
Regierungsbericht: Immer mehr Arme – und reichere Reiche

Von Susan Bonath
Die Große Koalition unter Bundeskanzler Friedrich (BlackRock) Merz hat Prioritäten. Abermilliarden pumpt sie in die Rüstungsindustrie, mit Steuergeschenken für Reiche geizt sie nicht. Bezahlen soll's die Masse. Beharrlich diese zum Nachuntentreten animierend, will sie dafür das Gemeinwohl verbraten. Ob Arbeiter oder Rentner, Kranke oder Bedürftige: Alle soll es treffen. Und die Regierung weiß, was sie tut: Denn schon jetzt dreht sich die Armutsspirale rasant. Sie kurbelt am Turbo – nach unten.
Der kürzlich veröffentlichte Entwurf ihres neuen Armuts- und Reichtumsberichts – ein fast 700 Seiten langes, schwer zu lesendes Werk mit vielen Floskeln – bleibt zwar vor allem hinsichtlich der Vermögenden wieder reichlich schwammig. Dennoch konstatieren die Autoren klar: Die Einkommensungleichheit wuchs in den letzten Jahren weiter, die Reichen wurden reicher und viele ärmer. Doch mit Verantwortung tut man sich schwer: Nicht die Regierungspolitik sei schuld an der Verarmung, sondern vor allem die Umstände, zum Beispiel das Coronavirus und "Putins Angriffskrieg".
Noch mehr Arme
Laut den Autoren waren letztes Jahr 17,6 Prozent der Einwohner Deutschlands von "materieller und sozialer Deprivation" betroffen. Das ist mehr als ein Sechstel der Gesamtbevölkerung, in Zahlen: rund 15 Millionen Menschen – ein neuer Höchststand. Ein Drittel der Betroffenen habe sogar unter "erheblichem" Mangel gelitten. Betroffene konnten sich demnach existenzielle Güter nicht ausreichend oder gar nicht leisten. Im Jahr 2010 schätzten Forscher die Armutsquote in der BRD noch auf rund 14 Prozent.

Besondere Not herrschte bei den bekannten Gruppen: Arbeitslose, alleinstehende Teilzeitbeschäftigte, Niedriglöhner, Alleinerziehende, Kranke, Behinderte, Migranten, Kinder und zunehmend Senioren mit geringen Renten. Der Anteil der Minderjährigen in armen Verhältnissen wuchs demnach unterschiedlichen Erhebungen zufolge auf bis zu 22 Prozent an. Von den Rentnern galten 2024 rund 18 Prozent als arm – Tendenz besonders rasch steigend.
Trotz aller "Quoten" fürs Prestige blieben auch Frauen weiterhin gravierend beim Erwerbseinkommen benachteiligt. In Deutschland wird als "armutsgefährdet" (ein Euphemismus) bezeichnet, wer über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens verfügt. Vergangenes Jahr lag hier die offizielle Schwelle bei 1.378 Euro monatlich. Der Bericht der Bundesregierung erscheint alle vier Jahre.
Alles wegen Putin und Corona?
Der Armutsanstieg war natürlich zu erwarten. Wenn Löhne und Sozialleistungen weniger steigen, als die Preise für Notwendiges, kann sich die Masse weniger leisten. So beklagten auch die Autoren die Inflation, verbunden mit einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise, als eine Ursache. Da sie freilich in so einem Bericht nicht nach systemischem Zusammenhängen (Profitmaximierung auf Kosten der Lohnabhängigen, kapitalistische Krisenzyklen, irre Sanktionspakete gegen den wichtigsten Gaslieferanten Russland und so weiter) fahnden dürfen, fanden sie andere "Schuldige", zum Beispiel das Coronavirus:
"Die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 und die damit verbundenen Einschränkungen führten im ersten Halbjahr 2020 zu einem starken Einbruch der Wirtschaftsleistung, von der nahezu alle Wirtschaftsbereiche betroffen waren."
