
Erdölpreise werden dauerhaft fallen – den größten Schaden trägt jedoch nicht Russland

Von Olga Samofalowa
Die Preise für Erdöl sind in diesem Jahr bereits um 12 US-Dollar pro Barrel gefallen. Im Januar 2025 lag der Preis für die Marke Brent bei 77 US-Dollar pro Barrel, im September bereits bei 65 US-Dollar. Bis Anfang 2026 erwartet der Markt einen Preisrückgang bis unter 60 US-Dollar pro Barrel. Und die Preise könnten mehrere Jahre lang so niedrig bleiben.
Westliche wie russische Experten und nicht nur sie warnen, dass die Welt direkt auf eine neue Ära niedriger Ölpreise zusteuert. Auch die größten Ölkonzerne sind davon überzeugt und haben bereits begonnen, sich auf die erwartete schwierige Lage vorzubereiten, indem sie den Gürtel enger schnallen und mit deutlichen Umsatzeinbußen rechnen.
So streichen die globalen Giganten BP, Chevron und ConocoPhillips Tausende von Stellen, senken ihre Kosten, wo immer sie können, und fahren Investitionen zurück. So etwas hat es seit der Coronavirus-Pandemie nicht mehr gegeben.

Und auch andere Akteure bereiten sich auf das Schlimmste vor: Sogar Saudi-Arabiens größter Ölkonzern, Saudi Aramco, verkaufte seine Anteile an Pipeline-Netzwerken für zehn Milliarden US-Dollar, um Bares herauszuschlagen. Malaysias Petronas hat rund 5.000 Stellen abgebaut.
Überhaupt: Wenn die Welt in eine Ära billigen Öls stürzt, hat dies stets negative Folgen für Ölproduzenten und Exportländer. Am schlimmsten aber trifft es dabei die US-amerikanischen Schieferölunternehmen und die kanadischen Ölproduzenten. Sie sind es, deren Förderungsraten als Erstes zurückgefahren werden müssen – eben weil ihre Förderungskosten am höchsten sind. Für ein besseres Verständnis: Die niedrigsten Ölproduktionskosten gibt es in Saudi-Arabien, weil das Erdreich dort bis in sehr, sehr große Tiefen nur Sand ist und sich die Förderung des schwarzen Goldes technisch nicht so schwierig gestaltet.
Expertenschätzungen zufolge beträgt der Selbstkostenpreis des saudischen Erdöls durchschnittlich 10 bis 15 US-Dollar pro Barrel. In Russland sind die Kosten mittlerweile etwas höher. Sie liegen im Durchschnitt bei 20 bis 25 US-Dollar pro Barrel, da die alterschlossenen Ölfelder erschöpft sind und momentan eine neue Ressourcenbasis erschlossen wird, deren Beschaffenheit höhere Förderungskosten bedingt. Darüber hinaus hat Russland eine hohe Steuerbelastung für Ölproduzenten, die ja ebenfalls in dieser Zahl enthalten ist.
In den Vereinigten Staaten hingegen erreichen die Selbstkosten der Schieferölproduktion 40 bis 50 US-Dollar pro Barrel und sind bei einigen Projekten sogar noch höher. Schieferölproduktionstechnologie ist halt kein billiges Vergnügen. Hinzu kommt, dass die US-Amerikaner, auch während der Corona-Pandemie, immer zuerst die profitabelsten Ölfelder erschlossen haben. Doch jedes Jahr werden die Ölfelder komplexer und erfordern immer mehr Investitionen.
Kanada hat gar noch weniger Glück: Das Land muss sein Erdöl aus Teersanden gewinnen, was noch teurer ist als aus Schiefervorkommen. Die Produktionskosten übersteigen dort oft 50 US-Dollar pro Barrel.
Es überrascht daher nicht, dass die Ölproduzenten in den USA und Kanada sogar schon bei den aktuellen 66 US-Dollar pro Barrel die Förderung zurückzufahren beginnen. Wenn der Ölpreis unter 60 US-Dollar pro Barrel fällt, wird sich dieser Rückgang nur noch beschleunigen. Die US-Ölproduzenten sind sich dessen bewusst und entlassen daher bereits jetzt Mitarbeiter.
Doch dieses Unglück für die US-Erdölindustrie hat andererseits einen großen Vorteil für den globalen Ölmarkt im Allgemeinen und für andere Ölproduzenten im Besonderen. Denn durch diese ihre Marktpreisempfindlichkeit beginnen US-amerikanische und kanadische Ölproduzenten, die (für sie ziemlich undankbare) Rolle von Marktausgleichern zu übernehmen. Was bedeutet das?
