoffsteuer" und Rentenreform, macht ihn seine anhaltende Brüsselhörigkeit nebst milliardenschweren Rüstungsausgaben zu einem Risiko für Frankreich – und damit der EU.
Macrons Abstieg ist eine Gefahr für die Europäische UnionQuelle: AP © Jean-Francois Badias

Von Pierre Levy

Das Ende einer zwielichtigen Herrschaft. Der Sturz einer zerfallenden Macht. Trotz aller Versuche, die Lage zu retten, wird der französische Präsident – auch wenn er wahrscheinlich bis 2027 im Élysée-Palast bleiben wird – den Abstieg nicht aufhalten können. Von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt, von seinen Verbündeten im Stich gelassen, von seinen Freunden verraten, ist Emmanuel Macron am Ende, unabhängig davon, wie sich die akute politische Krise in Frankreich weiterentwickeln wird.

Ein besonders spektakulärer Untergang, wenn man sich an den Beginn seines Abenteuers erinnert. Im Jahr 2017 wurde der junge Banker, der im Wahlkampf stand – und unter François Hollande stellvertretender Generalsekretär des Präsidialamtes im Élysée-Palast (2012 bis 2014) und anschließend Minister für Wirtschaft und Finanzen (2014 bis 2016) war, aber nie ein gewähltes Amt bekleidet hatte – von einem sehr breiten Spektrum politischer Kräfte, von einer Vielzahl von Persönlichkeiten aus der Welt der Wirtschaft, der Gewerkschaften, des Sports, der Kultur und der Wissenschaft unterstützt. Juristen, Historiker, Ökonomen, aber auch "Stars aus dem Showbusiness": Innerhalb der Eliten wurde die Liste seiner Anhänger von Tag zu Tag länger.

Vor allem aber erhielt er die offensichtliche Unterstützung einer Vielzahl großer Medien, die ihm eine in der Wahlgeschichte selten erreichte Werbung verschafften. Sehr oft begründeten seine Unterstützer ihre Begeisterung mit dem "europäischen Engagement" des Kandidaten. Nicht, dass seine Vorgänger in dieser Hinsicht zurückhaltend gewesen wären. Aber der Wundermann machte dies zu einem der herausragenden Themen seiner Kampagne.

So entschied sich der am 7. Mai 2017 gewählte neue Staatschef, seine Amtszeit mit einer feierlichen Zeremonie zu Beginn mit der "Europäischen Hymne" zu eröffnen. Das Symbol sollte stark sein. In vielen Hauptstädten und natürlich in Brüssel war man von seinem Sieg begeistert. Die EU werde einen neuen Aufschwung erleben, angetrieben von dem brillanten 39-Jährigen.

Dieser bemühte sich, dieses Bild zu festigen. Die Rede, die er am 7. September 2017 in Athen vor der Akropolis deklamiert hatte, und die, die er drei Wochen später an der Sorbonne hielt, waren genau darauf ausgerichtet, die europäische Integration zu beschleunigen. Insbesondere in der zweiten Rede pries er "ein souveränes, geeintes und demokratisches Europa" und richtete damit einen Appell an Deutschland. Viele Eurokraten bedauerten damals, dass Bundeskanzlerin Merkel darauf nicht reagierte, und beklagten eine "verpasste Chance" aufgrund der Desynchronisation zwischen Paris und Berlin.

Die erste große Krise, die Emmanuel Macron durchlebte, war die Bewegung der "Gelbwesten" im Herbst 2018. Der Volksaufstand, der alle überraschte, war tiefgreifend und dauerte Monate. Auslöser war die Erhöhung der Kraftstoffpreise aufgrund der Einführung der "Kohlenstoffsteuer", die zur Rettung des Planeten beitragen sollte. Die sogenannte Kohlenstoffsteuer entsprach den Dogmen Brüssels und war damit ein Vorläufer des "Green Deal", den die Europäische Kommission zwischen 2019 und 2024 verabschiedete.

Um den Sturm einzudämmen, wurde die Erhöhung von der französischen Regierung ausgesetzt … jedoch zu spät: An den Kreisverkehren, den strategischen Orten der Bewegung, kamen in den Gesprächen zwischen den Bürgern zahlreiche Wünsche und Forderungen zum Ausdruck. Unter diesen wurde nachdrücklich die Einführung von "Volksinitiativen" gefordert.

Es blühten auch unzählige dreifarbige Flaggen auf. Eine Anspielung auf die Französische Revolution seitens derer, die sich als Erben der "Gueux" von 1789 verstanden; aber auch ein klares Zeichen des Misstrauens oder sogar der Ablehnung der EU, ausgedrückt durch die Forderung nach einem Referendum über den Austritt aus der Union. Die Forderung wurde vielleicht nicht von der Mehrheit gestellt, aber sie war deutlich zu erkennen. Die Bewegung war zwar heterogen, aber zutiefst politisch; sie erschütterte die Macht Macrons und sein europäisches Totem erheblich.

