
"Hartz-Kommission 2.0": Ein Gremium bereitet Sozialkahlschlag vor

Von Susan Bonath
Mit einer Neuauflage der Hartz-Kommission hat die Große Koalition den größten Angriff seit 20 Jahren auf den Sozialstaat gestartet. So nahm am Montag eine von SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas eingesetzte "Sozialstaatskommission" aus Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen ihre Arbeit auf. Die Arbeitsgruppe soll bis zum Ende dieses Jahres rabiate Kürzungen bei "steuerfinanzierten Leistungen wie Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag" vorbereiten, wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) Ende August mitgeteilt hatte.
Damit hat die Bundesregierung unter dem neoliberalen Hardliner, Kanzler Friedrich (BlackRock) Merz, die Bereiche abgesteckt, aus denen sie Geld für Aufrüstung und Krieg zu pressen gedenkt: bei den Ärmsten, den Erwerbslosen und Niedriglöhnern, die mit Bürgergeld aufstocken, auf zusätzliches Wohngeld oder Kinderzuschlag angewiesen sind. Die Gruppe der Leidtragenden wird aber weitaus größer sein. Denn dieser Angriff richtet sich gegen alle Lohnabhängigen. Es geht darum, sie kollektiv zu entrechten, zu verängstigen und ihre Arbeitskraft zu verbilligen. Durchsetzen will die Politik das mit ihrer Lüge vom "aufgeblähten Sozialstaat".

Hartz-Kommission 2.0
Laut BMAS soll die Kommission "vorhandene Reformvorschläge für einen modernen Sozialstaat und eine effiziente und bürgerfreundliche Sozialverwaltung prüfen und priorisieren". Sie werde dafür "Fachgespräche mit den Sozialpartnern" führen – ein Euphemismus für an die Kette gelegte DGB-Gewerkschaften und Sozialverbände auf der einen sowie die Kapitallobby auf der anderen Seite, der die Tatsache ignoriert, dass Beschäftigte und Unternehmen gegensätzliche Interessen haben, die hinsichtlich Arbeitsbedingungen und Lohnhöhe nur unversöhnlich sein können.
Man kann wohl von einer Neuauflage der sogenannten Hartz-Kommission sprechen, die kurz nach der Jahrtausendwende unter dem Vorsitz des vorbestraften ehemaligen Volkswagenmanagers Peter Hartz unter anderem Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegte, auf ein Minimum stutzte und weitreichende Repressionen einbaute, um Betroffene unter Androhung existenzieller Übel in den Niedriglohnsektor zu zwingen und flächendeckend Löhne und Gehälter zu drücken. Bekanntlich gelang dies damals.
Skandal-Politiker als Ratgeber
Wie damals bietet sich auch heute die seit über hundert Jahren für ihren permanenten Verrat an ihrer Wählerschaft bekannte SPD als Erfüllungsgehilfin für den geplanten Sozialkahlschlag an. Ministerin Bas will nicht nur einschlägige neoliberale Wirtschaftsverbände einbeziehen, sondern zum Beispiel die undurchsichtige "Initiative für einen handlungsfähigen Staat". Deren Mitbegründer und Tonangeber ist ausgerechnet der CDU-Mann Thomas de Maizière, der wohl als einer der korruptesten Politiker in die Geschichte der deutschen Nachwendezeit eingehen wird.
So soll de Maizière ab den späten 1990er Jahren in sächsischen Regierungsämtern an der Vertuschung des sogenannten "Sachsen-Sumpfes", eines Prostitutions- und Geldwäscheskandals, beteiligt gewesen sein. Als späterer Bundesverteidigungs- sowie -innenminister habe er Akten zur NSU-Mordserie zurückgehalten, von denen ein erheblicher Teil später geschreddert wurde. Unter de Maizière soll der Bundesnachrichtendienst (BND) dem US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst NSA auch praktisch geholfen haben, die EU-Kommission und die französische Regierung auszuspionieren.
Viele weitere Skandale durchzogen seine Karriere; stets standhaft zeigte er sich jedoch in seiner Haltung für Aufrüstung und Sozialabbau.
Die Bürgergeld-Täuschung
De Maizières Initiative impliziert, dass Deutschland wegen eines angeblich "aufgeblähten Sozialstaats" nicht mehr (ausreichend) handlungsfähig sei. Dieses neoliberale Märchen propagiert die Politik seit vielen Jahren, obwohl es leicht widerlegbar ist. Auch Friedrich Merz bemüht diese Erzählung in Dauerschleife. So verkündete er am vorletzten Augustwochenende medienwirksam: "Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar." Er meinte damit das Bürgergeld.
Die Propaganda beruht jedoch auf dem Trick, die Teuerungsrate, also die Inflation, zu ignorieren und auf Vergleiche mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dem Bundeshaushalt zu verzichten. Statt reale Entwicklungen zu beleuchten, tischen Politiker und Medien den Bürgern nominale Zahlenspiele auf, wonach man auch "argumentieren" könnte, dass die Arbeiter im Jahr 2002 mit einem Netto von 1.200 Euro zufrieden gewesen seien und darum ihre Forderungen nach höheren Löhnen heute doch endlich unterlassen sollten.
