
Deutsche Wirtschaft: Ein Blick in den Abgrund, aber mit perfekter Frisur

Von Dagmar Henn
Gerade erst hat sich die neue Bundesregierung als Wirtschaftsretter geriert und will mit erhöhten Abschreibungen in den nächsten Jahren Investitionen ankurbeln (wobei ein Teil davon in eine ziemlich unsinnige Subventionierung großer Elektroautos geht), und die EZB hat die Zinsen wieder um ein weiteres Viertelprozent gesenkt. Alles in Butter könnte man denken. Oder sich auch grämen, dass ab 2028 die Körperschaftsteuer schon fast auf die Rote Liste der bedrohten Arten gesetzt werden kann, wenn das Ziel ein Satz von 10 Prozent ist (seit 2008 sind es 15 Prozent, nach dem Zweiten Weltkrieg lag sie bei 65 Prozent, 1981 noch bei mindestens 36 Prozent und 2001 bei 25 Prozent).

"Das soll den Unternehmen langfristige Planungssicherheit geben und den Standort Deutschland aufwerten", heißt es. Allerdings – wenn die Steuern für die Wirtschaft gesenkt werden, muss jemand anderer die Aufrüstung bezahlen. Und das hat selbstverständlich wieder Auswirkungen auf den Binnenmarkt.
Aber: Im Grunde treffen noch viel mehr Faktoren zusammen, die am Ende dafür sorgen werden, dass die ganze "Wirtschaftsförderung" vielleicht den Aktionären noch ein oder zwei Dividenden sichert, jedoch am Grundproblem selbst dann nichts ändern würde, wenn der gesamte Bundeshaushalt darin verschwände.
Nehmen wir erst einmal ein paar Ausgangsdaten. Die letzte volkswirtschaftliche Mitteilung von Allianz Trade fasst da einige wichtige Zahlen zusammen. Weltweit sei die Zahl der Großinsolvenzen auf Rekordhöhe und im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent gestiegen. Dabei entfielen 61 Prozent auf Westeuropa.
In Deutschland "gab es 87 Großinsolvenzen im Jahr 2024, mit einem kumulierten Umsatz von 17,4 Milliarden Euro. Das ist ein Anstieg um 36 Prozent bei den Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr und um 55 Prozent beim Gesamtumsatz."
Für das laufende Jahr wird keine Besserung prognostiziert, aber womöglich "Dominoeffekte auf die Lieferketten".
Im ersten Quartal 2025 seien drei große Textileinzelhändler und je zwei Automobilzulieferer und Chemieunternehmen in Schwierigkeiten geraten, wobei der durchschnittliche Umsatz der insolventen Unternehmen bei 135 Millionen Euro lag. Im Jahr 2024 sei, so der Versicherer, das Baugewerbe noch stärker betroffen gewesen als der textile Einzelhandel, aber auch Kliniken, Haushaltsgeräte und die Metallindustrie seien "Sorgenkinder".
Nun, zwei Faktoren blieben die gleichen wie in den vergangenen Jahren: Die hohen Energiekosten brachten insbesondere stark exportorientierte Branchen in Schwierigkeiten, während die (inzwischen schon seit einer Generation anhaltende) Stagnation bei den Reallöhnen dafür sorgte, dass auch auf den Binnenmarkt orientierte Branchen wie der Textileinzelhandel kein Bein auf den Boden bekamen. Und gerade die Textilbranche ist ein Beispiel, bei dem längst alles verlagert ist, was verlagert werden kann.
Auf die Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz hatte der Bundesverband der Deutschen Industrie mit einer eigenen Erklärung geantwortet. Da hieß es: "Für das laufende Jahr und für 2026 ist im Haushalt ein finanzieller Vorrang für alles dringend nötig, was Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit fördert." Außerdem wird eine "notwendige Senkung der Energiekosten" gefordert, und ein "Rückbau der massiven Bürokratie-Belastung".
Das mit den Energiekosten dürfte nichts werden. Ganz im Gegenteil – nachdem sich Merz nicht nur dafür einsetzt, die Nord-Stream-Pipelines nie wieder in Betrieb zu nehmen und die EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (die, das sollte man nicht vergessen, der Partei von Bundeskanzler Merz entstammt) freudig die Bereitschaft verkündet hat, gemeinsam mit den USA weitere Sanktionen verhängen zu wollen.
