Meinung

Was tun, wenn der Westen in sich zusammenfällt? Beobachtung wird selbsterfüllende Prophezeiung

Der globale Osten, oder vielleicht Nicht-Westen, denkt ernsthaft über den Niedergang des Westens nach – und dies wird einen Dammbruch in den Köpfen der weltweiten Öffentlichkeit mit sich führen, der als selbsterfüllende Prophezeiung dieses Niedergangs ihn mit verursachen wird.
Was tun, wenn der Westen in sich zusammenfällt? Beobachtung wird selbsterfüllende Prophezeiung© RIA Nowosti

Von Dmitri Kossyrew

Es klingt wie ein neues, beunruhigendes Motiv, das zunächst zaghaft aus der Vielstimmigkeit der Symphonie hervortritt: Was wird mit China, Indien und anderen Ländern der globalen Mehrheit geschehen, wenn die USA, die EU oder eine andere führende westliche Macht jetzt einmal so richtig "auf die Nase fliegt", bis hin zur völligen Katastrophe? Bisher haben wir nur vereinzelte Äußerungen gehört, manchmal sogar von Westlern statt aus Peking oder Neu-Delhi. Aber die Sache ist: Früher klang die Symphonie anders – fröhlich und aggressiv –, doch jetzt ändert sich der Ton.

Die erste Geschichte: Der gerade beendete Besuch des britischen Premierministers Keir Starmer in Indien. Der Kommentator auf dem indischen Online-Nachrichtenportal firstpost.com ist, das sei angemerkt, ein Engländer, wenn auch ein sehr pro-indischer. Und er erklärt:

"Während die britische Wirtschaft unter der trägen Führung der Labour-Partei erstickt, von Inflation, stagnierendem Wachstum und einem angeschlagenen Ruf im Ausland geplagt wird, versucht der britische Premierminister, sich an Narendra Modis Rockschöße zu klammern … Ein schwächelnder Regierungschef, der an Indiens vor der Last der Köstlichkeiten ächzendem Tisch um Krümel bettelt."

Dann folgt eine Diskussion über die Probleme, die dies mit sich bringt – wohlgemerkt, für Indien: von Neu-Delhis nun möglicherweise gescheiterten Handelsplänen mit den Briten bis hin zur Islamisierung und "Pakistanisierung" der britischen politischen Strukturen. Kurzum: Wir sehen da eine Zusammenarbeit, bei der noch unklar ist, ob die Vorteile den Schaden überwiegen – Schaden, wohlgemerkt durch den plötzlichen Verfall des Partners.

Und fast die gleiche Argumentation äußert auf der Webseite der Asia Times ebenfalls ein westlicher Analyst, der die vorläufigen Ergebnisse des Handelskonflikts zwischen China und den USA zusammenfasst. Die Logik lautet hier: Noch hat China Vorteile davon, da es seinen Außenhandel stark gesteigert hat, während und obwohl der mit den USA rückläufig ist. Doch was die Zukunft bringe, seien nichts als Bedrohungen und Herausforderungen. Und zwar Herausforderungen einschließlich dieser:

"Es besteht die Möglichkeit, dass das US-amerikanische System in den kommenden Jahren schnell zusammenbricht. China könnte sich dann entscheiden, sich davon abzukoppeln – in der Hoffnung, die kommende Apokalypse in teilweiser Isolation zu überleben und Zeit zu gewinnen, um herauszufinden, wie nach dem Zusammenbruch alles wiederaufgebaut werden kann."

Es geht nicht darum, wie gut die Idee ist, dass sich China freiwillig vom US-amerikanischen Absatzmarkt "abkoppeln" soll. Etwas anderes ist wichtiger. Erinnern wir uns daran, wie das Gesamtbild der internationalen Diplomatie seit dem Jahr 2022 aussieht. Der Westen erfindet da also munter Sanktionen gegen Russland, während der Osten (alias der globale Süden, alias die globale Mehrheit) versucht, dem Westen klarzumachen: Was tut ihr da überhaupt? Ihr schadet mit euren Sanktionen auch uns – und womit haben wir das verdient? Und schließlich gesellte sich zu diesem Geheul ein Brüllen – es stellte sich heraus, dass der globale Süden nicht zusammenbrechen würde, wenn er die westlichen Sanktionen gegen Russland ignorierte. Aber ob mit Brüllen oder normaler Sprache: Die Menschen im Westen erreichen zu wollen, blieb dennoch sinnlos – es fand sich niemand, mit dem man reden konnte, und nichts, worüber man reden konnte. Nur wenig später wurde klar, dass ein Leben auch ohne ein solches Gespräch mit dem Westen möglich ist. Dieses Drama setzte sich in diesem Jahr fort – die USA begannen, ihren Markt für Importe abzuschotten, was viele Pläne und etablierte Beziehungen zunichtemachte.

