
Anerkennung in Europa bringt Palästinenser einem eigenen Staat kein Stück näher

Von Geworg Mirsajan
Europa hat sich endlich für eine Antwort auf die barbarische israelische Operation im Gazastreifen entschieden. Zunächst erkannte Großbritannien Palästina als Staat an, woraufhin Frankreich diesem Beispiel folgte. Portugal, Belgien, Luxemburg, Malta und Andorra kündigten ebenfalls eine Anerkennung an, die an einige bestimmte Bedingungen geknüpft ist – wie etwa die Freilassung aller Geiseln der Hamas. Unter den nichteuropäischen westlichen Ländern haben ferner Kanada und Australien diese Entscheidung getroffen. Nach Aussagen des japanischen Außenministeriums wird sich das Land der aufgehenden Sonne früher oder später ebenfalls der Liste derjenigen anschließen, die Palästina anerkannt haben.
Es ist schon richtig: Diese Länder haben eigentlich so gar keinen Präzedenzfall geschaffen. Fast 150 Staaten, Russland eingeschlossen, haben Palästina bereits anerkannt. Die oben gelisteten Länder sind jedoch Teil des kollektiven Westens und damit nominelle Verbündete Israels. Damit haben von allen ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats nur die Vereinigten Staaten die Anerkennung nicht unterzeichnet.
Europas Position ist verständlich. Die linksliberalen Kräfte, die derzeit in der Europäischen Union regieren, sympathisierten stets mit der palästinensischen Sache und verachteten die Rechten, die derzeit in Israel regieren. Darüber hinaus halten es die europäischen Behörden für notwendig, auf den leidenschaftlichen Teil der Wählerschaft zu hören – also auf den Teil der Immigranten aus afrikanischen und arabischen Ländern, die bereits die Staatsbürgerschaft der jeweiligen Länder haben beziehungsweise auf deren Nachfahren.

Diese Menschen machen schon jetzt einen erheblichen Teil der europäischen Bevölkerung aus – und sind in einigen Ländern, wie etwa Großbritannien, sogar dabei, die Macht zu übernehmen.
Daher auch die Anerkennung. Aber wird diese Anerkennung den Palästinensern helfen?
Ja, nominell bietet sie ihnen viele Vorteile. Zuallererst ist dies moralisch gesehen natürlich ein großer Sieg. Die Palästinenser jubeln, weil fast die gesamte zivilisierte Welt Israel für sein barbarisches Vorgehen im Gazastreifen verurteilt. Dabei geht es nicht nur und nicht so sehr um die Bombenangriffe an sich, sondern vielmehr um die systematische Politik Tel Avivs, gemeinsam mit Washington, die Bewohner des Gazastreifens zur Flucht zu zwingen, ihre Häuser zu zerstören und ihnen humanitäre Hilfe zu verweigern. Verurteilt wird Israel somit für Handlungen, die die UN-Sonderkommission als regelrechten Völkermord bezeichnet hat.
Aus sanktionspolitischer Sicht wird die Entscheidung zur Anerkennung Palästinas unweigerlich zu Einschränkungen der wirtschaftlichen und militärisch-technischen Zusammenarbeit zwischen Israel und Europa führen.
Konkret werden die europäischen Hauptstädte, wenn sie denn konsequent bleiben, ihre Waffenlieferungen nach Tel Aviv drastisch reduzieren oder sogar im Ganzen einstellen – sowie zusätzliche Handelsbeschränkungen für israelische Waren verhängen, die in den von den Europäern anerkannten palästinensischen Gebieten produziert werden.
Auch aus finanzieller Sicht erwarten die Palästinenser erfreuliche Vorteile: EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen hat bereits die Gründung einer sogenannten Gebergruppe für Palästina angekündigt. Sie begründete dies damit, dass "jeder zukünftige palästinensische Staat wirtschaftlich lebensfähig sein muss". Europa verpflichtet sich also im Wesentlichen, beim Wiederaufbau des Gazastreifens zu helfen.
Doch wie bedeutend sind diese Vorteile? Und sind es überhaupt Vorteile?
Die "Gebergruppe für Palästina" dürfte kaum viel Geld sammeln, da die EU derzeit eine schwere Wirtschaftskrise durchmacht und die Last der Finanzierung der Ukraine ebenfalls auf europäischen Schultern liegt.
