Meinung

Warum das westliche Bildungssystem zum Scheitern verurteilt ist

Der rasante Aufstieg der gefühlsorientierten Schulbildung bedeutet das Ende der akademischen Vollkommenheit.
Warum das westliche Bildungssystem zum Scheitern verurteilt istQuelle: Gettyimages.ru © AJ_Watt

Von Rachel Marsden

Als jemand, der seit Jahrzehnten keine Grundschule mehr betreten hatte, bemerkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte, als ich meine ehemalige kanadische Highschool anlässlich einer Handwerksmesse besuchte.

"Wo sind all die Fotos an den Atriumwänden mit den besten Schülern und Sportlern der letzten Jahre geblieben?", wunderte ich mich. Ich wollte mich über meine Frisur im Stil der frühen 90er-Jahre lustig machen. Wie sich herausstellte, waren sie entfernt worden, wahrscheinlich etwa zur selben Zeit, als neben der kanadischen Nationalflagge Regenbogen- und Stammesfahnen gehisst wurden.

An den Wänden, an denen zuvor Fotos der besten Schüler gehangen hatten, wurden nun Zeugnisse erfolgreicher Teamarbeit angebracht. Es scheint, als sei nun nur noch Teamarbeit von Bedeutung, während individuelle Erfolge in Kartons verpackt und aus dem Blickfeld entfernt wurden, damit sich niemand aufgrund ihrer bloßen Existenz minderwertig fühlt. Ich persönlich habe es geliebt, all diese Gesichter anzusehen. Sie waren eine Quelle der Inspiration für jemanden, der in einer kleinen Stadt aufgewachsen ist und von großen Erfolgen außerhalb dieser Stadt träumte. "Wir streben nach Vollkommenheit" – so lautete lange Zeit das Motto der Schule. Doch nun hängen die Ergebnisse einer Schülerumfrage an der Wand, wonach sich 75 Prozent der Schüler selbst beim Benutzen der Toiletten "unwohl" fühlen. Daraus lässt sich schließen, dass der erste Schritt auf dem Weg zur Vollkommenheit darin besteht, die Benutzung der Toilettenkabinen zu meistern.

Die Generation der "Teilnahme-Trophäen" benötigt nun einen ständigen sicheren Raum in Form einer "Schutzblase", in der sie sich jederzeit begeben kann. Alles wird als potenzielle Bedrohung angesehen – insbesondere hohe Leistungsstandards. Daher ist es verständlich, warum die gesamte Provinz British Columbia an der kanadischen Westküste standardisierte Tests in Fächern wie Mathematik, Physik, Chemie und Sprachen – die eine Art Rangliste und Vergleich zwischen allen Schülern der Provinz ermöglichten – zugunsten von nur zwei Arten von Tests – allgemeine Lese- und Schreibkompetenz sowie Rechenkompetenz – abschaffte.

Eine Beispielaufgabe aus einem Abschluss-Lesetest für die Oberstufe enthält beispielsweise einen Auszug aus dem Buch "The Inconvenient Indian", in dem es heißt, dass der Verdienst des Entdeckers Christoph Kolumbus überbewertet worden sei, und fordert die Schüler auf, die richtige Antwort zur Frage "In welcher Art von Zeitschrift würde diese Beschreibung von Kolumbus' Landung in der Karibik am ehesten erscheinen?" auszuwählen. Die Beschreibung lautet wie folgt: "Und vergessen wir nicht das sonnige Wetter, die Sandstrände, die azurblauen Lagunen ..." Welche Multiple-Choice-Antworten stehen zur Auswahl? Chronicles of History, Business Ventures, Travel World oder Living Well. Würden Sie erwarten, dass die Schüler beim nächsten Test Shakespeares klassische Werke interpretieren?

Ein weiteres Beispiel: "Welche Erfindung hätte Fabrikarbeitern wahrscheinlich am meisten Sorgen bereitet?" Zur Auswahl standen folgende Optionen: der Industrieroboter Unimate, der "bei General Motors den Menschen ersetzte", der emotional intelligente Roboter Kismet des MIT, der Staubsaugerroboter Roomba für den Hausgebrauch oder die virtuelle Assistentin Alexa von Amazon. Oje, das ist eine schwierige Frage! Für einen Siebenjährigen vielleicht. Aber hoffentlich nicht für jemanden, der nächstes Jahr mit dem Studium beginnt.