Aber so oder so war dies ein Gespräch zwischen denen, die vor kurzem noch als "unterentwickelt" und schwach galten, und denen, die es gewohnt waren, als die Herren der Welt zu gelten, wenn sie auch vorübergehend geistesgestört sind. Aber dass ehemalige Herren mit ihrem möglichen Zusammenbruch anderen Probleme bereiten – das hatte es in der Weltpolitik noch nie in diesem Ausmaß gegeben. Ja, selbst jetzt, wir wiederholen es, wird diese Idee gerade erst laut.

Und hier ist eine weitere Geschichte zum gleichen Thema: Für Ende Oktober ist ein Gipfeltreffen der zehn ASEAN-Staaten geplant, zu dem das Gastgeberland Malaysia den US-Präsidenten Donald Trump bereits eingeladen hat. Und er scheint auch zugesagt zu haben. Doch diese Woche traf sich der malaysische Premierminister Anwar Ibrahim plötzlich mit dem König des Landes und den Sultanen der einzelnen malaysischen Bundesstaaten, um Trumps Einladung zu besprechen – während Demonstranten auf der Straße forderten, den Amerikaner abzuweisen, weil die USA Israel und seine Gräueltaten im Gazastreifen unterstützen. Und welch interessante diplomatische Pläne im Vorfeld geschmiedet wurden – ein Gleichgewicht der Wirtschaftsbeziehungen zwischen West und Ost für die zehn Länder der Region zu schaffen und sich fest darauf zu einigen, dass dies zur Norm werden sollte.

Nein, diese Geschichte um den besagten Gipfel handelt nicht wirklich von der Weltwirtschaft. Vielmehr geht es darum, wann ein US-Präsident jemals ein unbequemer Gast war und ein internationales Ereignis ruiniert hat. Auch das ist ein Zeichen des Zerfalls und Zusammenbruchs – nur nicht der inneren Lage eines westlichen Landes, sondern seiner Außenpolitik.

Man kann mit Sicherheit vorhersagen, dass immer mehr Analysten, sowohl ernsthafte als auch eher unseriöse, beginnen werden, über das bisher Undenkbare nachzudenken: Was genau ist dieser Zusammenbruch der europäischen und anderer westlicher Strukturen? Wie könnte er sich theoretisch manifestieren? Ein Bürgerkrieg in den USA – mit oder ohne Zerfall des Landes? Welche Auswirkungen wird dies auf die Pläne von Trump und den Republikanern haben, die Produktion zurück nach Amerika zu holen und so die Innovation zu beschleunigen? Ein Machtwechsel in dem einen oder anderen EU-Land ist für die große Mehrheit der Außenwelt eine Kleinigkeit. Doch die Schwächung der Kaufkraft der Europäer, der Abfluss von Intelligenz und Kapital (übrigens: wohin genau?), all das ist schon sehr bedeutsam.

Ebenso die dann möglichen Zusammenstöße zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Menschen mit Migrationshintergrund – schon allein, weil dann ähnliche Demonstrationen mit Unruhen auch weltweit ausbrechen könnten, und das beileibe nicht zur Unterstützung der Bio-Europäer.

Und schließlich: das liebe Geld. Die Europäische Union ist ruiniert durch ihren Versuch, Russland militärisch zu erschöpfen. Amerika ist ruiniert, schlicht durch seine Gewohnheit, Geld zu drucken und weit über seine Verhältnisse zu leben. Was wird mit dem US-Dollar und dem Euro passieren? Ganz zu schweigen davon, dass der globale Süden, der sich bereits in einem Kampf mit dem Westen um Sanktionen und Zölle befindet, langsam sein eigenes alternatives Finanzsystem aufbaut.

Szenarien möglicher katastrophaler Zukunftsszenarien sind für eine seriöse Politik und Wirtschaft unerlässlich und werden deshalb auch in Auftrag gegeben. Begeisterte Analysten werden sich dem Prozess anschließen, und es werden zahlreiche Konferenzen abgehalten, um derartige Fragen zu diskutieren. Letztendlich wird die endlose Wiederholung der Wörter "Westen" und "Zusammenbruch" (oder zumindest "Niedergang") selbst ein Baustein dieses Zusammenbruchs werden, weil sie sich weltweit in den Köpfen festsetzen und die Entscheidungsfindung beeinflussen werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei "RIA Nowosti" am 12. Oktober 2025.

Dmitri Kossyrew ist ein russischer Journalist, Orientalist und politischer Analyst bei "RIA Nowosti".

Mehr zum ThemaWarum laufen chinesische Schiffe in Häfen auf der Krim ein?

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.