Meinung

Entwaldungsfreiheit und Schokolade: Die EU, die Bürokratie und der Wahn der Macht

Ein "Entwaldungsfreiheitsnachweis" für Kakaobohnen, auf so was kann nur die EU kommen. Aber das nächste bürokratische Monstrum, das in Kraft tritt, ist nicht nur genauso dämlich wie Heizvorschriften etc., es ignoriert, wie Märkte tatsächlich reagieren.
Entwaldungsfreiheit und Schokolade: Die EU, die Bürokratie und der Wahn der MachtQuelle: www.globallookpress.com © matka via www.imago-images.de

Von Dagmar Henn

Diesmal fällt selbst vielen deutschen Medien vorher auf, dass diese EU-Verordnung ganz andere Folgen haben wird als ursprünglich behauptet. Sogar die Bild berichtet darüber unter der Überschrift "Neuer EU-Hammer aus Brüssel", was natürlich die Tatsache stillschweigend übergeht, dass der deutsche Anteil an solchem Unfug immer beträchtlich ist.

Worum es geht? Ab Jahreswechsel tritt eine weitere EU-Verordnung in Kraft, für "entwaldungsfreie Produkte". Danach dürfen nur noch Produkte in die EU importiert werden, für deren Anbauflächen nach dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder geschädigt wurde. Betroffen sind davon sieben Rohstoffe: Kaffee, Kakao, Palmöl, Soja, Rindfleisch, Holz und Kautschuk.

Für all diese Produkte soll nun entlang der gesamten Lieferkette, also bis in den Supermarkt, angegeben werden, woher sie stammen, GPS-Koordinaten eingeschlossen. Auch Produkte, die aus diesen Rohstoffen erzeugt werden, wie Schokolade, Leder oder Möbel, sind betroffen. Die Strafen bei Verstößen betragen mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes in der EU.

"Für den Konsum an landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Europa werden anderswo auf der Welt Wälder zerstört oder geschädigt. Entwaldungsfreie Lieferketten sind daher ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Landwirtschaft mit zahlreichen positiven ökologischen und sozialen Effekten", behauptet das Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat auf seiner Website. Wobei nicht nur belegt werden muss, dass kein Wald für den Anbau gerodet wurde: "Zudem müssen die Rohstoffe und Erzeugnisse mit den Gesetzen des Ursprungslands im Einklang stehen und unter Beachtung der in der Verordnung spezifizierten, elementaren Menschenrechte produziert worden sein. Mit einer Sorgfaltserklärung müssen die Erfüllung der Sorgfaltspflicht und die Einhaltung der Verordnung bestätigt werden."

Es gibt sogar ein hübsches, buntes Video noch aus Zeiten von Minister Cem Özdemir, das in Kindersprache erklärt, warum diese Verordnung das allgemein Gute, Wahre und Schöne sei (und es gibt ein Factsheet des Instituts der Wirtschaftsprüfer, das ein wenig vermittelt, mit welchem Schrecken man es wirklich zu tun hat – dass beispielsweise Wirtschaftsprüfer künftig auch prüfen und berichten müssen, ob all diese Meldevorschriften eingehalten wurden).

Nur ein Beispiel: Raffiniertes Palmöl ist Bestandteil einer ganzen Menge von Kosmetika. Nachdem alle Produkte betroffen sind, die in der EU vertrieben werden, gleich, wo sie hergestellt wurden, muss also nun im Grunde zu jeder Cremedose oder jeder Seife ein halbes Buch mitgeliefert werden, in dem die Herstellung der betroffenen Rohstoffe dokumentiert ist. Wirklich witzig wird das dann dadurch, dass diese Verordnung auch in der EU erzeugtes Rindfleisch betrifft, das zwar mit ziemlicher Sicherheit nicht auf Flächen erzeugt wurde, die bis zum 31. Dezember 2020 noch Urwald waren, aber dennoch von dieser "Sorgfaltspflicht" erfasst ist.