Dabei ist im US-Senat gerade eine berüchtigte Vorlage über 500 Prozent Strafzölle als Sekundärsanktion gegen alle Käufer russischer Energieträger und Waren im Gespräch, gegen die aus der EU bisher kein Widerspruch erfolgte.
"China und Indien machen rund 70 Prozent des russischen internationalen Energiehandels aus, der zur Finanzierung der Kriegsanstrengungen beiträgt", schreibt dazu die Frankfurter Rundschau – geradezu begeistert, was bis in die Überschrift schwappte:
"Gemeinsamer Schlag gegen Russland – 500 Prozent Zölle gegen Putins Helfer"
Noch einmal zurück, wir reden von Indien und China. China ist allerdings nicht nur einer der wichtigsten Exportmärkte (der bloß deshalb von den USA auf Platz 2 verdrängt wurde, weil der Handel mit China zurückgegangen ist, und nicht, weil der mit den USA so angewachsen ist), sondern auch integraler Bestandteil der meisten Lieferketten der deutschen Industrie.
Praktisch gesprochen wäre eine Verschärfung des (weitgehend zeremoniellen) Ölpreisdeckels und die völlige Kappung russischer Energielieferungen zwar vermutlich ein geopolitisches Risiko in der Ostsee, aber würde vor allem die Energiepreise in Westeuropa in neue Höhen schrauben. Eine Einführung dieser 500-Prozent-Sanktion würde, wenn sie derart vollzogen wird, wie von der Leyen es zu beabsichtigen scheint, die Verbindungen in Richtung China vollständig kappen. Damit wäre ein weiterer Teil der deutschen Exportindustrie schlagartig aus dem Spiel, und so gut wie alle übrigen Branchen stünden vor völlig fragmentierten Lieferketten und Produktionsabläufen. Wie das aussieht, konnte man während Corona mal ein wenig ausprobieren.
Wie gesagt, die Bundesregierung will "Investitionssicherheit" schaffen – in einer politischen Gesamtlage, in der jeder, der kein inniger Fan des russischen Roulettes ist, instinktiv seine Sachen packen und alles, was transportierbar ist, ins sichere Asien verfrachten würde. Denn es ist ja nicht so, als wäre die EU, dieses großspurige Bürokratiemonster, zumindest ein sicherer Absatzmarkt. Bestenfalls noch für Waffenhändler. Die Binnenmärkte leiden überall unter den schwindenden Einkommen gewöhnlicher Sterblicher. Dass nun auch noch Bulgarien den Euro bekommen soll, wird nichts daran verbessern.
Einen kleinen Einblick in das, was uns sonst noch blühen könnte, geben die Probleme, die die deutschen Hersteller von Elektrofahrzeugen gerade mit Seltenen Erden haben. Genauer genommen, mit Permanentmagneten aus schweren Seltenen Erden, die weltweit mit über 90 Prozent aus genau einem Land stammen. Richtig: China. Und China hat, als Reaktion auf die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump (und ein wenig geopolitischem Kalkül) gerade diese Seltenen Erden mit Exportbeschränkungen belegt. Warum sollte es nicht auch mal eine Monopolstellung nutzen?
Inzwischen steht jener Teil der deutschen Automobilindustrie, der nicht mit CO₂-Abgaben und Vorgaben zum Ende der Verbrennermotoren verfolgt wird, in großen Teilen vor dem Stillstand der Produktion, weil ebendiese Permanentmagneten nicht geliefert werden. Es gibt Verhandlungen zwischen der EU und China; die sind aber schon allein deshalb nicht einfach, weil auch die EU Strafzölle auf chinesische Elektrofahrzeuge verhängt hat. Und nach bisherigem Stand sieht der mögliche Kompromiss so aus: Die Seltenen Erden werden geliefert, aber unter Bedingungen, unter anderem, dass die damit erstellten Endprodukte nicht in die USA geliefert werden dürfen …
Wer also noch einen Grund sucht, warum die Bundesregierung ausgerechnet die Elektrofahrzeuge von Mercedes und BMW mit höheren Abschreibungen subventionieren will – hier findet man die Begründung: Denn gerade für die Luxuswagen sind die USA tatsächlich ein wichtiger Absatzmarkt, der aber mit besagten Auflagen. Wir reden also mitnichten von einem zusätzlichen Impuls, wir reden hier von einem Rettungsmanöver, um weitere Zusammenbrüche in der Automobilindustrie zumindest etwas hinauszuzögern.
