
Zurückweisungen: Eine Inszenierung vor dem Berliner Verwaltungsgericht

Von Dagmar Henn
Ein "gruseliges Rechtsverständnis" verortete der Kommentar der Tagesschau sogleich bei Innenminister Alexander Dobrindt, weil dieser auf eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts zu drei abgewiesenen Somaliern nicht sofort die Zurückweisungen an der Grenze einstellte, die im Wahlkampf versprochen worden waren. Dobrindt war nach dem Urteil vor die Presse getreten und hatte erklärt: "Es gibt keinen Grund, aufgrund einer Gerichtsentscheidung, die heute hier erfolgt ist in diesem Einzelfall, unsere Praxis zu verändern."
Technisch betrachtet hat der Mann Recht. Eine Entscheidung eines einfachen Verwaltungsgerichts bindet nicht einmal andere Kammern des gleichen Gerichts, geschweige denn andere Verwaltungsgerichte in anderen Bundesländern. Weshalb die Tagesschau-Kommentatorin gleich den Sprung nach ganz oben wagt: "Vieles, gerade in der Migrationspolitik, widerspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, aber wird trotzdem gemacht." Dobrindt solle gefälligst erst das Europarecht ändern. Und natürlich Selbstkritik üben.

Der erste instinktive Gedanke nach dem sehr schnell nach der Abschiebung nach Polen ergangenen Urteil war: Da hat sicher eine NGO für einen Anwalt gesorgt. Und es gibt einen Bericht des Webportals Nius, der eine ganze Reihe Merkwürdigkeiten rund um dieses Urteil findet. Nicht nur, dass die drei Somalier, die nach zwei erfolglosen Versuchen bereits das dritte Mal versuchten, nach Deutschland zu kommen, die Vollmacht für den Anwalt bereits zuvor unterzeichnet hatten – obwohl keiner von ihnen Deutsch spricht. Und natürlich wird der Anwalt über Pro Asyl gestellt, eine der NGOs, die derartige Verfahren finanzieren.
Warum gerade drei Somalier, könnte man sich fragen. Schließlich wurden in diesem Jahr bisher die meisten neu gestellten Asylanträge von Syrern gestellt, danach kamen, so die Daten von Statista.de, Afghanen und Türken. Auf einen Somalier kommen derzeit acht Syrer.
Allerdings – wenn man die Liste der Länder mit den höchsten Anerkennungsquoten betrachtet, liegen die Somalier mit fast 60 Prozent nur noch hinter den Eritreern, die mit einer Anerkennungsquote von 67,2 Prozent die Liste anführen. Die Syrer liegen derzeit bei ganzen 0,2 Prozent, also einer von 500 Syrern erhält tatsächlich Asyl. Es ist unübersehbar – die Wahl von Pro Asyl fiel auf eine Nationalität mit einer vergleichsweise hohen Erfolgsquote.
Nun könnte man fragen, was denn verwerflich daran sein soll, einem Flüchtling den Anwalt zu bezahlen. Das Problem ist, dass an dieser Stelle – eben gerade dank derartiger NGOs – das gesamte Rechtssystem verzerrt wird. Arme Deutsche sind auf Prozesskostenhilfe angewiesen; die gibt es aber nicht einfach so, denn sie kann verweigert werden, wenn die Erfolgsaussichten als zu gering beurteilt werden. Es ist das Gericht, das letztlich über den Fall entscheiden wird, das auch entscheiden darf, ob es Prozesskostenhilfe gibt oder nicht. Dazu kommt natürlich noch das Problem, dass dafür erst einmal ein Anwalt gefunden werden muss, der im betroffenen Fachgebiet arbeitet und bereit ist, das für Prozesskostenhilfe zu tun.
Die Folgen zeigen sich unter anderem im Sozialrecht. Ein Einzelner kann einen solchen Rechtsstreit gar nicht bis zum Ende, also gegebenenfalls einer höheren Instanz, ausfechten, weil schon vor der ersten Instanz Schluss ist, falls das Gericht die Klage für erfolglos hält. In vielen Bereichen führt das dazu, dass die Interessen Ärmerer selbst in kritischen Rechtsfragen gar nicht mehr auftauchen. Schließlich gibt es da keine NGOs, die die Finanzierung übernehmen. Ganz im Gegensatz zum Asylrecht. Es ist das völlige Fehlen derartiger Finanzierungsmöglichkeiten für andere Arme, die diesen Rechtshilfeapparat exklusiv für Asylbewerber moralisch fragwürdig werden lassen.