Und wie erwartet durfte auch der "Oberbösewicht" nicht fehlen: Putin. Ironisch sei angefügt: Wie schön, wenn eine Regierung für alle Unbill stets so jemanden parat hat. Im Bericht heißt es dazu zum Beispiel:
"Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine haben sich die ökonomischem Rahmenbedingungen jedoch erheblich verändert. (…) Im Kontext des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und des damit einhergehenden massiven Anstiegs fossiler Brennstoffpreise haben sich im Jahr 2022 die Energiepreise für Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich erhöht."
Unterm Minimum
Im Durchschnitt seien, so die Autoren, die Strom- und Heizkosten von 2021 bis 2023 um etwa 60 Prozent in die Höhe geschossen, regional sogar noch viel dramatischer. Letztes Jahr pendelten sie sich demnach bei einem Plus von rund 50 Prozent über dem Niveau von vor drei Jahren ein. Das verteuerte auch ein weiteres Grundbedürfnis enorm: Nahrungsmittel. Die kosteten laut Bericht 2023 etwa 36 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Der Preisanstieg hat sich verlangsamt, hält aber weiter an.
Nun sind die Ärmsten gezwungen, mit ihren mickrigen Mitteln zunächst ihren Grundbedarf zu decken. Sie geben also gerade für Miete (auch massiv gestiegen), Energie und Essen das meiste Geld aus. Und da zeigt sich dann auch am Beispiel der Grundsicherung, wie Verarmung durch die Hintertür funktioniert.
So stieg der Regelsatz für Bürgergeld und Sozialhilfe im Alter nur um rund 26 Prozent an und blieb damit weit hinter der Inflation für die wichtigsten Bedarfsgüter zurück. So auch der darin enthaltene Anteil für Nahrungsmittel: 2021 lag er bei 155 Euro, aktuell beträgt er 195 Euro. Für Strom war schon immer zu wenig eingepreist, dieses Budget versteckt sich im Posten "Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung". Im Jahr 2021 waren dafür insgesamt 37,82 Euro vorgesehen, seit 2024 sind es 47,74 Euro.
Konsequenzen für Lohnarbeiter
Fazit: Mit der unzureichenden Anpassung an die reale Teuerung hat die Bundesregierung etwa acht Millionen Bürger ärmer gemacht, die auf eine Form der Grundsicherung angewiesen sind. Dazu gehören nicht nur Bürgergeldbezieher, sondern auch Erwerbsgeminderte und Senioren, die ihre kleinen Renten auf das Existenzminimum aufstocken müssen.
Das Kleinhalten der Grundsicherung hat überdies Konsequenzen für Lohnarbeiter. Diese ist direkt mit dem Grundfreibetrag für die Lohn- und Einkommenssteuer verknüpft, der ebenfalls das Existenzminimum beziffert. Steigt die Grundsicherung, muss auch der Freibetrag angehoben werden und umgekehrt; wird das Bürgergeld hingegen klein gehalten, bleibt auch der Freibetrag mickrig und Lohnbezieher werden höher besteuert. Wollen also Arbeitnehmer steuerlich entlastet werden, müssten sie mehr Bürgergeld fordern.
Zudem beklagen die Autoren über sechs Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Ihre Anzahl ist zwar in den letzten Jahren marginal zurückgegangen. Wenn die Bundesregierung jedoch wie angekündigt die Arbeitsrechte aufweicht und die Grundsicherung noch schikanöser gestaltet, dürfte dies für mehr Billigjobs sorgen. So geschah es bereits Anfang der 2000er Jahre absichtsvoll und angekündigt, als die Regierung unter Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) die Agenda 2010 inklusive "Hartz IV" einführte.
