Meinung

Deutschland, deine ewige Drecksarbeit

Bei aller Empörung über die "Drecksarbeit"-Aussage des Kanzlers wird außer Acht gelassen, dass es der öffentlich-rechtliche Sender ZDF war, der Merz diese Formulierung servierte. Nun weiß die Welt Bescheid, wo Deutschland 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs steht.
Deutschland, deine ewige Drecksarbeit

Von Wladislaw Sankin

"Worte sind wie Federn, die vom Wind fortgetragen werden: Sie sind nie wieder einzufangen!" Die russische Variante dieser Redewendung kennt in Russland jedes Kind – "Слово не воробей, вылетит не поймаешь". Friedrich Merz äußerte seinen inzwischen berühmt-berüchtigten Spruch äußerst medienwirksam und vor einer schönen kanadischen Bergkulisse. In Windeseile landete das Gesagte, in Dutzende Sprachen übersetzt, auf Millionen Bildschirmen weltweit.

Nun ist er in der Welt und fester Teil der diplomatischen Zeitgeschichte. So etwas vergisst man nie und sollte nicht vergessen werden, zumal es seit Freitag, als Merz für seine Äußerung angezeigt wurde, schon eine juristische Akte dazu gibt. Aber der Spruch war keine Erfindung von Merz, sondern Resultat der Zusammenarbeit zwischen seinem Amt und einem öffentlich-rechtlichen Sender. Wir geben den Dialog hier noch einmal in voller Länge wieder.

Die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, Diane Zimmermann, sagte zu Beginn der dritten Minute des Gesprächs"Ist es nicht verlockend, dass Israelis jetzt die Drecksarbeit machen für ein Regime, das viele in der Welt als ein großer Störfaktor wahrnehmen?

Bundeskanzler Merz: "Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff 'Drecksarbeit'. Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle. Wir sind von diesem Regime auch betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht, mit Anschlägen, mit Mord und Totschlag. Mit Hisbollah, mit Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel, das wäre ohne das Regime in Teheran niemals möglich gewesen. Die Belieferung Russlands mit Drohnen aus Teheran. Ja, Drecksarbeit, die da Israel gemacht hat. Ich kann nur sagen, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt hat, die israelische Staatsführung, das zu machen, wir hätten sonst möglicherweise Monate und Jahre weiter Terror dieses Regimes gesehen und dann möglicherweise mit einer Atomwaffe in der Hand."

Lassen wir die Unterstellungen und unbelegten Vorwürfe des Kanzlers gegen Iran beiseite. Die Kernaussage hier lautet: Iran bedroht uns alle. Die Unterstellung einer von Iran ausgehenden Bedrohung macht die "Drecksarbeit"-Aussage aber argumentativ erst möglich – wie hart sie auch klingen mag.

Im vergangenen Jahr führte die Körber-Stiftung eine Studie durch, die "herausfand", dass 60 Prozent der Deutschen Iran als Bedrohung wahrnehmen. Als noch "bedrohlicher" wurde nur Russland mit 82 Prozent eingestuft. Warum das Umfrage-Institut die Befragten nur zwischen Russland, Iran und China wählen ließ, wurde in der Pressemitteilung der Stiftung nicht ausgeführt. Die Studie wurde zudem in den USA durchgeführt.

Wie und warum Iran deutsche und US-amerikanische Sicherheitsinteressen bedrohen sollte, erklärte die Stiftung nicht. Schließlich sind nicht die USA durch iranische Militärbasen umstellt, sondern umgekehrt. Das seit Jahrzehnten gepflegte Feindbild der verrückten religiösen Fanatiker, die nur Böses im Schilde haben gegen uns Demokraten, muss als Erklärung reichen. Die Iraner haben im Zuge der Islamischen Revolution 1979 die US-Marionette, den Schah Mohammad Reza Pahlavi, und die US-Amerikaner selbst aus ihrem Land hinausgeworfen. Diese fürchterliche "Todsünde" war Grund genug dafür, dass Iran seitdem in der Liste der sogenannten Schurkenstaaten stets Spitzenplätze belegt – solange kein rückwirkender Regime-Wechsel stattfindet.

Damit verkörperten die ZDF-Studioleiterin und der Bundeskanzler in der kanadischen Szenerie des Gesprächs nur zwei gleichdenkende Vertreter der deutschen politischen Oberschicht, die, solange der Propaganda-Begriff "Mullah-Regime" fällt, reflexartige Wutanfälle erleidet.

Dass der Begriff "Drecksarbeit" Nazijargon ist, ist hinreichend belegt. Ich zitiere an dieser Stelle daher nur einen der Vorwürfe gegen Friedrich Merz, der diesen wegen der Verwendung von Nazi-Vokabular verurteilt:

"Anfang 1942 hatte SS-Obersturmführer August Häfner die Massenerschießung von 34.000 jüdischen Menschen innerhalb von 48 Stunden in Babi Jar mit eben derselben zynischen Wortwahl als 'Drecksarbeit' gerechtfertigt."

In diesem Sinne kritisieren zahlreiche weitere Kommentare die Aussage des Bundeskanzlers. 

