
Das Alte von Neuem: EU-Führer kommen nach Peking

Von Dmitri Kossyrew
Am heutigen Donnerstag findet in Peking der China-EU-Gipfel statt. An und für sich wird er äußerst langweilig verlaufen, doch sein intellektueller und medialer Hintergrund ist neu und interessant. Kurz: Die Menschen in Asien (und nicht nur dort) sind müde, dem Westen zu erklären, wie man aufhören sollte, sich selbst zu schaden. Und dass diese Müdigkeit zu spüren ist, ist schon ein Ereignis.
Zum Gipfel selbst wird die uns bekannte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit dem Leiter des Europarats, António Costa, kommen. Dieses Paar wird sich mit dem Oberhaupt der Volksrepublik China, Xi Jinping, und dem Ministerpräsidenten Li Qiang austauschen. Es gab schon 24 solcher Gipfel – eine langwierige, aber notwendige Sache.
Wird es einen Skandal geben, weil das 18. Paket der antirussischen EU-Sanktionen auch chinesische Unternehmen betrifft? Sicher. Pekings Erklärung in dem Stile "Mischt euch nicht in unsere Beziehungen zu Russland ein, ihr werdet nichts erreichen" hatte es bereits gegeben. Betrachtet man Chinas offizielle Medienbegleitung des Gipfels, ist alles wie die letzten 24 Male – ein breites Lächeln eines Pandas. China erklärt Europa wieder: Ihr braucht uns doch. Der Warenumsatz erreichte den Wert von 786 Milliarden US-Dollar, gegenseitige Investitionen von 260 Milliarden US-Dollar geben Hunderttausenden Europäern Arbeit. Kurz, lasst eure Lektionen darüber, wie wir unsere Außenpolitik zu führen haben, lasst es nicht darauf ankommen. Sucht auch weiterhin gemeinsame Interessen mit uns.

Es gibt auch weniger geduldige, inoffizielle Kommentatoren, nicht in Pekinger, sondern in Hongkonger Medien. Ein Beispiel dafür ist der folgende Kommentar, dessen Hauptidee lautet: Europa wird gegenwärtig bei lebendigem Leibe aufgefressen, eine Festigung der Verbindungen mit China ist sehr im europäischen Interesse, um die eigenen Positionen gegenüber den USA zu stärken. Die USA hätten Europa so weit unterworfen, dass es gar keinen anderen Ausweg habe, als sich stärker auf China zu stützen.
Bemerkenswerterweise erklingt ein ähnlicher Gedanke auch in Indien, und zwar ebenfalls anlässlich des 18. antirussischen Sanktionspakets, das auch Indien getroffen hat. Und so erinnert ein Kommentator des Portals Firstpost an Delhis offizielle Position: "Es ist klar, dass unsere Hauptpriorität ist, den Bedarf unseres Volkes an Energieträgern zu sichern."
Und weiter fügt der Autor seine eigene Ansicht hinzu:
"Unter Berücksichtigung der Rabatte auf russisches Öl, die Indien vor globalen Energiekrisen schützen, sollte die Regierung die Inflation bekämpfen, das Haushaltsdefizit unter Kontrolle behalten und Treibstofflieferungen an Indiens große Bevölkerung sichern. Die eigene Energiesicherheit zu opfern, um dem Westen zu helfen, seine außenpolitischen Ziele zu erreichen, wäre verantwortungslos und moralisch anfechtbar. Ihr denkt doch wohl nicht, dass wir das machen werden."
Sowohl Inder als auch Chinesen haben dem Westen also sehr lange Tipps gegeben, wie Länder und Regierungen in einer normalen Welt funktionieren, indem sie für den eigenen und nicht den fremden Vorteil sorgen. Außerdem erinnerten sie daran, welche Politik für den Westen offensichtlich vorteilhaft wäre. Und erst jetzt beginnen sie, die Geduld zu verlieren, weil sie merken, dass der Schüler etwas beschränkt ist.
