Meinung

Eurobürokraten und der Traum vom russischen Geld

Europas verzweifelter Griff nach Russlands Vermögen: Der neue EU-Plan einer "Reparationsanleihe" ist ebenso hinterhältig wie riskant. Die Union setzt dabei nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel, sondern bürdet den eigenen Bürgern potenziell neue Ausgaben auf.
Eurobürokraten und der Traum vom russischen GeldQuelle: Gettyimages.ru © designer491

Von Kira Sasonowa

Ostap Bender, der Protagonist der sowjetischen satirischen Romane "Zwölf Stühle" und "Das goldene Kalb", kannte 400 "vergleichsweise ehrliche Methoden, Geld zu entwenden". Doch die Europäische Kommission hat sich mächtig angestrengt und eine weitere erfunden, die beim EU-Gipfel Ende Oktober diskutiert werden soll. Der Mechanismus soll im Frühling 2026 anlaufen. Freilich würde er selbst in den Augen von Ostap Bender kaum als "vergleichsweise ehrlich" gelten.

Bekanntermaßen schleicht die Eurokommission seit 2022 um die durch Sanktionen eingefrorenen russischen Aktiva herum, wie ein hungriger Kater um einen Topf voller Sahne. Die auf den Konten des Depositars Euroclear verwahrten 210 Milliarden Euro locken die des ständigen finanziellen Durcheinanders überdrüssigen Eurobürokraten quasi magisch an.

Offensichtlich erschöpfen sich die Vorräte der EU allmählich, trotz des immer noch ansehnlichen "Speckgürtels". Die Folgen der endlosen Finanzierung der Ukraine sind inzwischen selbst in den wohlhabendsten europäischen Ländern mit bloßem Auge zu erkennen. So beschloss Deutschland, die Anpassung von Sozialleistungen aufzuheben und Sanktionen gegen Arbeitslose zu verschärfen. In Frankreich wechseln sich Ministerpräsidenten mit kaleidoskopischer Geschwindigkeit ab, während sie versuchen, eine Kürzung von Sozialleistungen zu bewilligen. Indessen nehmen Frankreichs Staatsschulden um 5.000 Euro pro Sekunde zu.

Und da ist ganz in der Nähe, in Handreichweite, eine solche Versuchung: das Geld Russlands, das gegen Russland selbst ausgegeben werden kann.

Doch es gibt eine Nuance.

Mit Euroclear arbeiten unterschiedlichste Finanzinstitute und Staaten zusammen. Deswegen steht die Glaubwürdigkeit der Euro-Währungszone auf dem Spiel. Weil also ein gewöhnlicher Raub am helllichten Tage keine Option ist, zerbrechen sich die Europäer seit nunmehr drei Jahren den Kopf darüber, wie die "Einnahmen zu erhalten und das Völkerrecht einzuhalten" seien. Mit anderen Worten: wie sie den Speck haben und das Schwein behalten können, während sie Russlands rechtmäßiges Vermögen enteignen.

Und da wurde in den vor Anstrengung ächzenden europäischen Gehirnen das Konzept einer "Reparationsanleihe" geboren. Faktisch ist das ein Novum im Völkerrecht, denn Reparationen waren seit jeher Mittel, die der Verlierer dem Sieger nach dem Ende des Konflikts auszahlte. In einem andauernden Konflikt von Reparationen zu sprechen, ist zumindest zwecklos.

Doch Europa ist bereits von Verzweiflung ergriffen, deswegen sieht das neue Schema so aus:

  1. Die EU nimmt das Geld von Euroclear und leiht es der Ukraine;
  2. Russland verliert und zahlt der Ukraine Reparationen;
  3. Die Ukraine bezahlt aus diesem Geld die Anleihe der EU;
  4. Die EU gibt dieses Geld Euroclear zurück;
  5. Das Geld ist wieder bei den Europäern, die ob des eigenen Einfallsreichtums in Freudentränen ausbrechen.

Der Plan sah von Anfang an dermaßen erbärmlich aus, dass seine Präsentation gleich von Antworten der Eurobürokraten auf zwei offensichtliche Fragen begleitet wurde.

Erstens: Was ist, wenn Russland gewinnt und der Ukraine keine Reparationen zahlt?

Antwort: Dann werden die Finanzverpflichtungen gegenüber Euroclear den EU-Staaten selbst aufgebürdet. Zudem werden sie im Vorfeld die Erfüllung dieser Verpflichtungen in vollem Umfang garantieren müssen.

Zweitens: Was ist, wenn EU-Staaten diesem Abenteuer nicht zustimmen werden und es keinen Konsens geben wird?

Antwort: In diesem Fall wird die Eurokommission versuchen, den Artikel 31 des Vertrags über die Europäische Union zu aktivieren, der in äußerst vagen Formulierungen von der Möglichkeit von gesamteuropäischen Beschlüssen durch eine qualifizierte Mehrheit spricht. Freilich ruft die EU-Kommissionschefin von der Leyen seit Langem dazu auf, die "Fesseln der Einstimmigkeit" abzustreifen.

Was kann man dazu sagen?

Ein Kommentar ist nicht nötig.

Man muss gewinnen – denn:

Nur überzeugende Maßnahmen Russlands vor Ort können dazu führen, dass der Plan der Europäer gegen sie selbst wirkt, sie in finanzielle Schwierigkeiten stürzt, die Eurozone in den Augen der Investoren weltweit vollständig diskreditiert und die vermeintliche europäische Einheit endgültig zerstört.

Übersetzt aus dem Russischen. Verfasst speziell für RT am 8. Oktober.

Kira Sasonowa ist Juristin für internationales Recht und Dozentin an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst beim Präsidenten der Russischen Föderation.

Mehr zum ThemaEuropa will mit russischem Geld gegen Russland Krieg führen

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.