Erstens: Wenn die Preise aufgrund von zu viel Angebot und zu geringer Nachfrage fallen, wie es etwa jetzt der Fall ist, dann muss man so oder so jemandem die Flügel stutzen. Saudi-Arabien, Russland und der OPEC+ im Allgemeinen könnte ja gar nichts Besseres passieren als dass ihre Konkurrenten, die USA und Kanada, ihre Ölförderung drosseln müssen. Dann können die OPEC+-Mitglieder auch noch ihrerseits die Produktion steigern, somit ihren Anteil am Weltmarkt ausweiten und dadurch sogar ihre Rivalen verdrängen. Tatsächlich ist das Kartell bereits seit dem Frühjahr genau damit beschäftigt. Man ist dabei, mehr als 2,2 Millionen Barrel pro Tag wieder zurück auf den Markt zu bringen, um den Betrag also, um den im Jahr 2023 die Produktion reduziert wurde.
Ein zweiter Vorteil für die OPEC+ und andere Produzenten angesichts der einmalig hohen Kosten bei der US-amerikanischen und kanadischen Produktion, nebst der Tatsache, dass diese bei fallenden Preisen als erste zurückgefahren werden muss, ist der stabilisierende Effekt auf ebendiese Preise: Da die USA einen Teil des Angebots vom Markt nehmen, wird der Ölpreisverfall gestoppt und es kommt nicht zu einem irreversiblen Absturz.
Mehr noch: Falls die Preise auf 40 bis 50 US-Dollar pro Barrel fallen, werden die US-Schieferölproduzenten selbst es gar nicht erst zulassen, dass sie lange auf diesem niedrigen Niveau bleiben. Denn in den USA lassen sich die Bohrstellen sehr leicht schließen. Im Gegensatz beispielsweise zu russischen Ölfeldern, wo dies technisch nicht so einfach ist. Und bei einem Preis von 40 US-Dollar werden sie von den Unternehmen auch einfach geschlossen.
Statt einer Überproduktion wird sich auf dem Markt schnell ein Defizit an schwarzem Gold bilden und die Preise werden wieder steigen. Und sind sie wieder gestiegen, dann lassen sich auch die Schieferöl-Bohranlagen, die zuvor so leicht stillgelegt worden waren, genauso problemlos auch wieder in Betrieb nehmen. Ein weiterer ihrer Vorteile als Ausgleichslieferanten.
Über 60 US-Dollar pro Barrel jedenfalls werden die Preise in den kommenden Jahren jedoch kaum steigen können, solange die fundamentalen Faktoren des Überangebots gegeben sind.
Für das Angebot ist die OPEC+ verantwortlich, die in diesem Jahr mit ihrer Produktionssteigerung begonnen hat und die Förderung höchstwahrscheinlich auch im Jahr 2026 hochfahren wird.
Derweil ist China als größter Verbraucher weltweit für die Nachfrage verantwortlich. Und hier hatten Experten große Bedenken, dass Peking den Kauf von Rohöl für strategische und kommerzielle Reserven einstellen und somit die globale Nachfrage einbrechen lassen würde. Allerdings könnte Peking bis Ende 2026 weiterhin importieren, um seine Reserven aufzustocken.
Dies wird die Lage vorübergehend entspannen, dürfte aber die Erdölpreise kaum zum Wachstum auf ein Niveau deutlich über dem aktuellen bewegen. Zumindest, wenn die OPEC+ nicht von ihrer Strategie des Förderungsausbaus abrückt. Und das ist unwahrscheinlich, denn Saudi-Arabien wie die anderen Mitglieder der OPEC+ sind nach wie vor sehr daran interessiert, ihre verlorenen Positionen auf den Ölmärkten zurückzugewinnen.
Die Ära der niedrigen Ölpreise könnte bis Ende der 2020er-Jahre oder sogar bis Anfang der 2030er-Jahre andauern. Irgendwann werden die Preise dennoch steigen müssen. Schon deshalb, weil sich der Faktor der Unterinvestitionen in der Branche auswirken wird: Tatsächlich haben die globalen Ölkonzerne aufgrund der im Westen angekündigten Energiewende und der erwarteten Massenumstellung auf Elektroautos seit Jahren rekordverdächtig wenig in die Erschließung neuer Erdölfelder investiert.
Die Energiewende ist zwar gescheitert, aber die Folgen werden sich in fünf bis sechs Jahren bemerkbar machen. Denn um im Jahr 2030 von einem Ölfeld auch Erdöl fördern zu können, hätte man bereits im Jahr 2020 in das Feld investieren müssen.
Natürlich ist die Erstellung von Prognosen für den weltweiten Erdölmarkt eine äußerst undankbare Aufgabe, da jeder geopolitische, militärische oder Handelskonflikt die Marktlage innerhalb einer Sekunde radikal verändern kann. Zum Beispiel eine Blockade der Straße von Hormus oder des Bosporus, oder auch irgendwelche neuen harten Sanktionen. Daher sind bei höherer Gewalt Preissprünge möglich. In der Regel lösen sich solche akuten Konfliktsituationen jedoch sehr schnell auf. Die fundamentalen Faktoren von Angebot und Nachfrage bleiben hingegen bestehen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 16. September 2025.
Olga Samofalowa ist eine russische Journalistin, im Wirtschaftsressort der Zeitung Wsgljad sowie für RIA Nowosti und SNA (Sputnik) tätig.
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