Meinung

Milliarden für ein "Hochleistungsnetz"? DB erleidet Realitätsschock und verschiebt ihren Plan

In fünf Jahren wollte die Deutsche Bahn (DB) ein "Hochleistungsnetz" errichten. Jeder Fahrgast konnte über das Versprechen von vor einem Jahr wohl nur müde lächeln, denn ihr Zustand ist schlicht katastrophal. Und wie erwartet, verschiebt nun auch der Konzern sein utopisches Ziel – vorerst auf 2035.
Milliarden für ein "Hochleistungsnetz"? DB erleidet Realitätsschock und verschiebt ihren PlanQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Arnulf Hettrich

Von Susan Bonath

Ausfälle ohne Ersatzverkehr, Verspätungen, kaputte Toiletten, zu wenige Waggons für zu viele Menschen: Das ist längst Alltag bei der Deutschen Bahn, dies für horrende Preise. Zu Beginn der Sommerferien in manchen Bundesländern sind sogar wichtige Verbindungen komplett gesperrt. Reparaturen dauern ewig, Stellwerke können nicht be- und kranke Lokführer nicht ersetzt werden. Mit der Bahn stets pünktlich zur Arbeit zu gelangen, ist in Deutschland nicht mehr möglich. Froh kann sein, wer überhaupt sein Ziel erreicht.

Der Deutschen Bahn – ein halbprivates Unternehmen, das mit Steuermillionen zuerst mal seine Vorstände beglückt – ist das bekannt. Mit einem "Baustellenmarathon" wollte sie alle Probleme bis 2030 beheben, ja, sogar die Bahn (auch mit Mitteln aus dem 500 Milliarden Euro schweren Infrastrukturpaket) zu einem "Hochleistungsnetz" ausbauen, so das protzige Versprechen letztes Jahr. Doch – wer hätte das gedacht – daraus wird wieder nichts, wie beispielsweise die Tagesschau berichtete

Hochleistungsnetz?

Wer auf die Bahn angewiesen ist und das Chaos täglich erleiden muss, dürfte allein bei dem Versprechen, ein "Hochleistungsnetz" in fünf Jahren zu errichten, ungläubig den Kopf geschüttelt haben. Lichtjahre ist das Unternehmen davon weg – und entfernt sich immer weiter vor diesem hehren Vorsatz. Derzeit wird es nur schlimmer statt besser. Man könnte meinen, Nachrichten wie diese entstammen einem Paralleluniversum.

Konkret wollte die Deutsche Bahn, auf deren Schienennetz auch andere Unternehmen dieser Branche angewiesen sind, bis Anfang der 2030er Jahre 41 viel befahrene Strecken – und das sind längst nicht alle, die dessen bedürften – komplett sanieren. Das hat sie nun, erwartbar, um fünf Jahre auf 2035 verschoben. Doch auch dieses Ziel dürfte angesichts des Zustandes kaum erreichbar sein. Man erinnere sich an die fast 15-jährige Ausbauzeit, inklusive aller Pannen, des Berliner Flughafens BER.

Baustellenchaos

Nun, ein Jahr nach der großspurigen Verkündung, habe die Bahn gerade eine einzige Baustelle auf der Strecke zwischen Mannheim und Frankfurt am Main beenden können, gut zwei Prozent des Plans – und dies ohne das anvisierte Ergebnis vollständig erreicht zu haben. Das mahnte der Berliner Bahnexperte und Technikprofessor Christian Böttcher an. Gegenüber dem Meinungsschlachtschiff Tagesschau kritisierte er:

"Das Hauptziel Pünktlichkeit hat man verfehlt, aber dafür ist es dreimal so teuer geworden."

Es hake etwa weiterhin am digitalen Fortschritt. Dazu gehört das Zugbeeinflussungssystem ETCS (European Train Control System), womit der europäische Zugverkehr durch standardisierte Schnittstellen zwischen Infrastruktur und Fahrzeugen vereinheitlicht werden sollte. Böttcher nennt vielfältige Gründe: Die Inflation und teure Technik etwa, und fehlende Fachleute dafür, die wegen jahrelangen Sparkurses der Bundesregierung niemand ausgebildet hat. ETCS bleibt also in weiter Ferne.

Ausgefallen oder umgeleitet

Die Probleme betreffen den gesamten Bahnverkehr in Deutschland. Allein die Schlagzeilen der letzten Wochen werfen einen Blick auf die Spitze des Eisbergs. Ein paar Beispiele: Die Neue Ruhr-Zeitung (NRZ) berichtete jüngst über eine wochenlange Vollsperrung der Regionalstrecke Arnheim-Oberhausen wegen eines "Baumarathons". Auch im Norden müssen sich "Pendler aus Hamburg, Lübeck oder Neumünster" auf "Ausfälle, Verspätungen und Umleitungen" im Juli einstellen, wie der NDR bekanntgab

In Niedersachsen verschiebt die Bahn Sanierungspläne in eine unbekannte Zukunft, was bedeutet, dass Nutzer weitere Jahre ein Chaos aus Ausfällen und Umleitungen in Kauf nehmen müssen. Letzten Monat verkündete die Bahn einen zweiwöchigen Totalausfall einer Regionalstrecke zwischen Koblenz und Köln "wegen Bauarbeiten". 