Der zweite Sturm wurde Anfang 2020 durch den ersten Entwurf der Rentenreform ausgelöst. Dieser wurde dank Artikel 49-3 der Verfassung ohne Abstimmung durch das Parlament verabschiedet, trotz massiver Mobilisierung, dann mit dem Ausbruch von Covid auf Eis gelegt. Im Jahr 2023 stieß ein zweiter Entwurf auf noch größeren Widerstand, wurde aber schließlich mit Gewalt durchgesetzt: Für die Freunde des Präsidenten war es wichtig, eines seiner wichtigsten Projekte nicht aufzugeben …

Es ging vor allem darum, die Vorschriften aus Brüssel zu erfüllen. Ein weiteres Beispiel für die enge Verbindung zwischen der Politik Macrons und der europäischen Integration. Auch wenn diese Verbindung in diesem Fall weniger offen zur Schau gestellt wurde.

Der Herr im Élysée-Palast profilierte sich auch in Fragen der internationalen Politik. Im Jahr 2022 – sowie in den Jahren zuvor – glaubte er, dank seines Charismas Einfluss auf seinen russischen Amtskollegen nehmen zu können, den er mehrmals getroffen hatte. Er musste jedoch feststellen, dass dieses Bestreben vergeblich war. Daraufhin schloss er sich dem Lager der europäischen Führer an, die gegenüber Russland die aggressivste Haltung einnahmen.

Gleichzeitig bemühte er sich, die Militärausgaben zu erhöhen. Im Jahr 2017 belief sich das Verteidigungsbudget auf 32,3 Milliarden Euro. Es stieg kontinuierlich auf 42,4 Milliarden im Jahr 2022 und stieg dann weiter auf 43,9 Milliarden im Jahr 2023, 47,2 Milliarden im Jahr 2024 und erreichte in diesem Jahr 50,5 Milliarden. Für das Jahr 2030 wurde das Ziel auf 69 Milliarden festgelegt, ein Niveau, das den letzten NATO-Gipfel nicht berücksichtigt.

Bei diesem Treffen im Juni letzten Jahres verpflichteten sich die transatlantisch ausgerichteten Alliierten unter starkem Druck von Donald Trump zu einem himmelhohen Ziel von 5 Prozent des nationalen BIP für Verteidigungsausgaben, gegenüber bisher 2 Prozent. Der französische Präsident war nicht der Letzte, der sich dieser Linie anschloss, um das Weiße Haus nicht zu verärgern (die europäischen Führer befürchteten, die Unterstützung Washingtons für die Ukraine zu verlieren).

Macron engagiert sich voll und ganz für diese Flucht nach vorn bei den Ausgaben für Rüstung und Ausrüstung, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem seine aufeinanderfolgenden Premierminister alle dasselbe zentrale Ziel vor Augen haben: drastische Haushaltseinsparungen (44 Milliarden Kürzungen im Entwurf von François Bayrou für 2026, der heute hinfällig ist), insbesondere bei den Sozialausgaben und den öffentlichen Dienstleistungen.

All dies steht in vollem Einklang mit den Leitlinien der Europäischen Union. Es gibt jedoch einen Punkt, in dem der französische Präsident bei seinen 26 Kollegen bei weitem keine Einstimmigkeit erzielt. Offiziell stimmen diese zwar seinen Tiraden zugunsten der "europäischen Souveränität" zu – speziell im Verteidigungsbereich, in Wirklichkeit sehen viele von ihnen aber kaum Nachteile darin, "Fertigprodukte" vom großen amerikanischen Bruder zu kaufen, anstatt bei europäischen, primär französischen Unternehmen, zu bestellen.

Und ganz allgemein bleiben die meisten der 27 Mitgliedstaaten nostalgisch gegenüber der Unterwerfung unter Uncle Sam – vor allem im militärischen Bereich. Bislang nahmen sie die Plädoyers des französischen Präsidenten für die "europäische Souveränität" nur mit höflichem Wohlwollen auf.

Es ist jedoch nicht sicher, ob diese Haltung ewig Bestand haben wird, wenn sich seine Position noch weiter schwächt. Denn die zunehmende Diskreditierung des französischen Präsidenten beunruhigt die "Finanzmärkte", die "Instabilität" verabscheuen. Sollte diese in Frankreich anhalten, könnten sich die "Investoren" von dem Land abwenden und die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe treiben.

Verschiedene Ökonomen und Institutionen schätzen, dass die politische Lähmung des Landes bereits 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts gekostet hat. Angesichts der Größe und Bedeutung Frankreichs innerhalb der EU könnte dies nach und nach auch die anderen Mitgliedstaaten bedrohen – zu einem Zeitpunkt, an dem auch die wirtschaftliche Lage Deutschlands nicht gerade rosig ist (ganz zu schweigen von der Fragilität der Regierungskoalition, in der die Spannungen zunehmen).

Kurz gesagt: Der Mann, der bei den eifrigsten Befürwortern der europäischen Integration Begeisterung ausgelöst hatte, könnte letztlich derjenige sein, der zu deren Niedergang beigetragen hat. Eine gerechte Strafe …

Mehr zum Thema - Politologe: "Partei des Krieges" erhöht Druck auf Trump

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.