Wissen Sie, woran das erinnert? Die Weisen aus alten Zivilisationen schütteln freundlich den Kopf und lehren jene, die die Weltbühne ein paar Jahrtausende später betraten:
"Jungs, stellt euch vor, eine Schlange hat eine Schildkröte gebeten, sie über einen Fluss zu bringen und versprach, während der Überfahrt nicht zuzubeißen. Das ist ein gegenseitiger Vorteil, so muss man in einer Völkerfamilie leben. Doch die Schlange konnte sich nicht beherrschen. Die Schildkröte sagt: 'Was tust du da, wir werden doch beide untergehen.' Und die Schlange antwortet: 'So ein Miststück bin ich eben.'"
Doch hier funktioniert nicht einmal dieses Märchen als Analogie, denn der Schildkröte geht es gut. Chinas Wirtschaft weist Wachstumswerte auf, die weit über dem geplanten Minimum von 4,5 Prozent liegen. Und manche dachten, wenn die USA Peking den Wirtschaftskrieg (Sanktionen) erklären, würde alles schlecht werden. Doch die Frage ist, für wen es schlecht sein wird. Einige Experten sprechen sogar von einer Tendenz: Wen der Westen mit Sanktionen belegt, der beginnt sich rasant zu entwickeln.
In Indien ist die Lage etwas komplizierter. Gegen Delhi wurde kein Wirtschaftskrieg begonnen (es gibt zwar Druck, aber nicht zu stark). Und Indien überholte beim Wachstumstempo im vergangenen Jahr China. Welchen Beitrag dazu russische Öllieferungen leisteten, ist eine andere Frage, ganz sicher störten sie aber nicht. Doch Indien hat ein Problem, das China nicht hat: Ausländische Investitionen haben stark abgenommen.
Gibt es einen Ausweg? Ja. Es findet ein Auftauen der Beziehungen zwischen Delhi und Peking statt. Das ist eine lange Geschichte: Indiens gebildete Klasse scheint von der Idee besessen zu sein, dass nicht der Westen, sondern gerade China der Konkurrent ist, der das Land daran hindert, weltweit die Führungsposition einzunehmen. Doch trotz dieser Besonderheit des nationalen Stolzes haben inzwischen regierungsnahe indische Experten einen Bericht verfasst, der nahelegt, dass man mit der Einschränkung des chinesischen Kapitals im Land übertrieben habe und man einige Schritte zurück machen sollte.
Ein weiterer Analytiker vom Portal Firstpost sagt:
"Überhaupt sollte man dem Format Russland – Indien – China neues Leben einhauchen. Vom Westen würde das Land Rüstungstechnologien, Investitionen und Unterstützung auf globalen Plattformen erhalten, von Russland und China Zusammenarbeit im Energiebereich, regionale Stabilität und Unterstützung hinsichtlich der multipolaren Weltordnung. Das heißt, Indien sollte mit allen Großmächten zusammenarbeiten, aber zu eigenen Bedingungen."
Es gehe nicht darum, eine Seite zu wählen, sondern darum, dass jede Wahl Indiens langfristigen Interessen diene.
Eben dieser Fall ist eine Lektion für den Westen, denn selbst trotz vorheriger Streitigkeiten kann man zu einer Übereinkunft kommen, wenn die Interessen zusammenfallen. Das ist klug, und nicht das, was ihr zu tun versucht.
Doch zurück zu unseren Reptilien. Im heutigen realen Leben ist alles sogar schlimmer als im alten asiatischen Gleichnis. Der Schildkröte (unabhängig davon, ob sie nun Russland, China oder Indien verkörpert) geht es gut. Doch die Schlange ist, gelinde gesagt, nicht in bestem Zustand, sie hat sich selbst gebissen. Die Weisen sehen das und sind betrübt – und beginnen erst jetzt zu glauben, dass es auch solche Dummheit geben kann.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 24. Juli bei RIA Nowosti.
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