
Gaza: Israel versucht, die Palästinenserfrage endgültig zu lösen

Von Viktoria Nikoforowa
In der Nacht zum Dienstag drangen Panzer der israelischen Streitkräfte (IDF) in die Wohngebiete der Stadt Gaza ein. Zuvor wurden die Wohngebäude von der israelischen Luftwaffe bombardiert. Innerhalb von nur 20 Minuten wurde Gaza 37-mal angegriffen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels waren bereits 59 Palästinenser ums Leben gekommen, 386 wurden verletzt. Den ganzen gestrigen Tag über rückten drei Divisionen der israelischen Armee unter dem Begleitfeuer von Bomben und Granaten vom Stadtrand in Richtung Zentrum von Gaza vor.
So begann eine neue Runde der blutigen Konfrontation, die ihren Anfang am 7. Oktober 2023 nahm. Damals – erinnern wir uns – nahmen Hamas-Kämpfer auf israelischem Gebiet 252 Geiseln gefangen und töteten etwa 1.200 Menschen.

Seit fast zwei Jahren rächt sich die IDF für diesen Angriff mit einer im wahrsten Sinne des Wortes alttestamentarischen Brutalität. Nach vorsichtigen offiziellen Schätzungen sind in dieser Zeit etwa 65.000 Palästinenser ums Leben gekommen und mehr als 120.000 wurden verletzt. Allerdings gibt es auch Expertenmeinungen, auf die sich kürzlich die UN-Sonderberichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, bezog, wonach die tatsächliche Zahl der Opfer bereits bei 700.000 liegt, wenn man die Getöteten und Verwundeten zusammenzählt. Drei Viertel davon sind – wiederum laut Statistiken der Vereinten Nationen – Frauen und Kinder.
Die Palästinenser starben durch Kugeln und Granaten, durch Bomben und Raketen, durch fehlende medizinische Versorgung, durch Nahrungs- und Wassermangel. Israel verwehrte ausländischen humanitären Missionen mit Lebensmitteln und Medikamenten den Zugang nach Gaza und führte gezielte Angriffe auf bedürftige Menschen durch, die sich in Warteschlangen für Lebensmittel versammelt hatten.
Es ist eine bemerkenswerte Asymmetrie zu beobachten: Die 2023 entführten israelischen Geiseln sind der ganzen Welt mit ihren Vor- und Nachnamen bekannt, ihre Fotos wurden millionenfach gedruckt, während die getöteten Palästinenser zu einer gesichtslosen Masse verschmelzen. Es scheint, als hätte die eine Nation alle Rechte, während die andere nur das Recht hat, unbemerkt zu sterben.
Die gleiche Asymmetrie lässt sich auch in Bezug auf Palästina und Israel beobachten. Die Resolution der Vereinten Nationen von 1947 zur Gründung eines palästinensischen Staates wurde bis heute nicht umgesetzt. Den Staat Israel hingegen gibt es sehr wohl, und er führt ungestraft Angriffe auf alle Länder durch, die er nur erreichen kann.
Selbstverständlich sind die von der Hamas verübten Terroranschläge zu verurteilen. Allerdings reagiert die israelische Armee auf solche vereinzelten Terrorakte mit der systematischen Zerstörung allen Lebens. Das Argument, dass sich die Terroristen hinter Frauen und Kindern "verstecken", ist dabei nicht haltbar: Die Kriegsgesetze und -gebräuche verbieten ausdrücklich die Tötung von Nichtkombattanten.
Die Staats- und Regierungschefs westlicher Länder sowie die Vereinten Nationen haben die Lage in Gaza lange Zeit mit bemerkenswerter Gelassenheit betrachtet. Und dies ist verständlich: Jegliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aktionen der israelischen Armee hätten zu Vorwürfen des Antisemitismus führen können, und das ist genau das, was die öffentlichen Politiker vermeiden möchten.
Gleichzeitig waren die europäischen Straßen voller empörter Demonstranten, die forderten, den Völkermord in Gaza zu beenden. Man konnte diese Proteste nicht ignorieren – und nun ruft der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez dazu auf, israelischen Sportlern die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen zu untersagen. Na ja, wenigstens das.