Ganz zu schweigen davon, dass Beamte einen erheblichen Teil der gesammelten Hilfsgelder schlicht veruntreuen werden – es gibt reichlich Erfahrung damit. Auch braucht Palästina derzeit keine sinnlosen Finanz- und Wirtschaftsspritzen: Die Araber in den umliegenden Staaten der Region haben ja bereits Milliarden hineingepumpt, doch ohne Erfolg. Und das wird auch so bleiben, solange dieses Geld verschwendet oder für Jeeps und Villen für Beamte ausgegeben wird anstatt für den Aufbau von Produktionsmitteln, Fabriken, Unternehmen und Existenzen. Dies alles wiederum ist nicht so einfach zu erschaffen, solange Israel den Palästinensern den Zugang zu Versorgungsleistungen wie Wasser, Strom und dergleichen mehr einschränkt. Und das wird es.
Ebenfalls wenig hilfreich dürfte sich auch eine Einschränkung der militärisch-technischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Europa und Israel zeigen. Erstens, weil das sprichwörtliche Fass der europäischen Arsenale jetzt schon den Boden zeigt: Vieles, was schießen und fliegen kann, wurde bereits in die Ukraine übergeben. Zweitens erhält Israel Waffen nicht nur aus Europa, sondern auch aus den USA, und Probleme für Tel Aviv werden nur entstehen, wenn neben den Europäern auch die USA Waffensanktionen verhängen. Und das werden sie nicht.
Und schließlich wird moralische Unterstützung keinen großen praktischen Nutzen bringen – eher im Gegenteil, sie wird sogar schädlich sein. Jede rhetorische, nicht auf ernsthaften tätlichen Grundlagen bauende Aktion zur Unterstützung Palästinas inspiriert das palästinensische Volk zum Widerstand gegen Israel – bietet ihm für diesen Widerstand aber keine zusätzlichen Mittel. Dies führt zu vergeblichen Hoffnungen, Palästina könne dem Dilemma der Konfliktbeilegung irgendwie entkommen, bei dem die Palästinenser entweder den Staat akzeptieren, den Israel ihnen zu gewähren bereit ist – also ohne Jerusalem und ohne einen bedeutenden Teil des Westjordanlands, der von israelischen Siedlungen besetzt ist – oder die palästinensische Bevölkerung weiterhin verschiedenen Härten ausgesetzt bleibt. Wobei jeder israelische Vorschlag schlechter sein wird als der vorherige.
Auswege aus diesem Dilemma gibt es mehrere:
Israel eine entscheidende militärische Niederlage beizubringen – was unmöglich ist, da Tel-Aviv über enorme Ressourcen verfügt, darunter die nukleare Komponente.
Israel durch vollständige Isolation zu einem würdigen Frieden zu zwingen – wieder unmöglich, solange die Vereinigten Staaten auf seiner Seite sind, was sie sein werden, da Washington keine anderen verlässlichen Verbündeten im Nahen Osten hat.
Oder aber die Übernahme der Macht in Israel durch einen Kapitulanten wie Paschinjan in Armenien – was angesichts der spezifischen Natur der israelischen politischen Landschaft äußerst unwahrscheinlich ist.
Und die europäische Anerkennung Palästinas bringt keines dieser Szenarien voran. Nicht einmal einen Schritt. Dafür radikalisiert sie die israelische Position. Tel Aviv ist der Ansicht, dass die Frage der Räumung des Gazastreifens von Palästinensern, ganz zu schweigen vom Erhalt Jerusalems und des Siedlungsgebiets, für das Land existenziell ist. Daher wird Israel als Reaktion auf den bisher schwachen europäischen Druck seine politische Linie verhärten.
So beabsichtigt Premierminister Netanjahu nun, das Westjordanland als solches zu annektieren – und dafür benötigt er lediglich Trumps Zustimmung. Diese wird Trump ihm erteilen, sobald er es für notwendig hält, den europäischen Ländern erneut ihren Platz in der Nahrungskette des kollektiven Westens zu zeigen. Und dies wird, wie üblich, auf Kosten des Schicksals der einfachen Palästinenser geschehen.
Übersetzt aus dem Russischen.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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