Meinung

Ludwigshafen: Warum ein AfD-Mann nicht zur OB-Wahl antreten darf

Man kann diese Geschichten nicht mehr erfinden. Der Wahlausschuss von Ludwigshafen schließt den AfD-Kandidaten vom Wahlantritt aus, weil er sich nach Aussage des Verfassungsschutzes unter anderem mit Tolkien und den Nibelungen befasst hat.
Ludwigshafen: Warum ein AfD-Mann nicht zur OB-Wahl antreten darfQuelle: www.globallookpress.com © Arne Dedert/dpa

Von Dagmar Henn

Es war bereits bei dem Vorfall in Lage abzusehen, dass es nicht der einzige Fall bleiben würde, bei dem ein AfD-Kandidat von einer Bürgermeisterwahl ausgeschlossen würde. Diesmal ist es in Ludwigshafen passiert, also in einer echten Großstadt mit 122.000 Wahlberechtigten: Der Wahlausschuss unter Leitung der amtierenden Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck hat den AfD-Kandidaten Joachim Paul nicht als Wahlvorschlag akzeptiert.

Das, was in Lage passiert ist, diente dabei unübersehbar als Muster: Steinruck bat das Innenministerium, also den Verfassungsschutz, um eine Auskunft zu Paul, verlas die Antwort im Wahlausschuss und erreichte so, dass die Kandidatur dort abgelehnt wurde. Das Schreiben, das die Schlapphutbehörde geliefert hat, wurde übrigens durch das Portal Nius inzwischen veröffentlicht. Ihm geht der handgestrickte Charme der Privatspionage etwas ab, die in Lage von den dortigen Grünen geliefert worden war, und die Argumentation der Behörde ist nicht ganz so antideutsch; aber auch hier finden sich durchaus erheiternde Vorwürfe. Wie beispielsweise dieser:

"Im September 2022 wurde ein Beitrag von Joachim Paul mit Bezug zur Amazon-Serie 'Die Ringe der Macht' veröffentlicht, in welchem er Parallelen zum Nationalismus und der von der 'Neuen Rechten' verfolgten "Konservativen Revolution" zog". Es überrascht nicht, dass beim Verfassungsschutz Mitarbeiter sitzen, die Tolkien primär von der Amazon-Verfilmung kennen, aber der Bezug, den Paul herstellt, ist weder skandalös noch besonders rechts und erklärt sich auch, wenn man weiß, dass die ganze "Herr der Ringe"-Geschichte, um deren Vorgeschichte es sich dabei handelt, auch eine Allegorie auf den Zweiten Weltkrieg darstellt. Mit all den Abgründen, die sich bei einem damaligen konservativen britischen Literaturprofessor eben so finden.

Irgendwie hat der Sachbearbeiter der Mainzer Behörde überhaupt ein Problem mit Sagen und Literatur: "Weiterhin bot Paul seit dem 28. April 2023 ein Video-Seminar über das Nibelungenlied an." Zugegeben, das Drehbuch für die Nibelungen-Verfilmung von Fritz Lang stammte von Thea von Harbou, wie auch das zu Metropolis, und auch die Familie Wagners, der immerhin drei Opern zu diesem Mythos verfasste, hat eine etwas anrüchige Geschichte. Aber als das Nibelungenlied niedergeschrieben wurde, waren noch für Jahrhunderte weit und breit keine Nazis in Sicht. Mal abgesehen davon, dass auch diese Geschichte etwas vielschichtiger ist als nur dieser eine Moment mit Etzel, von dem der Begriff "Nibelungentreue" abgeleitet wurde, und der Hauptkonflikt dieser Geschichte, ganz nebenbei, der Streit zwischen zwei sehr starken Frauenfiguren ist.

In Summe liefert dieses Schreiben das, was man von dieser Behörde spätestens seit dem AfD-Gutachten erwartet: eklektizistisch zusammengestellte Informationsfragmente, die keiner validen Bewertung unterzogen sind, sondern weitgehend dem Muster von Kontaktschuld folgen: "hat X getroffen", "war in Y, wo auch X anwesend war" oder eben, wie im Falle des Nibelungenlieds, eine Reaktion auf Begriffe, die in dieser Weise Unbildung geradezu voraussetzt.

Interessant ist auch die Erklärung einer Sprecherin der Stadt, die in den Medien breit zitiert wird. Vor allem dieser Satz: "Konkret geht es dabei um die Frage, ob der Bewerber die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt." Hier muss man ein klein wenig ins Detail gehen.

Wie schon in Lage bezieht man sich auch in Ludwigshafen auf das Beamtenrecht. Begründet wird das damit, dass der Bürgermeister der Leiter der Gemeindeverwaltung ist. In Rheinland-Pfalz findet sich das in § 47 der Gemeindeordnung. Und dann gibt es den § 49 ("Verfassungstreue") des Landesbeamtengesetzes, in dem steht:

"Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne der Verfassung für Rheinland-Pfalz bekennen und für deren Erhaltung eintreten."

Wobei man bei dieser Gelegenheit erwähnen sollte, dass die Formulierung "gesamtes Verhalten" eigentlich, bis zu einer Gesetzesänderung im Bundesbeamtenrecht durch Nancy Faeser, das dienstliche Verhalten meinte, nicht das private. Besonders deutlich wird das an der Tatsache, dass eine finanzielle Sanktionierung vor Faesers Änderungen bei pensionierten Beamten nicht möglich war. Das kleine Wörtchen "jederzeit" stammt allerdings aus einem anderen Gesetz, das gewissermaßen bei Faesers Änderungen im Jahr 2024 Pate stand:

"Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden."

