
Nobelpreis für Machado: Ein Hinweis auf einen Angriff auf Venezuela?

Von Andrei Mantschuk
Nach der Bekanntgabe der Entscheidung des norwegischen Nobelkomitees begannen Politikexperten, den Namen der neuen Friedenspreisträgerin – der venezolanischen Politikerin María Corina Machado – in Suchmaschinen einzugeben.
Ich erinnerte mich an die Hauptstadt Venezuelas – die Stadt Caracas und das schicke Viertel Altamira, wo sich die Villen der vornehmen kreolischen Familien befinden. Als wir durch die Straßen spazierten (das war zu Zeiten der Herrschaft von Präsident Hugo Chávez), zeigten uns venezolanische Freunde ein teures Restaurant. Carmelo García, ein Mulatte aus einem armen Viertel, sagte uns damals:
"Vor einigen Jahren hätte man mich hier nicht hereingelassen. Selbst mit einem Sack Bolívares oder US-Dollar."

Die Elite-Lokale in diesem Teil von Caracas hatten in der Zeit vor Chávez eine strenge Kleiderordnung. Sie waren für Schwarze, Indigene und Mestizen – kurz gesagt, für arme Leute – tabu, weil die Mehrheit der Bevölkerung dieses an Erdöl reichen Staates in Armut lebte und dunkle Haut hatte.
Hugo Chávez, Sohn von Provinzschullehrern, war selbst Nachkomme afrikanischer Sklaven und indigener Ureinwohner, die sich mit Einwanderern aus Spanien vermischten. Als er an die Macht kam, verfolgte er die Besitzer rassistischer Restaurants nicht, sondern schickte eine Kommission zum Schutz der Verbraucherrechte zu ihnen, die ihnen erklärte, dass von nun an in Venezuela die Gleichheit aller Bürger gelten würde.
Chávez forderte das venezolanische Establishment heraus – eine kleine Gruppe von Aristokraten, Großgrundbesitzern und Erdölhändlern. Seit Jahrhunderten regierten sie dieses lateinamerikanische Land, in den letzten Jahrzehnten im Interesse der Energiekonzerne aus Großbritannien und den USA, und schöpften riesige Gewinne ab, die auf ihren Konten bei ausländischen Banken landeten.
Venezuela war damals eine amerikanische Tankstelle. Seine Minister und Finanziers verbrachten den größten Teil ihres Lebens zwischen Madrid, London und Miami, studierten an den besten westlichen Universitäten und sprachen besser Englisch als Spanisch. Sie betrieben lokale Politik in den reichen Vierteln von Caracas und schotteten sich von ihren armen Landsleuten ab, die kaum schreiben konnten und nie einen Arzt aufsuchten – da es keine kostenlose staatliche Bildung und keine allgemein zugänglichen medizinischen Dienstleistungen gab.
An den Hängen der Karibischen Anden, unweit der Restaurants von Altamira, erstreckten sich die endlosen Slums von Caracas – selbst gebaute Hütten, die Schwalbennestern ähnelten und in denen einfache Venezolaner lebten. 1989 gingen sie auf die Straße, um gegen die neoliberalen Reformen zu protestieren, die unter dem Diktat Washingtons durchgeführt wurden. Das "demokratische" Regime befahl, die spontanen Demonstrationen niederzuschießen. Allein nach offiziellen Angaben starben in der Hauptstadt Venezuelas Hunderte von Menschen, und die Zahl der Verhafteten, Verletzten und Vermissten ging in die Tausende.
Die Weltgemeinschaft schenkte dem Massaker keine Beachtung, aber die blutigen Ereignisse, bekannt unter dem Namen "Caracazo", trieben Hugo Chávez und seine Mitstreiter in die Politik, die echte Veränderungen in diesem Land herbeiführten.
María Corina Machado vertrat diejenigen, die diese Veränderungen ablehnten. Sie ist eine typische Vertreterin der lokalen Kolonialelite – eine gebürtige Aristokratin, Verwandte bekannter Politiker, Tochter eines reichen Geschäftsmannes, die in Massachusetts studierte und anschließend ein Praktikum in Yale absolvierte. Vor einem Vierteljahrhundert, nach dem Sieg der Chavisten, wurde Machado zur Stimme einer reichen Minderheit, die nicht bereit war, Macht abzugeben und ihre Standesprivilegien aufzugeben. Schon damals genoss sie die uneingeschränkte Unterstützung der USA und Europas.