Denn was letzten Endes geschieht – und auch geschehen ist –, ist ein ungleicher Zugang zum Recht, bei dem dann ausgerechnet die Gruppe, die öffentlich als die schutzbedürftigste deklariert wird, einen privilegierten Zugang erhält. Aber das ist ja nur ein Teil der Geschichte.
Nicht nur, dass die drei Männer, wenn die Recherchen von Nius zutreffen, in Polen in einem Hotel untergebracht, neu eingekleidet, mit neuen Handys versehen und offenkundig vor ihrem dritten Aufbruch zur deutschen Grenze gründlich instruiert wurden, wie sie sich zu verhalten hätten, um Erfolg zu haben. Der Hotelaufenthalt dauerte genau bis zwei Tage nach der erwarteten Anordnung von Innenminister Dobrindt, jetzt die Grenze stärker zu schützen. Und weil diesmal der Grenzübertritt mit einem Zug – und nicht per Fuß über eine Grenzbrücke zwischen Polen und Deutschland – erfolgte, was heißt, dass die Kontrolle erst am ersten Bahnhof nach der Grenze stattfand, war auch sichergestellt, dass sie eindeutig bereits in Deutschland waren.
Sofort nachdem die drei von der Bundespolizei aufgegriffen wurden, legte eine deutsche Anwältin die Vollmacht vor und beantragte im Namen der drei schriftlich Asyl. Ob sie dieses Zauberwort zu diesem Zeitpunkt selbständig hätten äußern können, bleibt unbekannt. Am 14. Mai beantragte dann eben diese Anwältin eine einstweilige Anordung für die Einreise.
Womit, wenn die Informationen zutreffen, der seltsamste Teil der Geschichte beginnt. Das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder erklärt sich für nicht zuständig, weil die Bundespolizei im Spiel war, und beim dadurch an den Zug gebrachten Verwaltungsgericht Berlin übernimmt eine Kammer das Verfahren, die eigentlich überhaupt nicht zuständig wäre – deren Vorsitzender Richter aber ein Anhänger der Grünen und ein Migrationsaktivist sein soll. Der dann das Urteil fällt, über das Pro Asyl in Jubel ausbrechen kann: "Dobrindts Zurückweisungen sind rechtswidrig!"
Pro Asyl hat nach eigenen Angaben 25.000 Fördermitglieder, hält sich aber in Bezug auf größere Spenden bedeckt und erklärt nur, kein Spender trage zu mehr als zehn Prozent zum Budget bei. Der vorbereitete Coup mit den drei Somaliern ist nur ein Teil der Tätigkeit – vor wenigen Tagen erst ging ein lautes Stöhnen aus den Verwaltungsgerichten durch die Presse, die nicht wissen, wie sie sich vor den vielen Klagen in Asylverfahren retten sollen. Auslöser dieser Welle, die sich nun aufgestaut hat, war die Regelung im BAMF, die Verfahren zu beschleunigen, die es nun gerade bis zum Aktenstapel der Gerichte schaffte.
Tatsache ist, selbst ein Asylbewerber mit minimalen Aussichten auf Erfolg bleibt erst einmal bis zum Abschluss des Verfahrens, das derzeit fast neun Monate dauert, im Land. Erst danach beginnt der Klageweg. Der dauert im Schnitt weitere 17 Monate.
Derzeit liegt die Gesamtquote von Asylanträgen, die mit einer Anerkennung als Flüchtling, subsidiärem Schutz oder einem Abschiebeverbot enden, bei 18,2 Prozent. 2024 wurden im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 301.350 Bescheide erteilt. Die neueste Zahl über die auf eine Ablehnung folgenden Klagen stammt aus dem Jahr 2023; da wurde gegen 58,8 Prozent der ablehnenden Bescheid geklagt. Der Höhepunkt der Klagen lag übrigens im Jahr 2018 mit einer Klagequote von 75,8 Prozent. Damals waren 35,4 Prozent aller Fälle vom BAMF zuvor positiv beschieden worden.
Das Geschlechterverhältnis ist übrigens nur bei den einreisenden Kindern bis 15 Jahren einigermaßen ausgeglichen; zwischen 16 und 30 kommen im Schnitt vier Männer auf eine Frau. Das Maximum der Abschiebungen lag im Jahr 2016 bei 25.375, im Verhältnis zu in diesem Jahr 722.370 Erstanträgen.
