
Vor zwei Büchern darf nicht gewarnt werden – aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

Von Dagmar Henn
Na, wenigstens etwas – das Oberverwaltungsgericht Münster hat entschieden, dass die Münsteraner Stadtbücherei Bücher nicht mehr mit Warnhinweisen versehen darf. Die Stadtbücherei, die sich selbst mit "wir sind eine der besten Bibliotheken in Deutschland" anpreist, hatte unter anderem ein Buch des ehemaligen Schweizer Nachrichtendienstlers Jacques Baud über die Hintergründe des Ukraine-Kriegs mit einem Warnhinweis versehen:
"Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt."

Ein weiteres Buch, das auf diese Weise verziert wurde, war "2024 – Das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, vergessen" von Gerhard Wisnewski. Eine Buchreihe, die seit 18 Jahren im Kopp-Verlag erscheint. Wisnewski hatte auf die Entfernung dieses Hinweises geklagt, war in der ersten Instanz unterlegen, bekam aber nun Recht vor dem Oberverwaltungsgericht.
Man könnte versucht sein, zu sagen: Egal, wenn in einer Kleinstadt wie Münster die Bibliothekare spinnen, es ist ja immerhin gut ausgegangen. Schließlich hat das OVG eindeutig und endgültig klargestellt, dass diese Art der "Einordnung" nicht geht. So die Zusammenfassung der Begründung durch die Pressestelle des OVG Münster:
"Der Einordnungshinweis verletzt den Autor in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit sowie in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Im Buch enthaltene Meinungen werden durch den Hinweis negativ konnotiert und ein potentieller Leser könnte von der Lektüre abgehalten werden. Diese Grundrechtseingriffe sind nicht gerechtfertigt, weil sie nicht von der Aufgabenzuweisung im Kulturgesetzbuch NRW gedeckt sind. Zwar mag der Stadtbücherei das Absehen von der Anschaffung des Buches freigestanden haben. Aus den den öffentlichen Bibliotheken vom Gesetzgeber zugewiesenen Kultur- und Bildungsaufgaben ergibt sich jedoch keine Befugnis zur negativen Bewertung von Medien im Bestand der Bibliothek in Form eines Einordnungshinweises. Vielmehr liegt der Fokus der gesetzlichen Regelungen darauf, den Nutzerinnen und Nutzern der Bibliothek als mündigen Staatsbürgern eine selbstbestimmte und ungehinderte Information zu ermöglichen und sich – ohne insoweit gelenkt zu werden – dadurch eine eigene Meinung zu bilden."
Das klingt doch überaus erfreulich, oder? "Verletzt im Grundrecht auf Meinungsfreiheit" – ist das nicht das, was man sich erhofft, nachdem die Meldungen über die besagte Markierung Erinnerungen an klassische Giftschränke und verbotene Literatur weckten?
Aber wie in allen Fällen in dieser Richtung in jüngerer Zeit ist da ein "Ja, aber". Denn da handelt es sich eher nicht um einen geistigen Aussetzer einer mittelgroßen Stadtbücherei. Der erste Hinweis in diese Richtung findet sich in den Angaben zur Leiterin der Stadtbibliothek, Cordula Gladrow. Die ist nämlich nebenbei auch stellvertretende Vorsitzende der Gemeinsamen Managementkommission des Deutschen Bibliotheksverbands und des Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Was nahelegt, dass die Kennzeichnung nicht genehmer Bücher in Münster ein Versuchsballon war, dem bei Gelegenheit andere Einrichtungen folgen könnten. Die Tatsache, dass es nur zwei Bücher waren, die eine derartige Behandlung erfuhren, ist ebenfalls ein Hinweis auf einen Test. Auch ist nicht bekannt, dass Gladrow wegen dieses Vorgehens in einem der beiden Verbände besondere Kritik erfahren hätte.
Der zweite Punkt ist etwas komplizierter. Bei den letzten Bürgermeisterwahlen in Münster gab es eine Stichwahl zwischen dem Bewerber der CDU und jenem der Grünen. Die beiden Parteien stellen die größten Fraktionen im Stadtrat. Und sie bilden auch die Koalition, die das Bundesland Nordrhein-Westfalen regiert.
Damit kommen wir zu den Hinweisen, die das Urteil des OVG Münster liefert. Sie verbergen sich in diesen zwei Sätzen:
"Zwar mag der Stadtbücherei das Absehen von der Anschaffung des Buches freigestanden haben. Aus den den öffentlichen Bibliotheken vom Gesetzgeber zugewiesenen Kultur- und Bildungsaufgaben ergibt sich jedoch keine Befugnis zur negativen Bewertung von Medien im Bestand der Bibliothek in Form eines Einordnungshinweises."