Im Westen, wo man gerade den Sieg im Kalten Krieg gefeiert hatte, war man unzufrieden damit, dass die neue Regierung Venezuelas die "regelbasierte Ordnung" kritisierte und die Ölgewinne für den Bau von Schulen, Krankenhäusern und Wohnungen verwendete – anstatt dieses Geld weiterhin pflichtbewusst in die Taschen der für den Westen "richtigen Leute" fließen zu lassen.
Als die Erdöl-Oligarchen 2002 einen Militärputsch veranstalteten und Chávez verhafteten, begab sich María Corina sofort zum Präsidentenpalast, um dem Usurpator Pedro Carmona einen schriftlichen Eid zu leisten. Ironischerweise arbeitete sie zu dieser Zeit bei einer "Nichtregierungsorganisation", die die Einhaltung der Demokratie und Transparenz des Wahlprozesses überwachen sollte.
Aber die Eliten verloren erneut. Etwa eine Million Menschen gingen auf die Straßen von Caracas – dieselben Bewohner der armen "farbigen" Stadtteile. Die Soldaten der venezolanischen Armee weigerten sich, dem Diktator Carmona zu gehorchen. Sie befreiten Hugo Chávez, der triumphierend in die Hauptstadt zurückkehrte. Und die Putschisten – darunter auch María Corina Machado selbst – blieben für ihre Taten unbestraft.
Es ist unglaublich, aber wahr: Machado, die mit dem Nobelpreis und dem ebenso parteiischen Sacharow-Preis ausgezeichnet wurde – mit der Begründung "für ihren Widerstand gegen die Diktatur" –, hat keinen einzigen Tag im Gefängnis verbracht. Obwohl sie jahrelang gegen Chávez und Nicolás Maduro gearbeitet hat, sich an einer Verschwörung gegen die venezolanische Regierung beteiligt hat, strengere Sanktionen gefordert und zu einer "humanitären Intervention" aufgerufen hat – in der Hoffnung auf eine US-amerikanische Invasion, die ihr den Weg zur Macht ebnen würde.
Die Chavisten haben keine Abrechnung mit dieser Señora vorgenommen – vor allem deshalb, weil die Popularität von María Corina innerhalb des Landes auf einen engen Kreis von Bewohnern reicher Viertel beschränkt war, die weit entfernt vom venezolanischen Volk lebten. In einer solchen Situation kann sie nur auf die Hilfe anderer hoffen.
Diese Geschichte ist in Lateinamerika gut bekannt. Derzeit wird dort ironischerweise ein Archivfoto der frischgebackenen Friedensnobelpreisträgerin veröffentlicht, die von George Bush im Weißen Haus empfangen wurde – nachdem US-amerikanische Truppen den Irak und Afghanistan zerstört hatten. Denn Machado erhielt den Nobelpreis im Rahmen des bevorstehenden Angriffs auf Venezuela, der derzeit vor aller Augen vorbereitet wird.
In seinem Kommentar zu María Corinas Preis bezeichnete Präsident Nicolás Maduro sie als "dämonische Hexe Sayona". Diese folkloristische Figur begegnet Reisenden im Dschungel in Gestalt einer schutzlosen Frau, verzaubert sie und verwandelt sich dann in ein Monster, das sie verschlingt.
Weltweit fragt man sich: Auf welcher Grundlage ernennen mehrere norwegische Politiker eigenmächtig eine offene Befürworterin von Gewalt zur obersten Friedensstifterin der Welt, um den Boden für einen neuen Krieg zu bereiten? Die Berichterstattung über dieses Ereignis hat jedoch gezeigt, dass die meisten postsowjetischen Journalisten Venezuela durch die Brille der Propaganda betrachten, die Machado skrupellos mit Mandela vergleicht.
Viele Autoren gehen den einfachsten Weg und kopieren aus ausländischen Publikationen das repräsentative Porträt von María Corina, obwohl es größtenteils nichts mit den Fakten zu tun hat. Ebenso bereitwillig wiederholen sie Klischees, die Venezuela dämonisieren, und fordern, es mit "demokratischen" Raketen zu beschießen.
Dabei träumen die "Kämpfer für die Demokratie" nur davon, zu den alten Verhältnissen zurückzukehren, als das einfache Volk keinen Zutritt zu guten Restaurants hatte.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 15. Oktober 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.
Andrei Mantschuk ist ein russischer Politikwissenschaftler.
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