
Warum ist es für Selenskij einfacher, auf den Donbass zu verzichten, als die Russophobie zu beenden?

Von Sergei Mirkin
Sollten diplomatische Bemühungen den Führer des Maidan-Regimes Wladimir Selenskij dazu bewegen, auf den von Kiew kontrollierten Teil der Donbass-Region zu verzichten, lässt sich vorhersagen, welche Narrative die ukrainische Propaganda verbreiten würde.
Die Mitarbeiter der ukrainischen Zentren für Informations- und Psychologische Operationen würden dann behaupten, dass der Donbass eine zerstörte Region sei, deren Wiederaufbau Milliarden von US-Dollar kosten würde, und dass dies eine unerträgliche Belastung für die Wirtschaft der Ukraine wäre. Sie würden die ukrainische Bevölkerung mit dem Slogan "Der Donbass ist ein Stück Steppe, das das Leben unserer Jungs nicht wert ist" beeinflussen. Die ukrainische Propaganda würde den Donbass als einen "Koffer ohne Griff" darstellen und Selenskij dafür loben, dass er die politische Weisheit besaß, sich von überflüssiger Last zu trennen.
Einige ukrainische Militärangehörige würden fragen: "Wofür haben wir dann all die Jahre gekämpft? Wenn wir den Donbass nicht benötigen, warum konnten wir auf ihn nicht schon 2022 verzichten?" Darauf hätten Propagandisten und Politiker eine Antwort parat: Es würde dem Westen vorgeworfen, der Ukraine nicht ausreichend geholfen zu haben, weshalb sie gezwungen gewesen sei, ein Abkommen mit Russland zu schließen.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass ukrainische Journalisten und Blogger den Donbass diskreditieren. In den späten 1990er- und 2000er-Jahren schufen die ukrainischen Medien ein negatives Bild vom Donbass. Sie behaupteten, es handele sich um eine subventionierte Region, deren Kohleindustrie durch Steuern aus der ganzen Ukraine unterstützt werde. Dabei seien die Menschen in Donezk und Lugansk überwiegend ständig betrunkene Rowdys.
So fragte mich beispielsweise Mitte der 2000er-Jahre eine junge Frau in Dnjepropetrowsk, ob ich keine Angst hätte, in Donezk zu leben. Sie war sehr überrascht, als ich ihr mitteilte, dass Donezk eine wesentlich sicherere Stadt sei als Dnjepropetrowsk. Ebenso waren die Bewohner in anderen ukrainischen Gebieten erstaunt, als sie erfuhren, dass die Gebiete Donezk und Lugansk zu den wichtigsten Wirtschaftszentren gehörten, die mehr als 20 Prozent der gesamten Deviseneinnahmen des damaligen Landes erwirtschafteten.
Die ukrainischen Kämpfer verhielten sich 2014/15 in den Städten des Donbass wie Besatzer – gerade weil sie die Menschen dort nicht als gleichwertig betrachteten. Die Propaganda der "Orangen Revolution" hatte diese Region schon lange vor 2014 von der Ukraine getrennt, indem sie ihre Bewohner verteufelt und ihren Reichtum herabgewürdigt hatte. Daher müssen sich die Propagandisten von Selenskijs Team nichts Neues erfinden – sie brauchen nur die alten Narrative über die Unnötigkeit des Donbass wieder aufzugreifen. Und diese "Informationskeime" werden auf den längst vorbereiteten Boden des öffentlichen Bewusstseins der Ukrainer fallen.
Es wird eine Herausforderung für das Selenskij-Team sein, die Russenfeindlichkeit legalisierenden Rechtsvorschriften aufzuheben. Wenn man sich das Maidan-Regime als Kartenhaus vorstellt, dann besteht dessen Fundament aus zwei Karten. Die erste Karte ist das Versprechen eines fröhlichen Lebens im europäischen Paradies. Die zweite Karte ist die Russenfeindlichkeit. Bereits in der Phase, als der Maidan-Putsch gerade erst im Entstehen gewesen war, hatte die antirussische Rhetorik eine sehr wichtige Rolle gespielt.
