Meinung

Donald Trump feuert die Ukraine an

Ist es denkbar, dass Putin und Trump bei ihrem Treffen in Anchorage die Möglichkeit einkalkuliert haben, dass der amerikanische Präsident seine "Hausaufgaben" nicht wird erledigen können? Und haben sie sich für diesen Fall auf einen "Plan B", einen Alternativplan, verständigt, den Trump nun umsetzt?
Donald Trump feuert die Ukraine anQuelle: www.globallookpress.com © Presidential Office of Ukraine

Von Geworg Mirsajan

Es herrscht erneut Bestürzung unter den russischen "Sofa-Experten". Der Haupt-Showman der Weltpolitik – US-Präsident Donald Trump – machte nach seinem Treffen mit Wladimir Selenskij in New York eine Reihe von für Russland beleidigenden und in gewisser Weise sogar gefährlichen Äußerungen.

So bezeichnete er Russland als "Papiertiger" (also als auf den ersten Blick mächtiges Land, das in Wirklichkeit jedoch völlig machtlos ist), das "seit dreieinhalb Jahren ziellos einen Krieg führt, den eine echte Militärmacht in weniger als einer Woche hätte gewinnen können". Er sagte, dass "mit Zeit, Geduld und finanzieller Unterstützung Europas und insbesondere der NATO die Rückeroberung der ursprünglichen Grenzen, von denen aus dieser Krieg begonnen hat" für die Ukraine durchaus möglich ist. Und dass Kiew "sogar noch weiter gehen" könne.

Außerdem erklärte Trump, dass die USA weiterhin Waffen an die NATO liefern werden, "damit die NATO damit das macht, was sie für richtig hält". Die NATO-Staaten forderte er auf, "russische Flugzeuge, die ihren Luftraum verletzen, abzuschießen".

In der Ukraine wird dies als Zeichen der uneingeschränkten Unterstützung des US-Präsidenten für alle ukrainischen Vorhaben interpretiert, darunter auch für ihr Bestreben, Raketenangriffe tief in russisches Hoheitsgebiet durchzuführen. "Trump hat gezeigt, dass er die Ukraine bis zum Ende unterstützen will. Es sind sehr positive Signale von Trump und den USA, dass sie bis zum Kriegsende an unserer Seite stehen werden", freut sich der Chef des Kiewer Regimes, Wladimir Selenskij.

Skeptiker in Russland sehen Donald Trump hingegen als für Russland "verloren" an. Er habe sich den Überredungsversuchen der Europäer (die seit mehreren Monaten versuchen, den amerikanischen Präsidenten auf ihre Seite zu ziehen) gebeugt, und nun würden die USA wieder auf die Linie des Ex-Präsidenten Joe Biden einschwenken. Das heißt, sie würden den Ukraine-Konflikt eskalieren lassen und aktiv in ihn investieren. Damit sei der Geist des Alaska-Gipfels nicht mehr zu spüren.

In Wirklichkeit ist die Situation etwas komplexer. Tatsächlich gibt es zwei mögliche Szenarien – und diese bedeuten nicht das "Aus", sondern sind vielmehr eine logische Fortsetzung des Treffens zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem US-Präsidenten Donald Trump in Anchorage.

Wie viele Experten und Journalisten bereits anmerkten, erzielten die Präsidenten Russlands und der USA in Alaska eine gewisse Einigung über die Rahmenbedingungen für die Beendigung der Ukraine-Krise. Sie einigten sich auf grundlegende Konzepte und darauf, was jede Seite tun muss, um auf diesem Weg voranzukommen.

Die "Hausaufgaben" der US-Seite bestanden offensichtlich darin, die Ukraine und Europa davon zu überzeugen (oder zu zwingen – für Moskau spielte es dabei keine Rolle), diesem Szenario zuzustimmen. Ohne die Zustimmung der Ukraine (mit der ein offizielles Friedensabkommen unterzeichnet werden müsste) und Europas (das hinter dem Rücken der USA weiterhin das Kiewer Regime unterstützen, aufrüsten und die Ukraine in die NATO ziehen könnte) ist die Umsetzung der russisch-amerikanischen Vereinbarungen nicht möglich.

Diese "Hausaufgaben" zu erfüllen, war Donald Trumps ehrliches Bestreben. Bereits unmittelbar nach dem Treffen in Anchorage telefonierte er zunächst mit den Europäern und Ukrainern und traf sich anschließend mit ihnen. Gemessen an den nachfolgenden Erklärungen und Handlungen Kiews und Brüssels gelang es ihm jedoch nicht, sie zu überzeugen oder zu zwingen. Das bedeutet, dass gerade er die Verantwortung dafür trägt, dass die Anchorage-Vereinbarungen nicht umgesetzt werden können.