Übrigens kocht die EU gerade an neuen Auflagen für Heizsysteme, und 2027 droht die Ausweitung des CO₂-Emissionshandels auf Gebäude und Verkehr, also auf Fahrzeuge und Wohnungen. Die berüchtigte Luftsteuer wird damit die für den Binnenmarkt verfügbaren Einkommen noch weiter verringern und stattdessen noch mehr Geld in diesen Spekulationsmarkt schieben, als wären jene für Strom und Gas nicht schon genug. Dann wird auch noch Kunstdünger mit einem Zoll von 400 Prozent belegt, zumindest, wenn er aus Russland und Weißrussland kommt (was bei importiertem Dünger überwiegend der Fall ist). Mit anderen Worten: In Brüssel wird unvermindert weiter an den Schrauben gedreht, die jede reale Nachfrage strangulieren. Die beiden Schritte, die Deutschland dringend bräuchte, ein Ende des "Verbrennerverbots" und eine völlige Abschaffung des Habeckschen Heizgesetzes, wird es nicht geben, weil die EU das nicht zulässt. Wie bei der Migration …
Man kann also mit relativer Sicherheit sagen, dass die Aussichten so gut wie überall schlecht sind. Grottenschlecht. Bei den Exportmärkten außerhalb Europas besteht die Gefahr, dass sie durch politische Kapriolen völlig wegbrechen, die europäischen Nachbarländer erleben auch nicht gerade einen Aufschwung, und der deutsche Binnenmarkt liegt ohnehin seit 30 Jahren im Koma. Da würde auch eine Absenkung der Körperschaftsteuer auf null nichts mehr nützen – der letztlich ausschlaggebende Faktor ist, ob überhaupt ein zu besteuernder Ertrag übrig bleibt. Bei kollabierenden Absatzmärkten ist das schwierig und auch mit Investitionen nur in Ausnahmefällen zu beheben.
Und nur, um in die Debatte über die aberwitzige geplante Aufrüstung etwas Realismus hineinzubringen: 5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt sind zwischen 45 und 50 Prozent des Bundeshaushalts, wenn man die letzten Jahrzehnte nimmt, und die deutsche Rüstungsindustrie beschäftigt derzeit, nach dem bereits nicht unerheblichen Ausbau der letzten Jahre, ungefähr 17.000 Menschen. Die Automobilindustrie liegt immer noch bei mehr als 700.000.
Die Entwicklung bei den Insolvenzen, die am Anfang unseres Artikels beschrieben wurde, zeigt eine geradezu klassische Abfolge. Großinsolvenzen stehen meist am Ende einer Entwicklung, und so konnte man das auch im vergangenen Jahr beobachten. Die Zulieferbetriebe der Automobilindustrie waren schon seit zwei Jahren einer nach dem anderen in die Knie gegangen, da kam dann im letzten Herbst mit Volkswagen ein großer Brocken. Alle derzeitigen Umstände betrachtet, wird es dabei nicht bleiben.
"Schlimmer als die Finanzkrise 2008 und Folgejahre"
sei es derzeit, hieß es Ende April unter Berufung auf einen Insolvenzberater sogar in der ARD-Tagesschau. Aber verglichen mit 2008 wird so getan, als sei da nichts, als könne man beim Navigieren durch Stromschnellen durch ein Zurechtrücken der Frisur Gefahren entgehen. Dabei wurden die Schuldverschreibungen, die das gigantische Rüstungspaket finanzieren sollen, noch gar nicht auf den Markt geworfen. Eines aber hat sich im Vergleich seit dem Jahr 2008 deutlich verbessert: die Fähigkeit, die wirklichen Zustände der Wahrnehmung zu entziehen. Das ist jedoch der einzige Fortschritt.
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