Die Medienberichterstattung zu diesem Thema geht, nicht ganz unbegründet, davon aus, dass diese Verordnung die betroffenen Produkte deutlich verteuern wird, denn der bürokratische Aufwand wird nicht vom Staat oder vom Zoll geleistet, sondern ihn müssen Hersteller, Importeure und Verkäufer leisten. Ob die entsprechenden Bücher dann auch den Ölflaschen oder Schokoladentafeln beigelegt werden müssen, damit auch das gewöhnliche Publikum etwas davon hat, lässt sich dem Ganzen nicht entnehmen.

Die Einzelhandelskonzerne finden das jedenfalls nicht lustig. Der bürokratische Aufwand sei enorm, so ein Sprecher von Edeka in der Bild, und der Chefvolkswirt der Commerzbank wies darauf hin, dass mittlerweile Bürokratie "das Hauptproblem für Unternehmen" sei, "noch vor hohen Steuern, teurer Energie und schlechter Infrastruktur".

Interessant ist, dass der Sprecher von Fairtrade Deutschland gerade bei den Bio- und Fairtrade-Produkten mit Lieferausfällen rechnet. Er nannte die Regelung eine "koloniale Fremdbestimmung". Damit deutet er etwas an, das noch wesentlich weiter gehen dürfte. Denn jede Form von bürokratischem Aufwand verschafft großen Konzernen einen Vorteil gegenüber kleinen Händlern, weil sich dieser Aufwand anteilig auf ein größeres Warenvolumen verteilt. Das gilt auf allen Ebenen – der westafrikanische Kleinbauer, der seine Kakaobohnen möglichst direkt vermarkten will (was einer der Ansätze von Fairtrade ist), hat natürlich proportional weit mehr Aufwand als der internationale Rohstoffhändler, der seine Waren gleich tonnenweise erwirbt.

Auch in Deutschland gibt es Hunderte kleiner Geschäfte, in denen Migranten aus verschiedenen Kulturen Produkte aus der Heimat kaufen und verkaufen. Nicht raffiniertes Palmöl aus Westafrika beispielsweise, das ein Bestandteil der regionalen Küche ist. Das aber auch nicht mehr importiert werden darf, wenn nicht die ganze Dokumentation mitgeliefert wird – die vielleicht für die indonesischen Großplantagen interessant ist, die Palmöl als Kosmetikrohstoff liefern, aber nicht für afrikanische Produzenten, die eigentlich für den heimischen Markt produzieren. Die Folge dieser Vorschriften wird also ganz einfach sein: Diese Produkte werden den europäischen Markt nicht mehr erreichen.

Neben der Frage, ob die Schokolade durch diesen bürokratischen Irrsinn teurer wird, gibt es nämlich noch eine ganz andere: Wie im Fall des Lieferkettengesetzes geht die EU davon aus, dass die europäischen Märkte nicht ersetzbar seien, dass also Lieferanten rund um die Welt sich lieber den Dokumentationspflichten unterwerfen, statt die Möglichkeit eines Exports in die EU zu verlieren.

Das mag auch der Wirklichkeit entsprochen haben, als die ersten Überlegungen für derartige Verordnungen stattfanden. Schließlich kann man durchaus von zwanzig Jahren zwischen der Idee und der Umsetzung ausgehen. Aber die Welt hat sich verändert. Vor allem – die Bevölkerung einer ganzen Reihe von Ländern ist nicht mehr so arm, wie sie einmal war, und das bedeutet, es gibt weit mehr mögliche Kunden für viele Produkte außerhalb der EU, als das früher einmal der Fall war. Und das führt zu völlig anderen Konsequenzen.

Denn wenn die Umsetzung dieser Verordnung nur dazu führt, dass der ganze Kleinhandel mit eigenem Import massakriert wird und die Preise in den Supermärkten noch einmal zulegen, dann wären die EU-Länder noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.

