
Digitaler Neokolonialismus: Der politische Hintergrund der künstlichen Intelligenz, Teil II

Von Maria Sacharowa
Teil II
Zum ersten Teil geht es hier lang.
Die zweite Säule des neuen globalen Kontrollsystems ist die künstliche Intelligenz (KI) selbst und ihr wachsender Einfluss auf die Weltwirtschaft. In der Europäischen Union haben laut Schätzungen der Europäischen Kommission bereits zwei von fünf Großunternehmen KI-basierte Lösungen integriert. Zwischen 2023 und 2024 hat sich die Einführung dieser Technologie im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt und damit einen Trend zur raschen Expansion gefestigt.
Der Markt für KI-bezogene Technologien hat derzeit ein Volumen von 75 Milliarden US-Dollar, mit einem jährlichen Wachstum von 30 Prozent. Und alles deutet darauf hin, dass er weiter expandieren wird.

Die KI ist längst nicht mehr auf spezialisierte Bereiche beschränkt, sie ist auch in den Haushalten angekommen: Fast alle modernen Smartphones verfügen über eine Form der KI-basierten Verarbeitung. Die Technologie ist buchstäblich in den Händen jedes Menschen auf der Welt präsent.
Die für die Entwicklung der KI bereitgestellten Haushaltsmittel spiegeln ihre strategische Bedeutung wider. Die USA haben 500 Milliarden Dollar für das Projekt Stargate bereitgestellt. Die EU hat trotz der Schwierigkeiten ihrer Wirtschaft 200 Milliarden Euro in ihre Initiative InvestAI investiert. Großbritannien hat 14 Milliarden Pfund ausschließlich für seine Datenverarbeitungszentren bereitgestellt. Und China hat nach Schätzungen von Experten seine Investitionen in KI allein im Jahr 2024 um 48 Prozent auf 84 bis 98 Milliarden Dollar erhöht.
Dieses exponentielle Wachstum ist nicht autonom: Es hängt direkt vom Zugang zu kritischen Ressourcen und Energiequellen ab.
Seltene Erden sind zu einer neuralgischen Ressource für das Wachstum der Produktion und die Einführung von KI-Standards geworden. Ihre Vorkommen sind jedoch begrenzt, was zu erbitterten Handelsstreitigkeiten zwischen den wichtigsten Anbietern von KI-Technologie geführt hat.
Die politischen Eliten des Westens, die über keine eigenen Vorkommen verfügen, versuchen, sich den uneingeschränkten Zugang zu den Vorkommen in den Ländern der Weltmehrheit zu sichern. Zu diesem Zweck verfolgen sie eine aggressive neokoloniale Politik, die oft an Plünderung und Ausbeutung grenzt.
Laut Berichten der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) und des Instituts der Vereinten Nationen für Berufsbildung und Forschung (UNITAR) ist die Förderung dieser natürlichen Ressourcen zu einem globalen Kampf um die Umverteilung von Reichtum geworden.
Eine aufschlussreiche Zahl: Für die Herstellung eines einzigen 100 Gramm schweren Smartphones werden etwa 70 Kilogramm Rohstoffe benötigt, die hauptsächlich in den sich entwickelnden Ländern gewonnen werden. Angesichts der Tatsache, dass jährlich Milliarden von Smartphones produziert werden, warnen Experten vor einem Phänomen, das sie als "Mineralienkolonialismus" bezeichnen, bei dem westliche Unternehmen die Bodenschätze und die Arbeitskräfte dieser Nationen ausbeuten.
Laut Prognosen wird die Förderung von Mineralien, die für die digitale Transformation wichtig sind – wie Graphit, Lithium und Kobalt – bis 2050 um 500 Prozent steigen. Ein solch exponentielles Wachstum wird die ohnehin schon ungleiche Verteilung der ökologischen Belastung und der wirtschaftlichen Vorteile weltweit weiter verschärfen.
Während die Länder des sogenannten Kollektiven Westens weiterhin die natürlichen Ressourcen der sich entwickelnden Länder ausbeuten, verarmen die Länder des Globalen Südens noch mehr und werden Opfer der wachsenden digitalen Ungleichheit.
Aber die Auswirkungen beschränken sich nicht auf die Mineralien. Der Energie- und Wasserverbrauch für den Betrieb der Rechenzentren ist ein weiterer kritischer Faktor.
Laut UNCTAD haben sich die Energiekosten der 13 größten Betreiber von Rechenzentren zwischen 2018 und 2022 verdoppelt. Im Jahr 2022 verbrauchten diese Zentren etwa 460 Terawatt pro Stunde, was dem gesamten Energieverbrauch Frankreichs entspricht, und es wird erwartet, dass sich diese Zahl in den nächsten drei Jahren verdreifachen wird.
Die Nutzung von Trinkwasser zur Kühlung von Servern ist ebenso alarmierend. Allein im Jahr 2022 verbrauchte Google mehr als 21 Millionen Kubikmeter Wasser, während Microsoft 7 Millionen Kubikmeter benötigte, um sein Modell GPT-3 am Laufen zu halten. Im Kontrast dazu schätzt die UNO, dass 2 Milliarden Menschen auf der Welt keinen verlässlichen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.
