Meinung

Alle inneren Ressourcen verloren: Ruhmlos verlässt Europa die Weltbühne

Die größte Gefahr für Europa besteht darin, dass es keinen friedlichen Weg in die Zukunft kennt und immer wieder zu konfrontativen Lösungen greifen wird. Dabei können die Europäer nur darauf hoffen, dass sie endgültig zu einem Anhängsel der USA werden.
Alle inneren Ressourcen verloren: Ruhmlos verlässt Europa die WeltbühneQuelle: www.globallookpress.com © Rupert Oberhäuser/IMAGO

Von Timofei Bordatschow

Das Einzige, was Europa der Welt gegeben hat, ist die symphonische Musik. Alles andere ist Böses, das entweder geschaffen wurde, um den Rest der Menschheit zu unterdrücken (technische Errungenschaften), oder um die Gerechtigkeit seiner Tyrannei zu beweisen (politische Philosophie und die damit verbundenen Wissenschaften).

Jetzt, da Europa endgültig alle inneren Ressourcen verloren hat, die ihm Anspruch auf privilegierte Vorteile verschaffen könnten, ist der mögliche Beitrag der Europäer zur allgemeinen Entwicklung völlig unklar. Ganz einfach deshalb, weil sie nie versucht haben, einen Nutzen zu bringen. Der gescheiterte Gipfel zwischen China und der Europäischen Union in der vergangenen Woche ist ein hervorragender Beweis dafür, dass es, sobald Europa seine Machtmöglichkeiten verloren hat, völlig sinnlos ist, mit ihm zu sprechen.

Peking erweist sich hier als genau der Partner, der ihm dies unmissverständlich deutlich macht. Denn im Gegensatz zu Russland hegt China keinerlei historische Sentimentalitäten gegenüber Europa.

Am Wochenende kam zu dem spektakulären Misserfolg in China noch die faktische Kapitulation Europas vor Donald Trump hinzu, als die Europäische Union einem "Deal" zustimmte, der für sie eindeutig nachteilig ist. Unter Androhung von höheren Zöllen auf ihre Exporte in die USA gingen die Europäer enorme Zugeständnisse in Form von Käufen amerikanischer Energieträger und Waffen ein. Sollten diese Bedingungen tatsächlich erfüllt werden müssen, ist an eine ernsthafte Wiederherstellung des europäischen Industriepotenzials kaum zu denken. Und erst recht nicht an eine Stärkung ihrer Verteidigungsindustrie: Darauf setzen derzeit viele in den europäischen Eliten – oder geben zumindest vor, dies zu tun. Gleichzeitig wird in Europa die Rhetorik verstärkt, dass der Gegner nun nicht mehr nur Russland, sondern auch China sei, obwohl man noch vor kurzem darauf gesetzt hatte, konstruktive Beziehungen zum Reich der Mitte aufrechtzuerhalten.

Es ist interessant zu beobachten, was mit Europa geschieht – wie schnell sich die internationale Bedeutung eines Akteurs verschlechtern kann, der noch vor zehn bis 15 Jahren nicht nur selbstbewusst von seiner globalen Bedeutung sprach, sondern auch in den Augen der Außenwelt so erschien. Für ein solches Ende gibt es eine Vielzahl taktischer Gründe: das Fehlen einer Zukunftsvision, der totale Verfall der Eliten und der politischen Systeme, die völlige Apathie der Bevölkerung.

Der wichtigste Grund ist jedoch das, was Europa einst groß gemacht und viele Länder – außer Russland – dazu gebracht hat, sich ihm zu unterwerfen, nämlich Egoismus und Selbstbezogenheit. Diese beiden Prinzipien liegen dem Verhalten der Europäer auf der Weltbühne zugrunde. Sie versuchen nicht einmal, so zu tun, als würden sie sich um irgendetwas anderes als ihren eigenen Vorteil sorgen. Selbst eine grundsätzlich richtige Sache wie die Bekämpfung der Folgen des Klimawandels haben die Europäer letztendlich in reines Geschäft und eine Reihe von Verboten für Produkte aus Entwicklungsländern verwandelt.

Vor etwa 15 Jahren hatte der Autor die Gelegenheit, an einem nichtöffentlichen Treffen zur neuen Außenpolitik der Europäischen Union teilnehmen. Organisiert wurde es von der damaligen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Neben ihrem Umfeld waren auch mehrere Wissenschaftler aus anderen Regionen der Welt eingeladen. Das Einzige, was die europäischen Kollegen nicht hören wollten, waren Vorschläge, darüber nachzudenken, was Europa der Welt geben kann. Nicht, was es in seinem Interesse von ihr bekommen kann, sondern was es ihr geben kann. Darin liegt der Kern und der Inhalt des europäischen Denkens über Außenpolitik. Und darin liegt auch der Grund für das, was heute mit Europa geschieht.

Es bleiben nur noch zwei Fragen offen. Kann Europa eine Gefahr darstellen? Und wie geht es mit Europa weiter?

