
Propaganda: Wie der WDR die Kölner Friedensdemo zu einem Gewaltevent umdichtet

Von Susan Bonath
Aufrüstung, Wehrpflicht, Sozialkahlschlag: Deutsche Politiker und Leitmedien trommeln emsig für die "Kriegsertüchtigung" des NATO-Westens. Sie schwadronieren von "Werten", schüren neurotische Ängste vor Russen, Arabern und anderen vermeintlichen "Feinden" und blasen abwechselnd Erwerbslose, Migranten, Alte, Kranke und diverse Aktivisten zu Sündenböcken der Nation auf. Zugleich eskaliert der Staat die Repression gegen politische Gegner. Und wenn die Polizei, wie letztes Wochenende in Köln, Dutzende Friedensdemonstranten zusammenschlägt, rotieren die Propagandisten in deutschen Redaktionen.

Mit seiner "Berichterstattung" über die Demonstration in Köln des Bündnisses "Rheinmetall entwaffnen" lieferte der öffentlich-rechtliche Westdeutsche Rundfunk (WDR) kürzlich ein Paradebeispiel für subtile Propaganda. Angefangen mit Behauptungen, die nicht zum gezeigten Videomaterial passen, über Weglassung wichtiger Fakten, zum Beispiel bereits den Grund des Protests, bis hin zur nicht hinterfragten Fixierung auf die Polizeiversion verfolgte der Sender offensichtlich vor allem ein Ziel: die Friedensaktivisten als angeblich gewaltbereiten Mob verächtlich zu machen – und potenzielle Teilnehmer einzuschüchtern.
Beamte "ermitteln" gegen sich selbst
Es fängt schon mit einer so tendenziösen wie absurden Überschrift an: "Nach Gewalt bei Demo: Polizei Köln zeigt sich selbst zur Aufklärung an." Damit suggeriert der Sender zunächst vage, die Demonstranten seien wohl die Gewalttäter gewesen, um dann ein Bild von einer guten, unschuldigen Staatsmacht zu zeichnen: Die Polizei habe sich sogar selbst angezeigt, weil sie so sehr an der Aufklärung möglicher eigener "Fehler" interessiert sei. Die sich aufdrängende, aber nicht gestellte Frage, bei wem sich die Polizei denn selbst angezeigt hat, verdeutlicht die Absurdität: natürlich bei sich selbst.
Ohne auch nur einmal den Grund der Demonstration zu erwähnen, präsentiert der WDR dann "Aufnahmen eines Anwohners", die angeblich zeigen: "Innerhalb von Minuten flammt die Gewalt auf". Weiter kommentiert der WDR-Reporter: "Demonstranten stürmen auf Polizisten zu, Polizisten drängen Demonstranten ab mit vollem Körpereinsatz." Und zack, ist die Richtung des Beitrags gesetzt: Die Teilnehmer des Protestmarschs hätten die Gewalt eskaliert. Problem: Das gezeigte Videomaterial zeigt genau das nicht.
Unbelegte Polizeiversion
Zu sehen ist vielmehr, wie aggressive Polizeieinheiten von mehreren Seiten behelmt und um sich schlagend in die Menge stürmen, die offensichtlich so schnell gar nicht ausweichen kann. Der Grund für die Attacke ist nicht ersichtlich. Um den Anschein von Objektivität zu wahren, lässt der WDR einen Anwohner kurz sagen, die Polizei sei "direkt losgegangen und am Schlagen" gewesen. Darauf deutet tatsächlich einiges hin. Doch eine weitere "Anwohnerin" darf das schnell wieder relativieren: Das sei "aber von beiden Seiten provokant" gewesen, und die Polizei müsse sich schließlich "wehren". Wogegen, wird vom Sender nicht hinterfragt.
Umgehend geht der Bericht dann zur Polizeiversion über: Beamte ohne Schutzwesten hätten sich nur "den Lautsprecherwagen näher ansehen" wollen. Der Behördensprecher darf seine Version dann ausführlich ausbreiten: Die beiden Beamten seien von Teilnehmern "dicht umstellt" sowie "bedrängt und zu Boden gebracht" worden. Anschließend seien diese Kollegen "nicht mehr dienstfähig" gewesen. Mit "Reizstoff und Schlagstöcken" hätten weitere Einsatzkräfte sie "befreien" müssen. Auch diese seien "massiv angegriffen" worden, behauptet der WDR-Reporter dramatisierend. Und der Polizeisprecher setzt noch eins drauf: Aktivisten hätten gar versucht, Beamten die Dienstwaffen zu entreißen – "Gott sei dank vergeblich".
Unkritische Staatsnähe
Dass es für derlei behauptete Angriffe durch Protestierende bisher keinen Beleg gibt, für die ausufernde Polizeigewalt aber schon, verschweigt der Sender geflissentlich. Der Reporter fragt nicht einmal bei der Behörde nach entsprechenden Beweisen, obwohl genau das eine Aufgabe des Journalisten gewesen wäre. Es ist seit Langem eine bekannte Unsitte im deutschen "Qualitätsjournalismus", Versionen der involvierten Ordnungsmacht unkritisch als Tatsache zu verbreiten und Staatsorgane als glaubwürdiger als alle anderen Seiten darzustellen – obwohl die Polizei ein involvierter Akteur ist, der gar nicht so selten beim Lügen erwischt wurde.