Ignorierte Teuerung
Setzt man die Bürgergeldkosten in Bezug zur Teuerungsrate, wird die Täuschung deutlich: Im Jahr 2010 gab der Bund 46,9 Milliarden Euro für den gesamten Hartz-IV-Apparat inklusive Verwaltung aus – nominal genauso viel wie im vergangenen Jahr. Die Waren wurden seither jedoch um insgesamt 35,4 Prozent teurer. Die Ausgaben für die Grundsicherung für Arbeitssuchende, wie es auf Amtsdeutsch heißt, sind also binnen 14 Jahren keineswegs gestiegen, sondern um mehr als ein Drittel gesunken.
Ein ähnliches Bild ergibt sich im Vergleich mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), auf das Merz mit seiner Behauptung, der Sozialstaat sei "volkswirtschaftlich nicht mehr zu leisten" anspielt. Im Jahr 2010 gab der Bund fast 1,8 Prozent (46,9 Milliarden) vom BIP (2,62 Billionen) für den gesamten Hartz-IV-Apparat aus. Im vergangenen Jahr betrugen die gesamten Bürgergeldausgaben nur noch rund 1,1 Prozent vom BIP. Wäre dieser Etat im Vergleich zum BIP heute real so hoch wie 2010, müsste dieser bei 77 Milliarden Euro liegen.
Selbiges offenbart das Verhältnis der Bürgergeldkosten zum Bundeskernhaushalt. Vor 15 Jahren wendete der Bund rund 15,5 Prozent seiner Gesamtausgaben dafür auf. Letztes Jahr betrug dieser Anteil nur noch gut zehn Prozent, denn mit der Inflation stieg das Haushaltsbudget von gut 300 auf rund 466 Milliarden Euro.
Angriff auf alle Beschäftigten
Der derart mit falschen Behauptungen als alternativlos propagierte weitere Kahlschlag beim Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag zielt aber keineswegs nur auf Erwerbslose und Niedriglöhner ab, sondern ist ein Angriff auf alle Lohnabhängigen. Je stärker der Gesetzgeber das soziale Auffangnetz durchlöchert, desto mehr greift die Angst vor Arbeitslosigkeit um sich – und desto mehr lassen sich Beschäftigte gefallen, von Lohneinbußen über prekäre Arbeitsbedingungen bis zu unbezahlten Überstunden.
SPD-Arbeitsministerin Bas weiß das offensichtlich – und ihr ist wohl ebenso klar, dass andere das wissen. Und so tut sie, was die SPD seit Jahrzehnten in ihren Koalitionen mit der Union tut: nach außen meckern, nach innen trotzdem handeln. Merz’ Behauptung, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar, bezeichnete sie auf einer Landeskonferenz ihrer Jugendorganisation Jusos in Nordrhein-Westfalen treffend als "Bullshit".
SPD als Steigbügelhalterin
Tags zuvor hatte Bas jedoch bereits eine weitere Nullrunde beim Bürgergeld und schärfere Sanktionen gegen ungehorsame Erwerbslose angekündigt – mit Blick auf die Teuerung eine versteckte Kürzung. Ihr Parteichef und Finanzminister Lars Klingbeil übte sich ebenfalls im Strammstehen vor dem größeren Koalitionspartner. Man fahre "den Druck hoch", wie er sagte – freilich "nur" gegen vermeintliche "Totalverweigerer", sprich: Bürgergeldbezieher, die dem Jobcenter nicht aufs Wort gehorchen.
So schwankt die SPD weiterhin zwischen Schein und Sein, wirkt dabei wie eine Parodie ihrer selbst. Man kennt das schon: Als unter Altbundeskanzler Gerhard Schröder 2003 die Hartz-Reformen auf den Weg gebracht wurden, explodierten die Armut, der Niedriglohnsektor und der Zulauf an den Tafeln nur wenig später. Dass dies eigentliches Hauptziel dieser Reform war, nämlich Lohndrückerei und Aushöhlung von Arbeitsrechten, verkündete Schröder nur gegenüber der Kapitallobby. Offiziell schwadronierte er vom uferlosen Sozialstaat.
Gleiches ist wohl auch dieses Mal zu erwarten. Nur, dass der Kanzler jetzt Friedrich Merz heißt, in der CDU ist und zuvor unter anderem bei BlackRock, einem der größten Vermögensverwalter weltweit, millionenschwere Karriere gemacht hat. Merz ist für seine antisoziale Haltung bekannt. Schon 2008 forderte er, die Regelsätze für erwachsene Hartz-IV-Bezieher auf 132 Euro monatlich zu senken.
Der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU ist ebenfalls ein Programm für weitere Verarmung auf der einen und Milliardärsgeschenken auf der anderen Seite. Die SPD sitzt längst wieder mit im Boot.
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