Selbst in die Hauptstadt kommt man aus dem Umland nicht mehr ohne weiteres. Komplett gesperrt ist hier die Regionalstrecke zwischen Magdeburg und Frankfurt Oder über Berlin. Ausweichrouten über Stendal, Dessau oder Wittenberge werden vorgeschlagen, nun zusätzlich durch Teilsperrungen am Magdeburger Hauptbahnhof erschwert.

Dazu eine kleine Anekdote der Autorin über einen Versuch am vorvergangenen Wochenende, mit der Bahn von Magdeburg über Stendal nach Berlin zu fahren: Alle Züge verspäteten sich zwischen 15 und 60 Minuten und waren dabei sämtlich überfüllt. In zwei Bahnen waren mehrere Toiletten defekt, in einem davon sogar alle. Kenner würden anmerken: Alles ganz normal in Deutschland.

Mangelwirtschaft und Tarifdschungel

"Das Chaos ufert aus und ist nicht mehr zumutbar", kritisiert der in Sachsen lebende altgediente Lokführer Bernd Sickert im Gespräch mit der Autorin. Nach den Problemen befragt, weiß er kaum, wo er beginnen soll. "Jahrzehntelang hat die Bahn nicht genügend Leute ausgebildet, das Personal ist überaltert, dementsprechend häufig krank."

Es gebe von allem viel zu wenig, klagt er: Zugführer, Techniker, Stellwerker, Servicekräfte. An funktionierendem Equipment mangele es ebenfalls, was zu geringen Kapazitäten auf viel befahrenen Strecken und folglich zu totaler Überfüllung führe. "Obwohl sie das seit Jahren wussten, haben sie nichts unternommen", so Sickert. Das ist Mangelwirtschaft ohne echten Mangel – selbstgemacht mithin.

Noch ein anderes Problem spricht er dann an: den "undurchsichtigen Tarifdschungel". "Oft kennen die Schaffner selber die Tarife nicht mehr, mit denen Fahrgäste unterwegs sind", konstatierte er. Das führe gar nicht selten zu Auseinandersetzungen bis hin zu unrechtmäßig ausgestellten Fahrpreisnacherhebungen. Die müssten Betroffene dann nachträglich in stressigen Verfahren abwehren.

Ausverkauf der Daseinsfürsorge

Die Ursache für den katastrophalen Zustand des öffentlichen Verkehrs in Deutschland, nicht nur die Bahn betreffend, ist keineswegs bloß Unfähigkeit und Schlamperei. Es ist vor allem eine Folge neoliberalen Wirtschaftens, die man erwarten musste. Um das zu beleuchten, muss man ein Stück zurückgehen.

Kurz nach dem Anschluss der DDR an die BRD gewannen die neoliberalen Doktrinen à la Thatcher auch in Deutschland immer mehr an Einfluss. Denn die Vereinnahmung der Ostblockmärkte durch den Westen konnte die Profitraten des deutschen Kapitals nicht lange vor dem erneuten Fall bewahren, der Ausverkauf des DDR-Vermögens an Privatiers hielt nicht sehr lange vor. Nun ging es daran, vom bürgerlichen Staat verwaltetes "Gemeingut" zu verscherbeln: Krankenhäuser, Pflegeheime, die Post – und die Bahn.

Politiker, die das forcierten, versprachen mehr Wettbewerb. Dieser sollte zu besseren Leistungen bei mehr Effizienz führen. Doch das Gegenteil passierte nicht nur bei der Bahn, und das war abzusehen. Die Krux ist nämlich, dass der Staat weiterhin die Verantwortung für die öffentliche Daseinsfürsorge trägt. Von den Milliarden, die er hineinpumpt, versickert aber jetzt sehr viel in den Taschen der Manager. Reicht das Staatsgeld nicht, hebt der Bahn-Konzern die Preise an und spart zugleich an Ausgaben für Personal und Technik, Equipment und Sanierung. Hauptsache, die Boni stimmen.

"Kaputtgespart" für Privatgewinne

Auch von echtem Wettbewerb kann keine Rede sein. Bekanntlich gehört dem Bahnkonzern weiterhin das ganze Schienennetz in Deutschland. Sind die Stellwerke nicht besetzt, Schienen oder Weichen defekt, können auch andere Unternehmen ihre Züge nicht fahren lassen. Lokführer Sickert nennt das "kaputtgespart", und dies, so muss man anfügen, zugunsten privater Gewinne.

Für alle, die kein Auto oder keinen Führerschein besitzen, werden die Zeiten wohl in den kommenden Jahren eher schlechter als besser werden. Blöd ist es auch für die übrige Wirtschaft, wenn die raren Fachkräfte nicht mehr zur Arbeit kommen, sei es wegen fehlender Zugverbindungen oder verstopfter Straßen. Die Frage, wie sanktionierte Bürgergeldbezieher ohne PKW unter solchen Bedingungen in kilometerweit entfernte Jobs vermittelt werden sollen, stellt sich für die GroKo anscheinend auch nicht. Stattdessen hetzt sie weiter in den Medien gegen angebliche "Faulpelze", die es zu bestrafen gelte – während für alle ersichtlich der soziale und wirtschaftliche Niedergang voranschreitet.

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