Diese unkritische Nähe zur Staatsgewalt, verbunden mit unbelegten Behauptungen, verschwiegenen Fakten und mangelnder eigener Recherche, ist aber kein Journalismus, sondern Propaganda. Der WDR setzt diese subtil ein: Durch die Publikation einiger weniger Sätze der Teilnehmerseite verleiht er sich den Anschein von Objektivität, um seinen Bericht nicht gar zu tendenziös wirken zu lassen.
So lässt der Sender zwar den Versammlungsleiter Reiner Schmidt kurz ins Mikrofon sagen, dass die Polizei trotz Kooperationsgebots während der Demo nicht mit ihm kommuniziert und auch das Gespräch mit einer Linke-Abgeordneten verweigert und diese stattdessen "geschlagen und gewürgt" habe. Sogleich wechselt der Reporter aber wieder zurück zur ("glaubwürdigeren") Polizeigeschichte: Die habe ja nun, neben zahlreichen Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten, sich selbst bei sich selbst "angezeigt".
Die Botschaft, die beim Zuschauer offenbar ankommen soll, lautet: Bitte nicht aufregen, das war höchstens ein einzelnes Versehen, der Staat regelt das schon. Schließlich müsse sich die Ordnungsmacht gegen (vermeintlich) gewalttätige Demonstranten wehren. Und Ironie an: Der Staat lügt bekanntlich nie!
Beim Lügen erwischt
Der WDR verschwieg nicht nur, dass sich die Demonstration gegen Aufrüstung, Waffenexporte und Kriegstreiberei richtete, sondern auch die enorm hohe Anzahl geschädigter Teilnehmer. Das Bündnis "Rheinmetall entwaffnen" sprach in einer Pressemitteilung von 147 teilweise Schwerverletzten, unter anderem durch den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken. 18 Personen hätten im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Die Organisatoren kritisierten zudem massive und grundlose Angriffe durch die Polizei und eine elfstündige Einkesselung von Hunderten der etwa 3.000 Demonstranten, die sie dann sämtlich erkennungsdienstlich behandelt habe. Auch eine Abgeordnete sei angegriffen, ein Journalist festgesetzt und Sanitäter behindert worden. Schon zu Beginn hätten die Beamten den Protestzug erfindungsreich aufgehalten, etwa, "weil sie die TÜV-Kennzeichnungen an den Lautsprecherwagen überprüfen wollte", heißt es. Später hätten sie einen der Wagen durchsuchen wollen, angeblich wegen mitgeführter "Gasflaschen", "Böller" und "Eisenstangen".
Doch wie eine ND-Recherche ergab, existierten diese Dinge – die Hauptbegründung der Polizei für ihren harten Einsatz – nur in der Fantasie der Behörde.
So entpuppten sich die angeblichen Gasflaschen als Heliumbehälter für Luftballons, die "Eisenstangen" als glänzende PVC-Träger für Plakate, die "Böller" als Rauchtöpfe – und die Polizei (nicht zum ersten Mal) als Märchenerzählerin.
"Racheakt der Militaristen"
Die an der Demonstration beteiligte Kleinpartei DKP sieht in dem Vorgehen sogar einen "Racheakt der Militaristen", wie sie in einer Erklärung schreibt. Dazu zitierte sie Aussagen einzelner Polizeibeamter. So habe einer zu den stundenlang mitten in der Nacht Eingekesselten gesagt: "Seid doch froh, dass es aktuell noch keine Minusgrade hat". Ein weiterer habe geäußert: "Wir verprügeln sie heute so sehr, dass sie danach nicht mehr demonstrieren". Auch hätten Beamte die Festgesetzten nicht nur geschlagen, sondern ihnen über viele Stunden Wasser und Toilettengänge verweigert. Weiter erklärt die DKP:
"Proteste gegen Aufrüstung, gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht und gegen die exorbitanten Gewinne deutscher Rüstungsunternehmen sind heute notwendiger denn je. Der Staat reagiert mit Verboten, Repression, Pfefferspray, Faustschlägen und der Auflösung von angemeldeten Demonstrationen."
Ihrer Meinung nach versucht der Staat mit "rechtswidrigen Gewaltakten" Kriegsgegner einzuschüchtern und die Friedensbewegung gegen die mit massivem Sozialabbau und Propaganda einhergehende Aufrüstung Deutschlands kleinzuhalten. Dies dürfe die Proteste "gegen Krieg und Hochrüstung, für Solidarität mit dem palästinensischen Volk und gegen den reaktionär-militaristischen Staatsumbau" aber nicht stoppen.
Damit dürfte die Partei nah an der Wahrheit liegen. Langjährige Friedensaktivisten wissen wohl aus Erfahrung: Je kritischer sich Proteste gegen die Mächtigen richten, desto härter greift der Staat durch. Das kann man durchaus positiv deuten: als Barometer dafür, wie wichtig und zielführend das Anliegen ist.
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