
Verfassungsschutzbericht: Tut das weh oder ist das heilbar?

Von Dagmar Henn
Ja, man weiß wieder einmal nicht, ob man lachen oder weinen soll, wenn man sich die aktuelle Ausgabe des jährlichen Hauptwerks des Bundesamts für Verfassungsschutz zu Gemüte führt. Und ob man diesen Text ernst nehmen oder nur als Steinbruch für Stilblüten gebrauchen soll. Wie zum Beispiel dies hier, aus dem Abschnitt zu China, genauer, zur Bedrohung durch chinesische Spionage:
"Erkenntnisse zu Struktur, Bewaffnung und Ausbildung der Bundeswehr stehen ebenso im Interesse chinesischer Dienste wie die Beschaffung moderner Waffentechnik aus der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie oder auch militärisch nutzbare Hochtechnologien wie die Quantentechnologie."

Erde an Verfassungsschutz: nur mal als Beispiel, in der Quantentechnologie liegt China weit vor Deutschland. Wenn da spioniert wird, dann eher in der entgegengesetzten Richtung. Und die "moderne Waffentechnik aus der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie" hat nicht nur ausreichend Anschauungsexemplare für Russland hinterlassen, sondern in der Ukraine auch noch bewiesen, dass sie nur begrenzt der Mühe wert ist.
Aber verlassen wir einmal den Bereich der unfreiwilligen Komik und gehen wir zum Herzstück des bürokratischen Eigeninteresses, der jährlichen Statistik extremistischer Straftaten. Für das Amt ist dieser Teil vor allem deshalb wichtig, weil die derzeit etwas über 504 Millionen Euro, die zuletzt aus dem Bundeshaushalt nach Köln flossen, in der Konkurrenz um die Haushaltsmittel bewahrt werden müssen – auch wenn diese Zahlen vom BKA und nicht vom Verfassungsschutz stammen.
"Das BKA registrierte für das Jahr 2024 insgesamt 84.172 (2023: 60.028) politisch motivierte Straftaten. Davon sind 31.229 (37,1 Prozent) Propagandadelikte (2023: 19.905, 33,2 Prozent). 4.107 Straftaten (4,9 Prozent) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2023: 3.561, 5,9 Prozent)."
Was sich natürlich so übersetzt: Von den angegebenen zusätzlichen ca. 24.000 Straftaten mehr seit 2023 entfällt die Hälfte auf "Propagandadelikte". Wobei man nicht vergessen darf, dass die beliebten Paragrafen 140 und 188 StGB nicht unter "Propagandadelikt" verzeichnet werden, sondern unter "sonstige Straftaten". In Wirklichkeit sind das Zahlen, die vor allem durch die Kopplung aus Rechtsverschärfungen und enormem Verfolgungseifer gestiegen sind, zu denen auch – nicht im Haushalt dieser Behörde enthaltene, weil auf anderen Wegen finanzierte – Zuarbeiter wie die diversen NGOs beigetragen haben (Stichwort: "Hass und Hetze").
Nur, damit das gesamte Resümee nicht ganz so düster wird: Atmosphärisch könnte man einen leichten Rückgang der eigenen Propaganda konstatieren; man wird in diesem Jahr nicht mehr ganz so sehr mit Verkündungen, wie gefährlich "Hass und Hetze" seien, zugeschwallt wie in den Vorjahren. Auch die Klagen über "Desinformation" sind zumindest etwas zurückhaltender.
Aber noch einmal zurück zu den Straftaten:
"Als weitereTeilmenge der rechtsextremistischen Straftaten wurden zudem24.177 rechtsextremistisch motivierte Propagandadelikte nach§§ 86, 86a StGB registriert (2023: 15.081)."
Da fallen einem doch sogleich mehrere Fälle ein, in denen beispielsweise die Verbreitung von Fotos ukrainischer Nazis zum Zwecke der Aufklärung mit einem solchen Strafverfahren belegt wurde.
Immerhin haben das alles Polizei und Justiz verbockt, da können die Kölner nichts dafür. Aber es finden sich viele Beispiele, die belegen, dass das grauenvoll zusammengeschusterte AfD-Gutachten nicht vom Himmel gefallen ist, sondern ein Produkt ist, das den geistigen Zustand der Kölner Schlapphüte angemessen wiedergibt. Wie hier aus einer Passage zu propalästinensischen Demonstrationen:
"Obwohl die Demonstrationen nicht per se antisemitisch waren, kam es vermehrt zu antisemitischer Hetze und Sprechchören, wie beispielsweise 'From the river to the sea – Palestine will be free', 'Tod den Juden!' oder 'Kindermörder Israel'."