Und die Europäische Kommission schlägt jetzt vor, die Aufhebung der Zollbefreiung für 37 Prozent der israelischen Exporte in die EU in Betracht zu ziehen. Bislang wurde jedoch noch keine Entscheidung darüber getroffen. Die Demokraten und Humanisten in der Europäischen Union scheinen das Blutvergießen und die Tränen in Gaza nicht zu bemerken.
Aber was noch viel wichtiger ist: Die Handlungen Israels in Gaza wurden von einer unabhängigen internationalen UN-Kommission zur Untersuchung der Ereignisse in den besetzten palästinensischen Gebieten als Völkermord eingestuft. In ihrem Bericht heißt es:
"Die israelischen Behörden haben die Reproduktionsfähigkeit der Palästinenser im Gazastreifen als Volksgruppe teilweise zerstört, unter anderem durch Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten; es wurden absichtlich solche Lebensbedingungen geschaffen, die auf die physische Vernichtung der Palästinenser als Volk abzielen, was gemäß dem Römischen Statut und dem Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ('Völkermordkonvention') als Völkermord gilt."
Bemerkenswert ist, dass diese UN-Untersuchungskommission von Navi Pillay – einer Dame indischer Herkunft, die in Südafrika geboren wurde und dort lange Zeit tätig war – geleitet wird. Sie war die erste "nicht-weiße" Frau am Obersten Gerichtshof der Republik Südafrika, engagierte sich gegen die Apartheid und leitete den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda. Sie hat keinen tief sitzenden europäischen Schuldkomplex gegenüber Israel, was es ihr ermöglicht, die Situation des Völkermords in Gaza objektiv zu beurteilen und die Dinge beim Namen zu nennen.
Im vergangenen Jahr wandte sich gerade die Führung Südafrikas an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) mit der Forderung, Haftbefehle gegen die Führer der Hamas und Israels zu erlassen, und beschuldigte sie der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Selbstverständlich wurden die Ergebnisse dieser Kommission von offiziellen Vertretern Israels bereits kritisiert. Es wurde zudem die Auflösung der Kommission gefordert. Der Premierminister des Landes bestätigte den "Beginn einer groß angelegten Operation in Gaza". Bezeichnenderweise kommentierte er die Aktionen seiner Armee aus dem Gerichtssaal heraus: Benjamin Netanjahu ist wegen Bestechung, Betrug und Vertrauensmissbrauch angeklagt.
Als offizielles Ziel der IDF-Operation wird die Zerschlagung der Hamas-Bewegung angegeben, doch viele Experten vermuten, dass das inoffizielle Ziel die vollständige Besetzung des Gazastreifens und die "physische Vernichtung der Palästinenser als Volksgruppe" ist.
Es fällt jedoch auf, dass alle dreisten Militäroperationen Israels in den letzten Monaten nicht dazu beitragen, auch nur eine einzige Aufgabe langfristig zu lösen. Die Angriffe auf Iran blieben ohne Ergebnis, die Ermordung der Führungsspitze der Hisbollah führte nicht zu deren Zerschlagung, und die Attacke auf Doha brachte Israels wichtigstem Schutzherrn – Washington – enorme Schwierigkeiten in der Region ein. Und durch die Untergrabung des Einflusses der USA sägt Tel Aviv an dem Ast, auf dem es selbst sitzt.
Israel droht bereits seit Jahrzehnten, die Hamas "endgültig zu zerstören", jedoch ist dies bislang nicht geschehen. Und natürlich bedeutet die totale Zerstörung von Gaza eine tödliche Gefahr für genau die Geiseln, um deren Befreiung es bei dieser Militäroperation eigentlich gehen soll. Allerdings scheinen diese unglücklichen Menschen in der Kriegshitze einfach vergessen worden zu sein.
In Russland hört man oft Aufrufe, "wie Israel" zu kämpfen. Aber abgesehen davon, dass dies unmoralisch und unmenschlich ist, ist es auch nutzlos. Nicht ohne Grund rief der israelische Staatschef seine Mitbürger dazu auf, sich auf eine Autarkie, also eine vollständige Isolation von der Weltgemeinschaft, vorzubereiten: Denn das Einzige, was man mit einer solchen aggressiven Politik erreichen kann, ist der Status eines Ausgestoßenen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 17. September 2025 zuerst bei "RIA Nowosti" erschienen.
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