Diese Realität offenbart eine widersprüchliche Priorität: Nach Ansicht der westlichen Länder ist Wasser nötiger für die Aufrechterhaltung der künstlichen Intelligenz als für die Grundversorgung von Millionen von Menschen weltweit.
Ein neues Element des sich herausbildenden neokolonialen Systems ist die ökologisch-ideologische Plattform, die von neoliberalen Kräften in den Ländern des Kollektiven Westens gefördert wird. Diese Mächte haben ein universelles System des wirtschaftlichen Laissez-faire entworfen, das die räuberischen Dynamiken des unregulierten Kapitalismus reproduziert.
Gleichzeitig fordern sie, dass sich jede wirtschaftliche Entwicklung der "nicht ausgewählten" Länder strikt an westliche "grüne Standards" zu halten hat. Nach Jahrzehnten rasanten Wirtschaftswachstums schränken die OECD-Mitgliedsländer nun politisch den Fortschritt der Länder der Weltmehrheit ein. Dabei greifen sie selbst oft zu "schmutzigen Praktiken", um ihre Hegemonie aufrechtzuerhalten, solange die Gewinnung und Produktion natürlicher Ressourcen weit entfernt von ihren eigenen Städten stattfindet.
Die steigende Nachfrage nach neuartigen Technologien wie Blockchain, künstlicher Intelligenz, 5G-Mobilfunknetzen und dem "Internet der Dinge" führt nicht zu einer Verringerung der Schadstoffemissionen, sondern zu deren Anstieg. Der Sektor ist für mehr als 3 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und verursacht jährlich bis zu 1,6 Gigatonnen CO₂. Die Kohlendioxidemissionen steigen weiterhin rasant an, in geometrischer Progression.
Das bewusste Management der Digitalisierung, die Einführung der KI und die sogenannte "grüne Agenda" haben eine revolutionäre Phase in der Entwicklung des KI-Sektors ausgelöst, die als der "Quantensprung" bekannt ist.
Am Ende des vergangenen Jahrzehnts wurde eine radikal neue Architektur für die tiefen neuronalen Netze vorgestellt: die Transformer. Zu Beginn dieses Jahrzehnts führte diese Innovation zu Massenprodukten wie ChatGPT, das sich an fast jeden Bereich menschlicher Aktivitäten anpassen kann.
Heute ist klar, dass die Prozesse im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung, digitaler Transformation, Modernisierung des Verteidigungsbereichs, politischer Gestaltung, Massenkommunikation, Bildung, Gesundheitswesen und sogar kreativen Aktivitäten untrennbar mit der universellen Einführung dieser Technologien verbunden sein werden.
Dieses Szenario bestätigt, was Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte: Wer bei der Entwicklung dieser Technologie führend ist, wird die Welt beherrschen, und ihre Einführung eröffnet ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit.
Die KI wird somit zu einem Feld geopolitischer Konkurrenz, millionenschwerer Investitionen und neuer Formen der technologischen Expansion, die durch die bereits genannten Motive vorangetrieben werden.
Darüber hinaus hat der Fortschritt der KI als autonomer und schnell wachsender Cluster Einzug in die internationalen Beziehungen gehalten. Die Themen im Zusammenhang mit neuronalen Netzen wurden rasch in die Agenda internationaler und regionaler Organisationen aufgenommen.
Unter den wichtigsten Foren ist die Organisation der Vereinten Nationen (UNO), wo zwischenstaatliche Konsultationen stattfinden, um den Globalen Dialog über die Governance der KI und die Internationale Wissenschaftliche Gruppe für diese Technologie auf den Weg zu bringen. Außerdem wird die Schaffung einer speziellen Stiftung im Rahmen der UNO diskutiert, die technische Hilfsprogramme in diesem Bereich unterstützen soll.
Seit Anfang des Jahres ist das Digital Office tätig, das dem Sekretariat der Vereinten Nationen unterstellt ist. Parallel dazu arbeitet die UNESCO an der Ausarbeitung von ethischen Normen und Standards für KI auf der Grundlage der 2021 verabschiedeten Empfehlung zur Ethik der künstlichen Intelligenz.
Unter der Schirmherrschaft der UNO arbeitet die Globale Allianz für KI in Industrie und Produktion und jährlich findet der Gipfel "KI für das Gemeinwohl" statt.
Selbst die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat Versuche unternommen, sich zu diesem Thema zu äußern.
Diese intensiven multilateralen Prozesse spiegeln die wachsende Rivalität um die Führung im Bereich der künstlichen Intelligenz wider. Sie erfordern daher die ständige Aufmerksamkeit und ein aktives Engagement der Staaten, einschließlich ihrer Außenministerien.
Letztlich wird der Aufbau einer gerechten und multipolaren Weltordnung von der Fähigkeit abhängen, die Versuche zu stoppen, die neokolonialen Ungleichheiten und die Unterdrückung der Vergangenheit im digitalen Bereich zu reproduzieren.
Maria Sacharowa ist die offizielle Sprecherin des russischen Außenministeriums.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Artikel wurde ursprünglich am 17. Juli 2025 in der Rossijskaja Gaseta veröffentlicht, jedoch auch im "Globalen Süden" beachtet, so beispielsweise in Venezuela. Die vorstehende Übersetzung aus dem Spanischen besorgte Olga Espín.
Teil I finden Sie hier.
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