Die mittlere Losung ist tatsächlich antisemitisch; die anderen beiden sind es nicht. Aber wir wollen ja nicht katholischer sein als der Papst, die völlige Verwirrung zum Thema Israel ist kein exklusives Problem des Verfassungsschutzes. Und dennoch: Der Eindruck bleibt, dass diese Truppe zwar eifrig sammeln, aber leider überhaupt nicht bewerten kann. Noch ein hübsches Beispiel aus dem gleichen Feld:
"Neben der Diskreditierung Israels als 'zionistische Besatzungsmacht' wird dabei auch gegen deutsche politische Institutionen agitiert, indem die Solidarität Deutschlands gegenüber Israel auf politischer Ebene als Unterstützung des vermeintlichen Aggressors umgedeutet wird."
Klar, Deutschland hat ja auch keine Waffen an Israel geliefert, oder? Und da gibt es auch keine Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Israel wegen Genozids und gegen Deutschland wegen Unterstützung eines Genozids …
Übrigens, ganz nebenbei wird mitgeteilt, dass nicht nur die Boykottbewegung BDS, sondern auch die "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost e. V." als "gesichert extremistische Bestrebung" bewertet wird. Und zwar, weil sie "direkt oder verklausuliert den Terrorismus von HAMAS, PIJ und PFLP" befürworteten … nein, da gibt es keine UN-Resolutionen, die die israelische Besatzung verurteilen, und es gibt kein völkerrechtlich garantiertes Recht auf Widerstand gegen eine Besatzungsmacht … aber gut, wie sollte auch der Verfassungsschutz klüger sein als das Innenministerium.
So etwas kommt nun einmal heraus, wenn eine derartige Behörde auf der einen Seite ausgesprochen geringe Kenntnisse von politischen Begriffen wie von globalen Entwicklungen hat, auf der anderen Seite aber auf Teufel komm raus interpretiert. Ein kleiner Blick in einen anderen Abschnitt bestätigt, dass die Probleme schon bei den Begrifflichkeiten beginnen, obwohl diesem Mangel mit einem halbwegs tauglichen Fachlexikon abgeholfen werden könnte:
"Mit 'Kapitalismus' wiederum meinen Linksextremisten die untrennbare Einheit von demokratischem Rechtsstaat und marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung, welche aus linksextremistischer Sicht ausschließlich der Manifestierung von Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen dient."
Die "untrennbare Einheit" ist durchaus kühn, schließlich ist selbst das Grundgesetz zwar in Bezug auf den demokratischen Rechtsstaat, nicht aber in Bezug auf die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung festgelegt. Vermutlich gibt es in Köln nur eine Kurzeinführung, in der vermittelt wird, dass jeder, der den Begriff Kapitalismus gebraucht, böse und daher zu beobachten sei. Es wäre bestimmt interessant, wie dann "nicht-marktwirtschaftliche Eigentumsordnungen" in Köln so definiert werden, aber es steht zu befürchten, dass dafür keine Fantasie mehr übrig ist.
Immerhin haben die Jungs immer eine klare Vorstellung davon, wozu politisches Handeln überhaupt dienen soll. Noch ein Beispiel:
"Linksextremisten greifen gezielt tagespolitisch bedeutsame Themen auf, um Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen und Prozesse zu nehmen. Linksextremistische Positionen sollen so in den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebettet und zivildemokratischer Protest um eine militante Komponente ergänzt werden. Im Kern geht es Linksextremisten dabei vor allem um die Delegitimierung des demokratischen Staates und seiner Institutionen."
Ach, das mit der Delegitimierung. Was war da der letzte Höhepunkt? Richtig, die Verabschiedung der Billionenschuld mit dem alten Bundestag. Das war ein richtiger Delegitimierungskracher. Nur – im Kern wird hier behauptet (und das gilt für alle, die das Etikett "Extremisten" erhalten), bei Reaktionen auf politische Fragen ginge es nie um die Frage selbst, sondern immer nur darum, den Staat zu zerschlagen. Nach fünfzig Lebensjahren, die ich in Kreisen verbracht habe, die für die jeweiligen Verfassungsschutzämter als "linksextremistisch" galten, muss ich das als Verschwörungstheorie zurückweisen, von der die Teilnahme an auch nur einer einzigen politischen Sitzung, egal in welchem Haufen, sofort heilen könnte (Spoiler: in der Regel langatmig und bestenfalls in homöopathischer Dosierung derart zielorientiert).
Das, was sich über verschiedene Organisationen findet, ist eigentlich eher langweilig. Die Liste ändert sich schließlich nur sehr begrenzt. In den Kapiteln über Spionageabwehr wird allerlei dünner Kaffee abermals aufgegossen, sei es nun die sogenannte "Doppelgängerkampagne", die schon bei der ersten Veröffentlichung eine Lachnummer war, als auch immer noch oder wieder das eine brennende Päckchen bei DHL als Beleg "russischer Sabotage". Ja, es bleibt peinlich.
RT.DE wird übrigens auch einmal erwähnt:
"Russische Desinformation zeigte sich beispielsweise durch propagandistische Beiträge prorussischer Medienportale wie RT, die den Staat Israel als 'Terror-Staat' und 'Vasallen der USA' bezeichneten."
