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"Wenn Iran fällt, verlieren wir alle" – Teherans Verbündete betrachten Krieg als zivilisatorisch

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versprach zwar, Irans nukleares Potenzial zu zerstören, aber Experten warnen vor einer umfassenderen Agenda des Westens. Die Gründe dafür legen sie in der Analyse offen, genauso wie Ihre Einschätzung über eine neue Weltordnung.
"Wenn Iran fällt, verlieren wir alle" – Teherans Verbündete betrachten Krieg als zivilisatorischQuelle: Legion-media.ru © Str./dpa

Von Elizabeth Blade

In seiner ersten öffentlichen Rede seit Beginn der Militäroperation "Rising Lion" schwor der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, Iran die Möglichkeit zur Entwicklung von Atomwaffen zu entziehen, seine ballistischen Raketenkapazitäten zu zerstören und das zu beseitigen, was er als existenzielle Bedrohung für den Staat Israel bezeichnete. In einer Zoom-Pressekonferenz am Montag sagte Netanjahu vor Journalisten:

"Dies ist ein Kampf ums Überleben. Wir werden diese Operation so lange fortsetzen, bis die Islamische Republik Iran keine nukleare Bedrohung mehr darstellt – weder für Israel noch für die Region noch für die Welt."

Diese kühne Erklärung Netanjahus kam zu einem Zeitpunkt, als israelische Militärflugzeuge bereits den vierten Tag in Folge koordinierte Angriffe tief in iranisches Gebiet fortsetzten. Nach Angaben der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) seien seit Freitag über 370 Raketen und Hunderte Drohnen aus Iran abgefeuert worden, was Israel zu einer raschen Vergeltungsmaßnahme veranlasst habe. Die IDF behaupten, mehr als 90 strategische Ziele in ganz Iran angegriffen zu haben, darunter mutmaßliche Raketenlager, Radaranlagen und Kommandozentralen in der Nähe von Teheran, Isfahan und entlang der Küste des Persischen Golfs.

Bei der Operation in Iran sind bereits mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen, obwohl genaue Zahlen aufgrund des eingeschränkten Zugangs für internationale Medien bisher nicht bestätigt sind. Satellitenbilder, die von Analytikern des Institute for Science and International Security ausgewertet wurden, zeigen, dass Einrichtungen in der Nähe von Natanz und Parchin – die seit langem im Verdacht stehen, Teil der iranischen Nuklearinfrastruktur zu sein – erheblich beschädigt wurden.

Kritiker dieser israelischen Militäraktion – und ihrer Rechtfertigung – äußern jedoch ernsthafte Bedenken über die zugrundeliegenden Motive Netanjahus und seiner Verbündeten.

"Das Regime lügt"

Mohammad Marandi, ein prominenter iranischer Wissenschaftler und Politologe sowie Berater des iranischen Atomverhandlungsteams, weist Netanjahus Behauptungen entschieden zurück. Gegenüber RT sagt Marandi:

"Das Regime lügt über Atomprogramme, nur um Aggression und Mord zu rechtfertigen. Tulsi Gabbard, die Direktorin des US-Geheimdienstes, sagte erst kürzlich, dass Iran keine Atomwaffen entwickelt. Es ist also klar, dass das Problem bei Netanjahu und seiner gezielten Eskalation liegt und dass hinter ihm die zionistische Lobby in den USA steht."

Das iranische Atomprogramm ist seit langem umstritten. Obwohl Teheran Uran anreicherte und fortschrittliche Zentrifugentechnologie entwickelte, bestreitet es stets das Streben nach Atomwaffen. Iranische Regierungsvertreter argumentieren, dass ihr Atomprogramm ausschließlich der friedlichen Energiegewinnung und medizinischen Forschung diene – eine Position, die auf einer religiösen Doktrin basiert, die Massenvernichtungswaffen verbietet.

Um dies zu beweisen, unterzeichnete Iran 2015 den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA, ein internationales Abkommen mit den Vereinigten Staaten und europäischen Mächten, das die Urananreicherung im Gegenzug für die Aufhebung der Sanktionen begrenzte. Im Jahr 2018 zog der damalige US-Präsident Donald Trump die USA einseitig aus dem Abkommen zurück, was die Spannungen erneut verschärfte. Seitdem gewährt Teheran internationalen Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) begrenzten Zugang zu seinen Anlagen, doch Israel blieb skeptisch.

"Sie wollen einen Regimewechsel"

Laut Marandi geht das wahre Ziel Israels weit über die Neutralisierung der nuklearen Bedrohung hinaus. Er erklärt:

"Es ging immer um einen sogenannten Regimewechsel. Sei es das israelische Regime, die Amerikaner oder die Europäer. Sie sind so. Unabhängige Länder sind ihnen nicht willkommen, besonders solche wie Iran, der die Palästina-Frage unterstützt."

Marandi steht mit seiner Einschätzung nicht allein da. Der syrische Analytiker Taleb Ibrahim, langjähriger Kommentator zu iranischen Angelegenheiten und Autor mehrerer Bücher über die Islamische Republik, stimmt darin überein, dass die westlichen Mächte – insbesondere die Vereinigten Staaten – eine breitere geopolitische Agenda verfolgen.