Der erste Teil ist klar. Die Bibliotheken können einfach die Anschaffung von Literatur verweigern, die nicht die gewünschte Linientreue aufweist. Der zweite ist übersetzbar. Er lässt sich nämlich durchaus auch so lesen:
"Wenn ihr solche Vermerke in die Bücher hängen wollt, dann ändert das Gesetz entsprechend."
Und, ist das unvorstellbar? Leider ist es das nicht. Vor allem nicht, weil die Koalition in NRW so aussieht, wie sie aussieht, und ein solches Vorpreschen der Bibliotheksleiterin in Münster ohne politische Rückendeckung kaum vorstellbar ist.
Nun ist ja vielleicht das Buch von Wisnewski eine Ansammlung verschiedenster Informationen unterschiedlichster Qualität, aber es soll Menschen geben, die zu ihrer Unterhaltung auch Theorien über Atlantis oder Außerirdische konsumieren. Das Buch von Baud jedenfalls ist mitnichten "nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar", wie das die Fachstelle Öffentliche Bibliotheken NRW zur Rechtfertigung der "Warnhinweise" im Januar schrieb, sondern eine Zusammenfassung nachprüfbarer Informationen, die von den Leitmedien lediglich ignoriert werden.
Hübsch ist in diesem alten Text auch die Anmerkung, Münster habe diesen Hinweis "nach Beschwerden aus der Leserschaft eingeführt". Man braucht sich in Münster darüber nicht zu wundern; das dürfte die gleiche Klientel sein, die ein persönliches Erfolgserlebnis aus der Meldung von Internetpostings gewinnt. Aber eines ist absolut klar: Die Fachstelle stellte sich mitnichten gegen diese Maßnahme.
Eine andere Frage in diesem Zusammenhang hat bisher niemand gestellt. Nachdem die Abwicklung der Ausleihvorgänge in Bibliotheken längst digital erfolgt – ist sichergestellt, dass die Daten jener Leser, die die gebrandmarkten Bücher ausleihen wollen, nicht weitergegeben werden? Darauf würde ich heutzutage auch keine Wette mehr abschließen wollen. Die entscheidende Frage dürfte in diesem Zusammenhang sein, ob nicht der Landtag NRW das Urteil zum Anlass nimmt, um die gesetzliche Grundlage des Bibliothekswesens um Bücherverbote und/oder Brandmarkungen zu ergänzen.
Der Geschmack, den das Urteil hinterlässt, erinnert ein wenig an das BVG-Urteil zum Magazin Compact: Man spürt geradezu das Bedauern mindestens eines Teils der Richterschaft, hier zumindest im Einzelfall einschreiten zu müssen. Wäre da eine breite Überzeugung, dass derartige Schritte mit der Meinungsfreiheit an sich nicht zu vereinen sind, sähen die Urteile anders aus.
Währenddessen gedeiht der Apparat, der zur allseitigen Durchsetzung der Zensur geschaffen wurde, ungehindert weiter und gebiert stetig neue Verschärfungen, wobei Fakten eine äußerst untergeordnete Rolle spielen. Dabei sind Einrichtungen wie die Stadtbücherei Münster weit unten in der Rangordnung; der Takt wird nicht einmal mehr auf nationaler, er wird auf EU-Ebene vorgegeben. Und wie weit man dort zu gehen bereit ist, kann man mit einem Blick auf die Selbstrechtfertigungsrede von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament Anfang der Woche erkennen. Obwohl die Tatsache, dass sie Verhandlungen um Milliardenverträge per SMS geführt und die Daten der Öffentlichkeit entzogen hat, feststeht, obwohl die Annullierung der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Rumänien von der EU mit betrieben wurde, erklärte sie das alles einfach zur Desinformation, und selbst eine kritische Sicht auf die Corona-Politik insgesamt erklärte sie zu einem "Versuch, die Geschichte umzuschreiben".
Wie gesagt, der Takt wird von Brüssel vorgegeben, obwohl man nie vergessen sollte, dass von der Leyen eine deutsche Politikerin ist, deren Vorstellungen sich nur deshalb materialisieren, weil sie letztlich die Rückendeckung der Bundesregierungen genießt. Die auch gerne immer die Karte ziehen, das, was die Bevölkerung wünscht, leider nicht tun zu können, weil da eben Brüssel und die EU – aktuelles Spitzenbeispiel dafür ist die Migrationspolitik.