Daraus ergeben sich zwei Interpretationen des aktuellen Verhaltens von Donald Trump. Im Rahmen der ersten beschloss der US-Präsident angesichts der Aussichtslosigkeit weiterer Verhandlungen mit Moskau (vor dem Hintergrund des Scheiterns seiner "Hausaufgaben" und der weiteren Annäherung Russlands an China, Nordkorea und Indien), keine neuen Beziehungen zum Kreml aufzubauen und sich auf die Seite der Europäischen Union zu stellen. Er entschied sich, sich der "ukrainischen Seite" anzuschließen, um eine strategische Niederlage Russlands zu erreichen – oder zumindest Moskau damit zu drohen und so eine Revidierung der Anchorage-Vereinbarungen hin zu für Trump weniger belastenden Konditionen zu erreichen.

Theoretisch hätte Donald Trump gerade in dieser Weise handeln können, jedoch steht dies im Widerspruch zu einer Reihe von Faktoren. Erstens, dem wahlpolitischen – Trumps Kernwählerschaft spricht sich gegen eine Verwicklung der USA in den Ukraine-Konflikt aus. Der zweite Faktor ist persönlicher Natur: Trumps Abneigung gegenüber Selenskij ist bekannt, ebenso wie seine Unwilligkeit, die Position anderer (in diesem Fall Europas) als richtig anzuerkennen. Der dritte Faktor betrifft die strategische Ebene: Der Verlust Russlands als Partner würde eine Niederlage Washingtons in der globalen Konfrontation mit Peking bedeuten.

Schließlich gibt es noch den vierten Faktor – die innenpolitische Reaktion in Russland. Die provokativen Äußerungen von Donald Trump stehen im Kontrast zu der äußerst gelassenen Reaktion der russischen Führungsstellen, die sogar eine gewisse Ironie erkennen lässt.

So betonte etwa der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, dass Russland ein Bär sei und es keine Papierbären gebe. Der "Hauptlieferant radikaler Bewertungen" und stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, bemerkte lediglich, dass Trumps Position unbeständig sei. "Das Wichtigste besteht darin, den eigenen Standpunkt zu den unterschiedlichsten Fragen häufig grundlegend zu ändern. Dann wird alles gut. Darin liegt das Wesen einer erfolgreichen Staatsführung über soziale Netzwerke", fasste Dmitri Anatoljewitsch Medwedew zusammen.

Daher erscheint die zweite Interpretation der verbalen Eskapaden von Donald Trump weitaus plausibler. Höchstwahrscheinlich haben die Präsidenten Putin und Trump bei ihrem Treffen in Anchorage auch die Variante in Betracht gezogen, dass der US-Präsident seine "Hausaufgaben" nicht erledigen kann. Für diesen Fall einigten sie sich auf einen Alternativplan, in dessen Rahmen Donald Trump sich von der Ukraine-Krise distanzieren wird, damit Moskau sie auf militärischem Wege lösen kann. Alternativ könnte er sich vorübergehend auf Distanz begeben und sich ihr dann wieder zuwenden, wenn das Kiewer Regime und das es unterstützende Europa erkennen, dass sie aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, Russland entgegenzutreten.

Stimmt man dieser Interpretation zu, erscheinen die Aussagen von Donald Trump in einem logischen Licht. Die Bezeichnung Russlands als "Papiertiger" demonstriert eine gewisse Maskulinität und eine Unterschätzung des russischen Militärpotenzials, dem Europa angeblich gut entgegenwirken könnte. Der Hinweis, dass die Ukraine "mit finanzieller Unterstützung Europas" siegen könnte, sowie das Fehlen jeglicher Verpflichtungen der USA gegenüber Kiew (selbst US-Sanktionen gegen Russland wurden nicht versprochen) – bedeuten lediglich die Bereitschaft, US-Waffen an die NATO zu verkaufen. Dabei handelt es sich um genau die Waffen, die Israel und auch die US-Armee derzeit selbst dringend benötigen.

Und schließlich sind alle Aussagen, dass "die Ukraine in der Lage wäre, ihr Land in seiner bisherigen Form zurückzuerobern und, wer weiß, vielleicht sogar noch weiter zu gehen", nichts anderes als eine Aufforderung an das Kiewer Regime, diese Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Donald Trump schürt faktisch die Ambitionen der Ukraine, damit sie schneller in Flammen aufgeht. Er drängt das Kiewer Regime zu Schritten, die Moskau als ausreichenden Grund betrachten würde, um die militärische Sonderoperation in der Ukraine in eine neue Phase zu überführen – mit dem Einsatz anderer Waffen und gegen andere Ziele.

Welche Interpretation von Donald Trumps Verhalten zutreffend ist, wird die Zeit zeigen. Die Zeit und die Taten.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 25. September 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.

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