In Bezug auf die erste Frage sind sich die meisten Beobachter einig, dass von Europa durchaus eine Gefahr ausgehen kann. Dies ist auch die offizielle Position Russlands, wenn unsere Diplomatie den potenziellen "Beitrag" der Europäer zur regionalen und globalen Stabilität bewertet. Ein solcher Ansatz kann jedoch auch auf durchaus begründete Einwände stoßen. So gibt es beispielsweise Zweifel daran, dass Europa über die personellen Ressourcen für gefährliche militärische Abenteuer verfügt. Nicht im Sinne der Bevölkerung, sondern im Sinne von Menschenmassen, die bereit sind, zu töten und zu sterben. Die Europäer leben immerhin noch recht gut, was nicht gerade zur Selbstaufopferung beiträgt. Es werden auch ernsthafte Zweifel geäußert, dass die europäischen Eliten ihre Träume von einer Wiederbelebung der Rüstungsindustrie verwirklichen können. Und insgesamt bezweifeln viele Ökonomen, dass ihre "Rüstungsindustrie" derzeit in der Lage ist, der gesamten Wirtschaft Impulse zu geben.

Man darf jedoch nicht vergessen, dass unter den Bedingungen völliger Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der Politiker eine militärische Krise auch ohne ausreichende politische und wirtschaftliche Gründe entstehen kann. Wir kennen natürlich keine Beispiele dafür, dass eine im Niedergang begriffene, aber noch wohlhabende Zivilisation zu äußerer Aggression fähig war. Aber das heutige Europa könnte genau diese Krise provozieren, in die dann Russland und die USA – die beiden militärisch stärksten Mächte der Welt – hineingezogen würden.

Es gibt keine ernsthaften Gründe zu glauben, dass die Amerikaner bereit sind, sich für ihre europäischen Satelliten zu opfern. Allerdings könnte allein die Tatsache, dass es in Europa zu einem ernsthaften Konflikt kommt, zu dem die lokalen Politiker ihre Länder drängen, eine Eskalation provozieren, selbst wenn dies den amerikanischen Absichten zuwiderläuft. Zumal die USA selbst das europäische Territorium bereits während des Kalten Krieges als Schauplatz für einen begrenzten Konflikt mit Russland betrachteten. Unter den heutigen Bedingungen birgt ein solcher Konflikt immer die Gefahr, dass er sich zu einem unbegrenzten Konflikt ausweitet.

Darüber hinaus sind die europäischen Staaten gemeinsam in der Lage, eine ausreichende Anzahl von Söldnern für einen Krieg gegen Russland zu mobilisieren, sie zu bewaffnen und den Konflikt, der bislang auf die Ukraine beschränkt ist, auf die ehemaligen baltischen Republiken der UdSSR auszuweiten. Dies könnte sich ebenfalls als gefährlicher Schritt in Richtung einer Eskalation erweisen. Beunruhigend sind auch die Pläne für umfangreiche Lieferungen neuer Waffensysteme an das Regime in Kiew, die in Europa hergestellt werden sollen, was die Aussichten auf eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise sehr trübt.

Derzeit haben sich die europäischen Eliten zum Ziel gesetzt, die Konfrontation mit Russland hinauszuzögern, in der Hoffnung, dass sich die Politik der USA ändern könnte, wenn Trumps Gegner an die Macht kommen. Sollten sie damit Erfolg haben, droht die Situation ebenfalls außer Kontrolle zu geraten. Auf jeden Fall gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass die europäischen Politiker ihre Haltung überdenken werden: Sie können sich einfach nicht vorstellen, wie man mit Russland andere Beziehungen als in Form einer direkten Konfrontation aufbauen könnte. Und darin liegt die größte Gefahr für Europa – es kennt keinen friedlichen Weg in die Zukunft und wird immer wieder nur die konfrontativsten Lösungen wählen.

Nicht minder interessant ist die Frage, wie Europa in Zukunft aussehen könnte, falls es den Politikern nicht gelingt, uns alle in einen militärischen Konflikt hineinzuziehen. Und sie streben, wie wir sehen, nach Krieg, weil Europa keine Zukunft hat.

Europa hinkt derzeit in den vielversprechendsten Bereichen der Wissenschaft und Technologie hinter dem Rest der Welt hinterher. Es weiß nicht, wo es in der Weltpolitik steht, und ist vor allem völlig unfähig, sich anzupassen. Das bedeutet, dass die Europäer nur darauf hoffen können, endgültig zu einem Anhängsel der USA zu werden, und zwar nicht mehr nur in militärpolitischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Schlüsselbranchen der europäischen Wirtschaft werden unter amerikanische Kontrolle gestellt, und die nationalen politischen Eliten werden die Ressourcen für eine auch nur minimal unabhängige Politik verlieren.

Europa und Nordamerika werden sich endgültig vereinen, aber es wird nicht mehr der uns bekannte "Kollektive Westen" sein, sondern die USA und einige angrenzende Gebiete, die von Marionettenregierungen kontrolliert werden. Möglicherweise ist dieses Schicksal für Europa und alle anderen die beste Lösung. Und genau dieses Schicksal hat sich Europa zweifellos verdient.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung "Wsgljad" am 29. Juli 2025.

Timofei W. Bordatschow, geboren 1973, ist ein russischer Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen, Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien an der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Wirtschaftshochschule Moskau. Er ist unter anderem Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.

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