Wahrscheinlich werden viele der betroffenen Produkte nicht nur etwas teurer, wie die derzeitige Berichterstattung es nahelegt; sie könnten wesentlich teurer werden. Weil die Hersteller ihre Produkte eben an andere Abnehmer verkaufen können, die derartige Forderungen nicht stellen, sodass die Hauptwirkung nicht in der Befolgung dieser Vorschriften besteht, sondern in einer Umsteuerung der Warenströme. Das ist die grundlegende Veränderung, die die Brüsseler Bürokratie noch nicht begriffen hat: Es gibt inzwischen nicht mehr nur die Warenströme von Süd nach Nord, es gibt auch bedeutenden Süd-Süd-Handel, jenseits des US-Dollar und auch jenseits der EU-Vorgaben. Da muss man noch nicht einmal auf die Vereinigten Staaten als Alternative verweisen, die es natürlich auch noch gibt, ganz ohne den Papierkrieg.

Und was passiert, wenn, sagen wir einmal, die Hälfte der Lieferanten von Kakaobohnen zu dem Schluss kommt, ein Verkauf in die EU rentiert sich nicht? Das ist der Moment, an dem die Preise in der EU wirklich anfangen zu steigen. Pi mal Daumen stiegen sie bei gleichbleibendem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage dann aufs Doppelte. So entwickelt sich das in der Wirklichkeit natürlich nicht, weil die Nachfrage mit steigendem Preis zurückgeht – aber das ist die Richtung, von der wir sprechen. Nicht von einer Preiserhöhung, die ungefähr den bürokratischen Aufwand entlang der Lieferkette darstellt, sondern von einer Preiserhöhung, die das Ergebnis ausweichender Handelsströme ist.

Nebenbei, die deutschen Hersteller von Kosmetika sind, da Teil der chemischen Industrie und auch nicht ganz frei von Energiebedarf, ohnehin schon von den steigenden Kosten gebeutelt (Nebenbemerkung: In den letzten Jahrzehnten hat die deutsche Waschmittel- und Kosmetikindustrie große Teile des gesamten EU-Marktes übernommen, man suche mal in Griechenland nach einer einheimischen Seife), mit Sicherheit begeistert davon, den Rohstoff Palmöl im kommenden Jahr nur noch unter Schwierigkeiten zu bekommen. Und um eine Ahnung zu bekommen, was alles betroffen sein kann, empfiehlt sich auch die Lektüre der Inhaltsangaben von Fertiggerichten ...

Ja, die EU ist nicht nur bei geopolitischen Fragen völlig blind für Veränderungen und trampelt durch die Welt der Diplomatie wie ein gealterter Jahrmarktsringer, immer noch überzeugt davon, der stärkste Mann der Welt zu sein, während die Bühne schon längst Jüngeren gehört. Sie schafft es, diese verzerrte Sicht bis in die letzten Winkel des Alltags auszudehnen, immer in der Erwartung, man sei so groß und stark, dass niemand an einem vorbeikäme. Aber kein Mensch auf diesem Planeten braucht die Brüsseler Bußprediger mit ihrer neokolonialen Attitüde. Auch Chinesen essen Schokolade.

Aber vielleicht stiftet Brüssel ja den leeren Schokoladenregalen des künftigen Einzelhandels ein paar bunte Plakate, auf denen die enttäuschten Kunden dann lesen können, sie könnten sich jetzt zumindest einbilden, ein wenig Regenwald gerettet zu haben. Das wäre auch gelogen, aber es würde den Tonfall des oben erwähnten Videos aufgreifen und für die so beliebte moralische Selbstüberhöhung sorgen. Die schmeckt zwar deutlich schlechter als Schokolade, aber die Deutschen sind immerhin schon darauf konditioniert.

Mehr zum Thema – Lieferkettengesetz: Die EU, das Habeck-Ministerium und die koloniale Ordnung

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.