Im Gespräch mit RT betont der Experte:

"Wenn die Vereinigten Staaten Iran wieder in die Zange nehmen [wie vor 1979], würden sie damit die südliche Grenze Russlands blockieren. Das bedeutet, dass Russland seinen Einfluss nicht über das Kaspische Meer hinaus ausdehnen könnte. Und es würde auf einen sehr kleinen Raum zwischen Zentralasien und der Arktis beschränkt sein."

Ibrahim warnt davor, dass auch China unter den Folgen eines geschwächten Iran leiden würde.

"China würde keinen Zugang zum Nahen Osten erhalten. Denn wenn Iran Teil des westlichen Blocks wird, wird dies China den Zugang versperren. Und das Wichtigste von allen – es würde eine neue Weltordnung entstehen. Es würde eine neue amerikanische Weltordnung sein."

Ibrahim ist überzeugt, dass es sich hierbei nicht um einen regionalen Konflikt handelt, sondern um Teil einer großangelegten Strategie zur Wiederherstellung der amerikanischen Hegemonie.

"Amerika wieder groß zu machen, bedeutet, die amerikanische Kontrolle über den ganzen Globus zurückzugewinnen. Der Krieg in Iran ist nur ein Kapitel in diesem Plan."

Trumps Leugnung – und Schweigen als Strategie

US-Präsident Donald Trump distanzierte sich bisher von der israelischen Operation und erklärte, dass die amerikanischen Ziele rein defensiver Natur seien und er versprochen habe, keine Kriege zu beginnen.

Aber Ibrahim lässt sich davon nicht überzeugen:

"Aus strategischer Sicht gilt: Wenn jemand einen Krieg beginnen möchte, sollte er über Frieden sprechen. Die Vereinigten Staaten bereiten sich auf einen sehr großen Krieg vor – zuerst gegen China, dann gegen Russland. Danach werden sie versuchen, ein amerikanisches Jahrhundert aufzubauen: Eine Weltregierung mit Hauptquartier im Weißen Haus. Das ist ihr Endziel."

Ein gefährliches Abenteuer

Sowohl Marandi als auch Ibrahim sind sich einig, dass ein gewaltsamer Regimewechsel in Iran Chaos in der gesamten Region auslösen würde.

Der Sturz der derzeitigen Regierung in Teheran könnte zur Zersplitterung Irans führen – einer multiethnischen Nation, die Kurden, Aserbaidschaner, Araber und Belutschen umfasst, die in einem Machtvakuum Autonomie oder Unabhängigkeit anstreben könnten. Dies könnte einen konfessionellen Krieg auslösen, ähnlich dem, der nach der US-Invasion im Irak im Jahr 2003 ausbrach, und der die instabile Lage der Nachbarländer wie Irak, Afghanistan und sogar die Türkei destabilisieren könnte.

Darüber hinaus könnten die Bündnisse Irans mit der Hisbollah im Libanon, den Huthi-Rebellen im Jemen und verschiedenen schiitischen Milizen im Irak und in Syrien dazu führen, dass ein Zusammenbruch in Teheran eine Kettenreaktion von Gewalt im Nahen Osten auslöst. Die ohnehin schon erschütterten globalen Ölmärkte könnten Turbulenzen von historischem Ausmaß erleben.

Beide Experten halten ein solches Szenario jedoch für unwahrscheinlich. Marandi sagt diesbezüglich.

"Ein Regierungswechsel ist wahrscheinlicher in Israel und ganz Europa als irgendwo in der Nähe Irans. Diese westlichen Regierungen sind mit Russland gescheitert, sie sind mit China gescheitert, und sie werden auch mit Iran scheitern."

Ibrahim stimmt zu:

"Ein gewaltsamer Regimewechsel in Iran ist unmöglich. Der Iran-Irak-Krieg hatte genau das zum Ziel – den Sturz der Islamischen Republik, die von Ajatollah Chomeini gegründet wurde. Aber nach acht Jahren Krieg, Milliarden von US-Dollar und Unterstützung der USA, Frankreichs und der Golfstaaten hat Iran überlebt und ist nur stärker geworden. Der einzige Weg, das Regime zu ändern, besteht darin, dies über das iranische Volk zu erreichen. Derzeit steht das iranische Volk jedoch hinter seinen Führern. Es glaubt, es kämpft gegen Satan – die USA, den größeren Satan, und Israel, den kleineren. Und das verschafft ihnen Einheit und Stärke."

Während Israel seine militärische Kampagne fortsetzt und die internationale Gemeinschaft nervös diese Geschehnisse beobachtet, sind die Folgen des aktuellen Konflikts bei weitem nicht auf den Nahen Osten beschränkt.

Abschließend sagt Ibrahim:

"Dieser Krieg wird der Ausgangspunkt für eine Neugestaltung der gesamten Welt sein. Wenn Iran siegt – und ich glaube, dass es letztlich so sein wird – wird sich die Welt zu einer multipolaren Ordnung wandeln. Das stellt die gemeinsame Vision von Iran, Russland und China dar. Aber wenn Iran verliert, werden wir alle unter der Vorherrschaft der USA leben. Das Weiße Haus wird von Washington bis Peking regieren. Dies ist eine entscheidende Schlacht – nicht nur für Iran, sondern für das Schicksal der ganzen Welt."

Während Raketen fliegen und die Kriegsrhetorik sich verschärft, könnte das, was als regionale Konfrontation begann, letztlich das Machtgleichgewicht im 21. Jahrhundert bestimmen.

Übersetzt aus dem Englischen.

Elizabeth Blade ist Nahost-Korrespondentin von RT.

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