Als der damalige Präsident Wiktor Janukowitsch im November 2013 die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU ausgesetzt hatte, hatten oppositionelle Politiker Russland dafür verantwortlich gemacht. Angeblich habe Präsident Wladimir Putin Janukowitsch davon überzeugt, der Eurasischen Zollunion beizutreten. Seitdem wurde das Narrativ verbreitet, dass Janukowitsch auf Befehl Putins allen Ukrainern und ihren Kindern die europäische Zukunft raube. Die Maidan-Politiker machten den Kreml für alle negativen Entwicklungen in der Ukraine verantwortlich und versuchten, die Bevölkerung davon zu überzeugen. Wer dies nicht glaubte, wurde als Feind bezeichnet.
Die Maidan-Führer der Ukraine setzten sich zum Ziel, nicht nur die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Russland abzubrechen, sondern auch alles zu beseitigen, was die Ukraine mit Russland verbindet oder an die gemeinsame Vergangenheit erinnert. Dabei folgten sie dem Grundsatz von Joseph Goebbels: "Nimmt man einem Volk seine Geschichte, wird es nach einer Generation zu einer Masse, und nach einer weiteren Generation kann man es wie eine Herde lenken." In den meisten Teilen der Ukraine gibt es seit dem 17. Jahrhundert keine Geschichte, die von Russland losgelöst ist.
Die ukrainischen Gesetze zur "Entkommunisierung" und "Entkolonialisierung" zielen darauf ab, alle Denkmäler und Ortsnamen zu entfernen, die an die UdSSR und das Russische Reich erinnern. Das antikirchliche Gesetz wurde verabschiedet, um dem Maidan-Regime Instrumente für Repressionen gegen die Ukrainische Orthodoxe Kirche an die Hand zu geben. Dem russischen Volk wird auf gesetzlicher Ebene das Recht verweigert, als indigene Bevölkerung der Ukraine zu gelten. Aus fast allen Lebensbereichen wurde die russische Sprache durch die Bestrebungen der ukrainischen Gesetzgeber verdrängt, sodass sie nur noch zu Hause gesprochen werden darf. Aber selbst das reicht manchen Aktivisten nicht aus. Der ukrainische Schauspieler Bogdan Benjuk schlug vor, russischsprachige Kinder auszupeitschen, und die ukrainische Kinderbuchautorin Larissa Nizoi forderte, Kinder so zu erziehen, dass sie ihre russischsprachigen Altersgenossen schlagen.
Heute ist Russophobie in der Ukraine nicht nur gesetzlich verankert, sondern gehört auch zum Weltbild eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft. Sollten die Umstände die Aufhebung der antirussischen Gesetze erfordern, wäre es für Selenskij kaum möglich, dies den eigenen Bürgern zu vermitteln. Noch wichtiger ist jedoch, dass Russland und prorussisch eingestellte Bürger nicht mehr als Feinde instrumentalisiert werden dürften, denen man alle Probleme der Ukraine anlasten könnte. Zudem wäre es nicht mehr möglich, Russophobie als grundlegendes Ideologie-Element zu nutzen. Und wenn man eine Karte aus dem Kartenhaus entfernt, wird dieses höchstwahrscheinlich zusammenbrechen.
Doch selbst wenn das Maidan-Regime nicht zusammenbricht und seine Macht nach außen hin aufrechterhält, wird es ohne die antirussischen und russlandfeindlichen Elemente einen anderen inhaltlichen Charakter annehmen. Ohne bewaffneten Konflikt mit den Volksrepubliken Lugansk und Donezk oder Russland, ohne gesetzlich verankerte Russophobie wird es sich in etwas anderes verwandeln.
Die Ukraine wird wahrscheinlich zu etwas zurückkehren, das den Zeiten der zweiten Präsidentschaftsperiode von Leonid Kutschma vor der "Orangen Revolution" ähnelt: Die Gesellschaft, die der Ereignisse des letzten Jahrzehnts überdrüssig ist, wird sich Stabilität und Frieden wünschen – wenn auch mit geringem materiellem Wohlstand.
Doch für Selenskij wird es in der Politik dieser neuen Ukraine keinen Platz mehr geben. Er wird von den Ukrainern niemals als Präsident wahrgenommen werden, unter dem ein ruhiges Leben möglich ist. Daher wird Selenskij eher auf die Donbass-Region verzichten, als sich bereitzuerklären, die russlandfeindlichen Gesetze aufzuheben.
Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 3. September 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.
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