Der hohe Anteil der Klagen ist (wenn man mal von den aktuellen handverlesenen Somaliern absieht) mit ziemlicher Sicherheit auf die Unterstützerstruktur durch Vereine wie Pro Asyl zurückzuführen. Die Angaben darüber, welcher Anteil dieser Klagen letztlich erfolgreich ist, schwanken stark, je nachdem, ob die Zahlen vom BAMF oder von Flüchtlingshelferorganisationen stammen. Laut BAMF ergingen 2024 300.000 Asylentscheidungen, gegen jede dritte, also etwa 100.000, wurde geklagt; aufgehoben wurden die Entscheidungen in 7.000 Fällen.
Der Bayerische Rundfunk (BR), der diese Zahlen abgefragt hatte, bestätigt übrigens, dass Organisationen wie Pro Asyl eine entscheidende Rolle bei diesen Klagen spielen. Obwohl es Prozesskostenhilfe auch für Asylbewerber gebe, würden "Anträge dafür selten gestellt, weil die Anwälte wüssten, dass der Staat die Erfolgsaussichten prüfe und diese unklar seien". Ein klein wenig trägt dazu sicher auch bei, dass die einzunehmenden Gebühren bei Prozesskostenhilfe deutlich niedriger sind. "Einige wenige NGOs", führt der BR weiter aus, "verfügten zudem über eigene Rechtshilfefonds für Asylsuchende, darunter Pro Asyl und die Kirchen."
Die Rechtsgrundlage des Europäischen Gerichtshofs, der laut Tagesschau-Kommentar die richtige Rechtsauffassung definiert, agiert übrigens auf Grundlage des Lissabon-Vertrags; der wiederum keine Verfassung, sondern eben ein Vertrag ist, da er, ursprünglich einmal als Verfassung geplant, im ersten Anlauf schon an den ersten Volksentscheiden scheiterte, in Frankreich und Irland.
Was direkt zu der Frage führt, die die ganze Angelegenheit so giftig macht – Tatsache ist, dass nicht nur in Deutschland ein großer Teil der Wähler sich einen anderen Umgang mit Einwanderung wünscht und auch entsprechend abgestimmt hat, aber genau damit immer wieder aufläuft. Unter anderem wegen des EuGH, der sich die Position eines Verfassungsgerichts anmaßt, ohne auf Grundlage einer Verfassung zu agieren. Nun erweist sich die gesamte EU an vielen Punkten als ein Konstrukt, das demokratische Entscheidungen verhindert; aber noch wird auch in Deutschland verbreitet nicht erkannt, dass die fehlende Legitimation vieler dieser Entscheidungen, zusammen mit der aktiven Verhinderung der Umsetzung demokratischen Willens, die EU zu einem Zwangsverhältnis macht, das mit Demokratie inkompatibel ist.
Soll es wirklich die Entscheidung einer Gruppe von Richtern sein, die einen Vertrag auslegen, wer letztlich in den europäischen Ländern leben darf und wer nicht? Gibt es nicht Fragen, die, sofern man Wahlen nicht als ausreichendes Votum ansieht, dann bestenfalls noch per Referendum geklärt werden sollten, aber nicht durch den EuGH? Dessen, herzlich komplizierte, Rechtsgrundlage den meisten Bürgern noch nicht einmal bekannt ist geschweige denn je von ihnen gebilligt wurde?
Und wäre es nicht, auch im Sinne der Gleichheit vor dem Gesetz, angebracht, die Tätigkeit dieser NGOs gründlich zu überprüfen, wenn der Verdacht besteht, durch das erwähnte juristische Eingreifen demokratische Entscheidungen unmöglich zu machen? Wenn die Details zutreffen, auf die sich Nius beruft, dann handelte es sich bei dem Prozess vor dem Berliner Verwaltungsgericht um eine sorgfältig durchgeplante Inszenierung – die im Kern eigentlich die Glaubwürdigkeit des Rechtssystems ingesamt in Frage stellt, oder das, was von ihr noch übrig ist. Das Spiel ist in diesem Fall jedenfalls aufgegangen. Nur all die staatlichen Stellen, die ständig herumjammern, das Vertrauen in "unsere Demokratie" sinke stetig, sollten einmal in sich gehen und nachdenken, ob nicht solche Vorfälle und ihre mediale Verwertung entscheidend dazu beitragen.
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