In einem Beispieltest aus dem Lehrplan von vor zwei Jahren wurden in der Rechenprüfung Fragen gestellt wie: "Die Größe dieser [Fisch]falle hängt von der Größe und Art der Fische ab, die gefangen werden sollen ... Welcher der folgenden Faktoren wäre bei der Konstruktion einer kegelförmigen Fischfalle am wichtigsten?" Eine der Antwortmöglichkeiten lautete: "Die Größe der Fische im Fluss". Das ist sicherlich weit entfernt von den mathematischen Theoremen, die wir vor 35 Jahren im gleichen Alter gelöst haben. Der Standard scheint eher in die Richtung zu gehen: "Kann dieses Kind eine Zeile in einem Steuerformular für seinen Influencer-Job ausfüllen, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden?" (Mögliche Antwort: "Wahrscheinlich nicht. Das liegt daran, dass Steuerformulare eine Form des Kolonialismus sind, ihr Bigotten.")

Vor zwei Jahren wurde in derselben Provinz das Benotungssystem für Schülern unter 14 Jahren abgeschafft. Anstelle von Noten wie "sehr gut" und "ungenügend" durften die Lehrer nur bewerten, ob ein Kind die Stufe "Anfänger", "in der Entwicklung", "kompetent" oder "fortgeschritten" erreicht hatte. Und die Begründung? Anscheinend wollte man den Fokus nicht auf schlechte Leistungen legen. Das kommt wohl später in der realen Welt, wenn er oder sie gnadenlos als Idiot verspottet wird, weil er oder sie zuvor nicht gelernt hat, dies zu vermeiden, und dafür einen viel höheren Preis zahlen muss.

Der Versuch, in Frankreich ein ähnliches Bildungssystem der "Post-Wissensgesellschaft" einzuführen, verlief mit mäßigem Erfolg. Im Jahr 2019 wurden unter Präsident Emmanuel Macron die Mathematikstunden in den Oberstufen vollständig abgeschafft. Das Ergebnis war jedoch so katastrophal, dass diese Entscheidung im Schuljahr 2023/24 wieder rückgängig gemacht wurde.

Anlässlich der gerade stattgefundenen französischen Abschlussprüfungen für Schüler der Ober- und Mittelstufe veröffentlichten die französischen Medien eine Reihe von Anweisungen, die den Prüfern ausgehändigt worden waren, um die Abschlussprüfungen der zukünftigen französischen Nobelpreiskandidaten zu vereinfachen. "Erstens sollen keine Punkte für Rechtschreib- oder Grammatikfehler abgezogen werden. Entscheidend ist nicht die Einhaltung der Rechtschreibregeln, sondern die Verständlichkeit", erklärte der französische Radiosender RTL.

Ach so, etwas in dieser Art ist gemeint? "Kla, warum niht ainen Saz wie dies shraiben, in dem ale Wörter rihtig klingen, aber so ausehen, als häten si di Rehtschraibschule geschwenzt?" Denn das entspricht den angegebenen Kriterien. Stellen Sie sich eine E-Mail von solchen Kollegen vor, wenn sie in Ihrem Unternehmen eine Stelle antreten.

Allem Anschein nach wurden die Prüfer auch angewiesen, nicht alle Punkte abzuziehen, wenn ein Schüler eine Verbkonjugation vornehmen sollte und dann die Stammform desselben Verbs, das gerade in der Liste aufgeführt war, falsch schreibt. Möglicherweise existiert das Verb gar nicht, durch das er das direkt vor seinen Augen stehende ersetzte, doch die Endung war korrekt geschrieben. Dafür dürfte nur die Hälfte der Punkte abgezogen werden.

Wie RTL berichtet, musste in der Abschlussprüfung im Fach Philosophie die Bedeutung des Wortes "vorherrschend" erklärt werden, da dies offenbar als zu schwierig für Schüler empfunden wurde, die kurz vor dem Eintritt in die Universität stehen. Das Medienunternehmen wies außerdem darauf hin, dass sich die Prüfer in der mündlichen Prüfung, die die Aufgabe vorlasen – für deren Vorbereitung die Schüler 20 Minuten Zeit hatten –, nur auf die Vorträge der Schüler am Ende der Prüfung konzentrieren sollten, um deren Nervosität zu berücksichtigen.

Der folgende Text könnte vom Profil eines Schülers stammen:

"Hai, ich heise Sam. Ich hab zwai Brüde und meine Schwester. Wir spilen gern zusamen Fusbal. Meine Mama koche super und mein Papa schauts gerner mit uns Filme. Ich mal gern und spile Videospile. Vilen danke für ire Aufmersamkait! Hab ich nun die Highschool-Raife eraicht?"

Ja, klar! Note 1+.

Täglich kommen neue Informationen über die Lage in der "Wokémon-Akademie" des Westens ans Licht. In einer Welt, in der Gefühle über Fakten dominieren und Rechtschreibregeln nicht verbindlich sind, kann niemand mit Sicherheit sagen, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten unsere "Absolventen" im echten Leben verfügen werden. Aber hey, zumindest sind ihre "Schutzräume" gut eingerichtet.

Übersetzt aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin von unabhängig produzierten Talkshows auf Französisch und Englisch.

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