Bei letzterer kann man übrigens sehen, wie die Zangenbewegung funktioniert, die die letzten Reste an souveränen Entscheidungsmöglichkeiten blockiert. Die Gerichte sind da klar Teil des Spiels, insbesondere in der Migrationsfrage. Und die derzeit laufenden Besetzungen für das Bundesverfassungsgericht lassen Übles befürchten: Eine der Kandidatinnen, von der SPD aufgestellt (die wohl noch mehr Exemplare vom Typ Faeser ausgebrütet hat), Frauke Brosius-Gersdorf, hatte während Corona ein Gutachten erstellt, das nicht nur erklärte, der Eingriff der Impfung sei gering im Verhältnis zu den Gefahren einer Corona-Erkrankung. Sie hatte auch, zusammen mit ihrem ebenfalls als Juraprofessor tätigen Mann, gefolgert, man solle eine Impfpflicht einführen und nicht nur Bußgelder über Impfunwillige verhängen, sondern ihnen auch noch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall streichen. Aussagen, für die sie sich heute, wäre sie bereit, die inzwischen vorliegenden Fakten zur Kenntnis zu nehmen, entschuldigen müsste.
Stattdessen palaverte sie munter in einer Talkshow, selbst bei einem AfD-Verbot sei "nicht die Anhängerschaft beseitigt". Allein diese Ausdrucksweise müsste sie, vor dem Hintergrund der deutschen Justizgeschichte, lebenslänglich für den Zugang zu einem höheren Richteramt disqualifizieren. Aber die CDU hat sich im Wahlausschuss mit der SPD geeinigt, diese Kandidatin durchzuwinken, und die Pseudolinke im Bundestag hält die Dame auch noch für "progressiv".
Was das mit der Stadtbücherei Münster zu tun hat? Nun, sobald derartige Absichten, wie sie dort durchgespielt wurden, in Gesetzesform gegossen wurden, landet die Frage letztlich beim Verfassungsgericht. Das aber ist nicht nur, wie spätestens bei Corona zu merken war, stramm auf Linie (was es früher immer wieder einmal nicht war). Es wird auch zunehmend, wie das Urteil zum "Klimaschutz" belegte, als Vehikel für nicht mehrheitsfähige Politik genutzt. Die zweite SPD-Kandidatin, Ann-Kathrin Kaufhold (schon seltsam, wie man beiden die Herkunft aus dem reichsten Zehntel der Deutschen schon an den Vornamen ansieht), hat sogar explizit erklärt, ihrer Meinung nach eigneten sich Gerichte, die nicht auf Wiederwahlen achten müssten, "zunächst einmal besser, unpopuläre Maßnahmen anzuordnen".
Was da als Vorteil angepriesen wird, kann man durchaus als Missachtung der Demokratie lesen. Kein Pipifax, wenn so jemand im Verfassungsgericht eigentlich die Freiheitsrechte der Bürger vor staatlichen Eingriffen schützen soll. Und im Kern äußerst erklärungsbedürftig, weil besagte "unpopuläre Maßnahmen" eben nicht vom Souverän beschlossen werden, aber völlig unklar ist, wer dann das Recht haben soll, darüber zu entscheiden.
Was wäre also zu erwarten, wenn Phase zwei der "Einordnung" von Büchern, eben die gesetzlich abgefasste, auf dieses Gericht stößt? Wie groß wäre der Spielraum, den die Klimaaktivistin Kaufhold der Kritik am Klimaglauben gewährt? Und welche weiteren Maßnahmen muss man fürchten, wenn Brüssel und Karlsruhe der gleichen Erzählung folgen und die Desinformations-Legende, die ja explizit fordert, die Bürger davor zu "schützen", höchstrichterliche Förderung erfährt?
Nicht dass man sich keine "Warnhinweise" vorstellen könnte. Eigentlich müssten die bereits vor jeder Nachrichtensendung mit Aussagen aktueller deutscher Regierungsvertreter eingeblendet werden. Dekoriert mit Aufnahmen von zerstörten Städten oder Kriegsgräberfeldern, und dem Satz "Der Konsum dieser Nachrichten kann zu Krieg und vorzeitigem Tod führen" oder Ähnlichem. Aber tatsächlich wird das Gegenteil passieren. Und das Urteil in Münster könnte sich, ebenso wie das Compact-Urteil, nur als kleine Verschnaufpause erweisen, ehe die Garrotte um den Hals der Meinungsfreiheit in Deutschland, mit den vereinten Kräften von Brüssel und dem Verfassungsgericht, weiter zugezogen wird.
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