Ja, "jederzeit" findet sich nur in dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Jahr 1933. Wie die – leider nicht namentlich benannte – Sprecherin der Stadt Ludwigshafen auf diese Formulierung gekommen ist, müsste sie selbst klären – weder das oben zitierte Landesbeamtengesetz noch die Faesersche Neuversion enthält dieses eine Wort.

(Übrigens hat Faeser im Bundesbeamtenrecht erst die Formulierung "zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen" eingefügt. Ähnliches steht oben im Landesbeamtengesetz, meint aber etwas völlig Anderes – in diesem Fall nämlich, dass die Verfassung von Rheinland-Pfalz auch zu berücksichtigen sei; die übrigens eine echte, aus einer Volksabstimmung 1947 hervorgegangene Verfassung ist. Das geforderte Bekenntnis entsteht hier aus einer genaueren Bestimmung, die eben nur für Beamte in Rheinland-Pfalz Gültigkeit besitzt.)

Nun gibt es allerdings, neben der Tatsache, dass der Bürgermeister der Dienstherr der Kommunalverwaltung ist, auch noch die Tatsache, dass es sich hier um ein Wahlamt handelt. Eine Kandidatur bei einer solchen Wahl ist eine Ausübung des passiven Wahlrechts. Ein Entzug des passiven Wahlrechts ist jedoch nur unter sehr klar definierten Bedingungen möglich. So lautet beispielsweise § 13 Bundeswahlgesetz wie folgt:

"Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist, wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt."

Ausgelöst werden kann ein Verlust der Wählbarkeit beispielsweise laut § 45 StGB, durch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen eines Verbrechens. Durch eine Entmündigung oder durch bestimmte Wahlstraftaten. Nicht durch ein Schreiben eines Sachbearbeiters beim Landesamt für Verfassungsschutz oder durch ein Abstimmungsergebnis in einem Wahlausschuss.

In beiden Kommunen, in Lage wie in Ludwigshafen, wird so getan, als sei die Wahl des Bürgermeisters durch die Bürger der Kommune, also die Ausübung des aktiven Wahlrechts durch die Bürger und die Ausübung des passiven Wahlrechts durch die Kandidaten, ein Akt von minderer Bedeutung im Vergleich zum Beamtenrecht. Angesichts dessen, dass die Kommunen die politische Ebene sind, in der Demokratie noch am direktesten erlebt werden kann, eine absurde Haltung; denn wenn der Akt der Wahl als Ausübung zentraler Grundrechte nicht mehr respektiert wird, könnte man Bürgermeister genauso gut einsetzen, anstatt sie zu wählen.

Während also die Helden der Brandmauer in Lage wie in Ludwigshafen sicher der Überzeugung sind, sie hätten den Stein der Weisen gefunden, um zumindest auf kommunaler Ebene diese lästigen AfD-Kandidaturen zu verhindern, zeigen sie in Wirklichkeit ihre Missachtung der Wahl selbst. Die Hürden für einen Entzug der Wählbarkeit sind nicht deshalb so hoch, weil man damals einfach zu dumm war. Sie sind es, weil es sich um einen gravierenden Eingriff in ein absolut essentielles Grundrecht handelt, das eben diesen Charakter bereits verliert, sobald ein solcher Eingriff zur Beliebigkeit wird. Zu einem Akt der Exekutive, statt zu einem Akt der Judikative.

Selbst wenn das Schreiben dieses Sachbearbeiters beim Verfasssungsschutz mit dem auffällig kurzen Familiennamen mehr wäre als eine Sammlung von Informationsmüll, sogar wenn es einen gerichtsfesten Nachweis führen würde, nie und nimmer entspricht es einer gerichtlichen Entscheidung, ganz zu schweigen davon, dass es den Voraussetzungen für einen gerichtlichen Entzug des passiven Wahlrechts auch nur nahekäme. Selbst wenn Jutta Steinruck mit ihren Befürchtungen recht hätte, gäbe das keinen Grund, mit einem Verwaltungsakt in ein Grundrecht einzugreifen, das nur durch gerichtlichen Beschluss beschränkt werden darf.

In der ganzen Berichterstattung zu diesem Vorfall wird so getan, als besäße dieses Vorgehen in irgendeiner Weise Legitimität. Selbst das Portal Nius lässt sich auf die Debatte zur Verfassungstreue ein. Die wirkliche Frage ist aber der Umgang der beteiligten Behörden und Politiker mit dem Wahlrecht, und der fehlende Respekt vor einem konstitutiven Grundrecht. Es mag sein, dass Frau Steinruck und die übrigen Mitglieder des Wahlausschusses Befürchtungen hegen, Paul könne nicht nur in die Stichwahl gelangen, sondern diese womöglich gewinnen. In der Stadt Ludwigshafen landete die AfD bei der Bundestagswahl im Februar knapp vor der CDU auf Platz eins.

Aber würden sie ihr eigenes Argument ernst nehmen und sich selbst für die Erhaltung der demokratischen Grundordnung, also auch für die der darin garantierten Grundrechte, einsetzen, so hätte dieser Beschluss niemals stattfinden dürfen.

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