Sparen am Essen und Heizen
So sind die Ergebnisse aus Umfrageanalysen der Berichtsautoren nicht verwunderlich: Demnach sparte im vergangenen Jahr etwa die Hälfte der ärmeren Haushalte notgedrungen in der einen oder anderen Weise an der Ernährung, bei Beziehern einer Grundsicherung waren es sogar mehr als zwei Drittel. Viele verzichteten auch auf den Kauf neuer Kleidung und Elektrogeräte sowie auf Kultur und Mobilität. Mehr als ein Viertel der Menschen im unteren Einkommensfünftel konnte die eigene Wohnung nicht ausreichend beheizen.
Die insgesamt explodierenden Wohnkosten machten vielen zu schaffen. Fast jeder achte Haushalt musste der Analyse zufolge mehr als 40 Prozent seines Einkommens für Miete und Nebenkosten abdrücken, Studenten im Schnitt sogar rund 53 Prozent, also über die Hälfte. Somit waren etwa fünf von 41 Millionen Haushalten von derart überproportionalen Belastungen durch die Wohnkosten betroffen. Das Problem dürfte sich verschärfen, da auch die neue Bundesregierung nicht gewillt ist, hinreichend Abhilfe zu schaffen.
Superreiche horten Vermögen
Einen kurzen Blick wirft der Bericht auch auf die andere Seite: Manager, Spitzenbeamte und andere Hochverdiener. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt demnach seit Jahren bei "sieben bis acht Prozent". Scheinbar hat sich also eine konstante, sehr undurchdringliche Schicht an Beziehern exorbitanter Einkommen herausgebildet.
Bei der Betrachtung der Vermögenden verharrt der Bericht in vorsichtigen Schätzungen, denn bekanntlich lässt sich diese Klientel nicht allzu gerne in die Karten gucken. So hätten verschiedene Studien und Analysen ergeben, dass das obere Zehntel der Bevölkerung 54 Prozent aller Vermögensbestände in Deutschland besitzt, die "insgesamt deutlich gewachsen" seien. Die ärmere Hälfte besitzt demnach gerade einmal drei Prozent des Gesamtvermögens, also fast nichts.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Wert, den die Autoren anführen: Der sogenannte Gini-Koeffizient beziffert einen Wert zwischen null und eins. Der Wert null läge vor, wenn alle Vermögen und Einkommen gleichmäßig auf die Bevölkerung verteilt wären. Den Wert eins würde man erreichen, wenn einer Person alles gehört, den übrigen Einwohnern gar nichts. Dieser Wert betrug demnach zuletzt in Deutschland 0,73, liegt also ersichtlich näher an der Eins als an der Null. Das bedeutet: Die Privatvermögen sind in der Bundesrepublik massiv in den Händen weniger konzentriert.
Sozialstaat für Milliardäre
Für einen größeren Medienaufschrei, wie beispielsweise zu den Sichtungen von (angeblich "russischen") Drohnen, sorgte der Berichtsentwurf in Deutschland nicht. Immerhin entrüsten sich Sozialverbände, darunter der Paritätische. Dessen Hauptgeschäftsführer Joachim Rock bezeichnete selbigen als "ernüchterndes Dokument der sozialen Schieflage in Deutschland". Er schrieb:
"Der Bericht zeigt glasklar: Armut bleibt in Deutschland ein Massenphänomen, das sich zunehmend verfestigt. Gleichzeitig wird das Thema Reichtum weitgehend ausgeblendet – das ist ein fatales politisches Signal."
Man möchte ihm antworten: Nein, ausgeblendet wird der Superreichtum weniger Personen – das Manager Magazin berichtete kürzlich von 256 Milliardären in Deutschland – ganz und gar nicht. Die Bundesregierung sorgt sich sehr wohl um Multimillionäre und Milliardäre, ja fördert ihren Reichtum exklusiv mit Subventionen, Steuerschlupflöchern sowie vom Steuerzahler finanzierten Sonderaufträgen und Infrastruktur.
Ausgeblendet wird das nur in dem Bericht. Wo kämen wir, ironisch angemerkt, auch hin, wenn die Massen erführen, wie die Regierung mit ihren Steuergeldern die Superreichen pampert, während sie selbst kaum noch über die Runden kommen!
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