Aber auch auf der Ebene der Argumente legt Merz das gleiche Denkmuster wie Adolf Hitler an den Tag, als er die Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfallen ließ. Der faschistische Diktator behauptete damals, seit über zwei Jahrzehnten habe "die jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft von Moskau aus versucht, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in Brand zu stecken. Nicht Deutschland hat seine nationalsozialistische Weltanschauung nach Russland getragen, sondern die jüdisch-bolschewistischen Machthaber in Moskau haben unentwegt versucht, unserem und den anderen europäischen Völkern ihre Herrschaft aufzuoktroyieren, und dies nicht nur geistig, sondern vor allem auch machtmäßig."

Die gesamte Rechtfertigungspropaganda operierte mit der angeblichen Bösartigkeit der jüdisch-bolschewistischen Machthaber und den ideologischen Gegensätzen. Das zentrale machtpolitische Ziel der deutschen Führung wurde dagegen natürlich nicht erwähnt. Dieses bestand in der Eroberung von "Lebensraum im Osten", seiner Ausbeutung und Germanisierung, also Besiedelung. Die "überflüssige" Bevölkerung von mindestens 30 Millionen Menschen musste mit unterschiedlichen Mitteln beseitigt werden. An der Front druckte sich dieses Programm in der einfachen Formel aus: "Der Russe muss sterben, damit wir leben."

Auch aus der Sicht eines Merz kann es nur eines von beiden geben: Entweder gibt es nur uns in der Welt, oder "die". Seine Hasstirade mit all ihren infamen Unterstellungen lässt die Zuhörer zu dem Schluss kommen: Eine Welt ohne dieses "Mullah-Regime" ist eine bessere Welt. Na also Israel, bombe ruhig weiter!

Und ja, richtig erkannt! Denn genauso redet auch Selenskij, der die Russen Bestien nennt und sich vor einem Bild des brennenden Kreml ablichten lässt. Er ist ein weiterer "Drecksarbeiter" von Merz, der an anderer Stelle zugibt, dass er mit dem "Ausbluten" Russlands rechnet. Natürlich mit dem alten Argument aus der Nazi-Zeit, russische Leben zählen für ihre Herrscher sowieso nicht. Man könnte durchaus meinen, dass Merz es nicht übel fände, wenn es weniger Russen auf dem Planeten gäbe. Ist doch gut für uns Deutsche, nicht wahr? Denn sonst würde sich die Frage stellen, warum ein direkter Nachfahre eines hochrangigen Hitler-Statthalters überhaupt darüber redet. Wäre es angesichts des deutschen Genozids an Russen 1941–1945 nicht angebrachter, lieber darüber zu schweigen oder sich um einen Frieden mit Russland zu bemühen – mit Respekt und auf Augenhöhe, wie dies nur unter ebenbürtigen Partnern möglich ist? 

Warum ist das so, warum kehrt das Konfrontations-Denken nach Deutschland zurück? Der Zweite Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik nicht wirklich verstanden, meint der Historiker Prof. Wolfgang Wette (Jahrgang 1940). Ihn schmerzt der wieder angefachte Antirussismus der Deutschen zutiefst. Er spricht aus der Perspektive der Westdeutschen, und ich kann an dieser Stelle hinzufügen, dass die früheren DDR- und heutigen ostdeutschen Sichtweisen in der öffentlichen Wahrnehmung heute ohnehin nicht vorkommen.

Der nicht richtig verstandene Weltkrieg gebärt somit weitere Kriege. Dass Russland uns ernsthaft bedrohe, hören wir schon seit Jahrzehnten, spätestens seit der mahnenden Rede Putins in München im Jahr 2007. Inzwischen heißt es von Vertretern der Bundeswehr gar, Russland bedrohe uns "existenziell". Gleichzeitig schreiben sogar Lokalblätter wie die NOZ, die Ostsee sei wegen Russland schon längst zum Kriegsschauplatz geworden. Am Freitag meldete die dts:

"Die neue Militärstrategie der Bundeswehr warnt in drastischen Worten vor der Gefahr durch Russland. In dem Grundsatzpapier, über das der 'Spiegel' berichtet, werden die russischen Streitkräfte als 'existenzielles Risiko' für Deutschland und Europa bezeichnet."

"Existenziell" – endlich ist auch dieses Wort gefallen. Das ist eine deutliche Zuspitzung. Denn "existenziell" heißt ja, die Russen wollen uns oder unseren Staat vernichten; so wie es Iran in Bezug auf Israel vorgeworfen wird. Die logische Schlussfolgerung daraus lautet, dass man mit Russland ebenso verfahren muss wie Israel mit Iran. In dieser Hinsicht erledigt derzeit die Ukraine noch die "Drecksarbeit" für uns; aber irgendwann müssen auch wir ran.

Der deutsche Bundeskanzler hat diese Woche mit Unterstützung der Systemmedien Mord und Totschlag als ehrenwürdige Drecksarbeit gelobt. Auch hat er Irans Militärhilfe an Russland als einen der Gründe für den Krieg gegen Iran genannt. Damit hat er die Aussage eines russischen Militärexperten höchstpersönlich bestätigt, dass Deutschland sich zumindest mental und völlig freiwillig (denn dieser Kanzler wurde erst vor Kurzem von den Deutschen gewählt) in den Sommer 1941 zurückkatapultiert.

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