Als Quelle wird hier auf die Homepage von RT.DE mit Datum vom 27. Januar 2025 verwiesen. Der einzige Artikel, den ich finden konnte, in dem der Begriff "Terror-Staat" auftaucht, ist ein Artikel von mir vom 3. Oktober 2024, und dieser Begriff findet sich darin in einem Zitat des Berliner Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner und wird von ihm auf Iran bezogen. Vielleicht wäre einer unserer Leser dort in Köln so nett, in den Kommentaren die echte Quelle zu nennen. Vielleicht liegt diese ja auch noch weiter zurück als vier Monate vor dem besagten 27.01.2025? Auch wenn ich eigentlich eine tägliche Lektüre erwarten würde …
Zwischendrin, im Abschnitt Spionage, finden sich auch noch akute Anfälle von Größenwahn:
"Deutschland ist aufgrund seiner herausragenden politischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Rolle eines der bedeutendsten Aufklärungs-, Beschaffungs- und Einflussziele Chinas."
Das ist jetzt allerspätestens mit dem neuesten EU-Sanktionspaket endgültig vorbei. Dumm nur, dass der Nutzen eines Nachrichtendienstes exponentiell abnimmt, wenn seine Bereitschaft schwindet, die Wirklichkeit wahrzunehmen. Und auf der Kurve ist man inzwischen in Deutschland ziemlich weit. (Übrigens, was in diesem Bericht auf Seite 316 als Tätigkeit der chinesischen Residenturen beschrieben wird, ist auch unterhaltsam zu lesen, weil es einfach das ist, was jede Botschaft tut, und es ist nichts Illegales.)
Womit man zu den Themen kommt, die sich in diesem Bericht nicht finden. Da werden dann zwar 20.000 Mitglieder der AfD pauschal zu den Rechtsextremisten addiert, und auch die Gegner der Corona-Maßnahmen immer noch irgendwie an den Rechtsextremismus angehängt, aber die gefährlichsten rechtsextremen Gruppierungen in Deutschland werden nicht einmal erwähnt. Wobei es in diesem Fall egal ist, ob man sie unter Ausland oder Inland ablegt. Ich rede von den ukrainischen Nazis, die es für den Verfassungsschutz nicht zu geben scheint.
Davon gibt es nicht nur reichlich, sie haben auch problemlosen Zugang zu Waffen und Sprengstoff und waren schon vor mehreren Generationen berüchtigte Terroristen. Sollten die Kölner Zweifel hegen, finden sich sicher noch Ermittlungsakten vom Anfang der 1950er Jahre, als zwei Zweige der OUN in deutschen Flüchtlingslagern aneinander gerieten, die OUN(B) und die OUN(M), was in einigen Dutzend Morden endete. Die erst von den US- und dann von den Bundesbehörden ganz freundlich unter den Teppich gekehrt wurden.
Man sollte darauf hoffen, dass spätestens jetzt, da eine Niederlage in der Ukraine absehbar ist und gleichzeitig in einer ganzen Reihe von Anschlägen in Russland die terroristischen Neigungen bestätigt wurden, auch in Köln die Alarmlampen angehen und erkannt wird, dass da ein echtes und massives Sicherheitsproblem anrollt. Mit einer offenen Querverbindung zu organisierter Kriminalität und nachweislich keinerlei Hemmungen bei der Ausübung von Gewalt. Dass offiziell so getan wird, als wäre da nichts, dürfte eine Behörde wie die Kölner nicht davon abhalten, zumindest eine gründliche Beobachtung zu sichern. Nur, es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Oder es ist die große Nähe: Ganz am Anfang des Berichts, in dem Kapitel, das erklären soll, warum es unbedingt einen Verfassungsschutz braucht, wird nämlich unter den "Schutzinstrumenten für den demokratischen Rechtsstaat" auch erklärt:
"Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeiten […] sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind gemäß Art. 9 Abs. 2 GG verboten."
Wie gut, dass die Kölner das nicht allzu ernst nehmen, sonst hätten sie alle Hände damit zu tun, ihren Blick auf den größten Teil der Berliner Parteienpalette zu richten, der in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt wie auch im Kontext der israelischen Kriegsführung in Palästina mit großem Eifer bewiesen hat, dass ihnen nichts weniger am Herzen liegt als – Völkerverständigung. Es wäre kaum ein Aufwand, aus den Aussagen führender deutscher Politiker ein Kompendium zu kondensieren, das weitaus klarer als dieses "Gutachten" genannte Machwerk zur AfD belegt, dass wir hier von Vereinigungen reden, deren Zweck sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Von der NATO wollen wir da gar nicht erst anfangen; alleine Außenminister Johann –"Russland wird immer Feind für uns bleiben" – Wadephul sollte genügen.
Da kann man dann fast Mitgefühl für jenen Teil der Kölner Besatzung empfinden, der nicht dumm genug ist, das nicht zu erkennen, und sein Brot dann doch tagein, tagaus mit dem Blick in die falsche Richtung verdienen muss. Allerdings deuten alle Veröffentlichungen dieses Hauses darauf hin, dass das nur eine kleine Minderheit unter den 4.549 offiziell Beschäftigten sein dürfte.
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