Meinung

Sozialabbau: Wie die GroKo den Arbeitsmarkt prekarisiert und dafür Grundrechte aushebelt

Eine mediale Hetzkampagne begleitet den Plan der neuen Bundesregierung, den Sozialstaat weiter zu stutzen – und den Arbeitsmarkt zu einem Paradies für Ausbeuter umzugestalten. Um Lohnabhängige dafür zu disziplinieren, untergräbt die "GroKo" sogar das Grundgesetz.
Sozialabbau: Wie die GroKo den Arbeitsmarkt prekarisiert und dafür Grundrechte aushebeltQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO

Von Susan Bonath

Um von den leistungslosen Pfründen der Reichen abzulenken, hetzen Politiker und bürgerliche Leitmedien gegen Bedürftige, die am Existenzminimum leben. Derlei Kampagnen, die häufig Unwahrheiten in die Welt setzen, begleiten wie gewohnt den neoliberalen Sozialabbaukurs der neuen Bundesregierung. Der Bürgergeldbezieher wird zum Übel der Nation kreiert: als Faulpelz, Schwarzarbeiter oder beides.

Die CDU/CSU-SPD-Koalition unter dem neoliberalen Hardliner-Kanzler Friedrich Merz (CDU) will das Bürgergeld in ein System der Erpressung umwandeln, das sogar noch repressiver ist, als sein Vorläufer Hartz IV und den Namen "Grundsicherung" nicht mal mehr im Ansatz verdient. Das Ziel ist durchsichtig: Sie will den kriselnden Arbeitsmarkt zulasten aller Lohnabhängigen weiter prekarisieren. Dafür untergräbt sie sogar höchstrichterliche Urteile und ignoriert Warnungen und Analysen ihrer eigenen Behörden.

Ausgehöhltes Existenzminimum

Zunächst: Das Bürgergeld ist das amtlich errechnete Existenzminimum, damit Erwerbslose und Geringverdiener überleben können und nicht kriminell werden müssen. Von seinem Vorläufer Hartz IV unterscheidet es nur wenig: eine einjährige Karenzzeit, in der Betroffene geringfügig mehr zuvor angespartes "Vermögen" behalten dürfen, sowie die Begrenzung der Sanktionen bei Ungehorsam auf 30 Prozent. Letzteres ist einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geschuldet.

Sozialverbände halten die Leistungssätze seit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe vor 20 Jahren für zu niedrig. Sie beklagen überdies, dass fast im gesamten Bundesgebiet kaum noch Wohnungen verfügbar sind, deren Miete Jobcenter für angemessen erachten. Immer mehr Betroffene müssen einen Teil der Wohnkosten aus ihrem Regelsatz bestreiten, der eigentlich für andere Grundbedürfnisse gedacht ist.

So mussten letztes Jahr je nach Bundesland zwischen acht und 17 Prozent der betroffenen Haushalte im Durchschnitt mehr als 100 Euro für die Wohnkosten draufzahlen. Bei einem Regelsatz für Alleinstehende von 563 Euro und angesichts massiv gestiegener Lebensmittel- und Energiepreise ist das viel. So wird zudem das Existenzminimum ausgehöhlt.

Sündenbock-Kampagne

Die Hetzkampagnen gegen Bürgergeldbezieher – die keineswegs immer arbeitslos sind – flimmern auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern über die Bildschirme. Jüngst echauffierte sich Berufspolitiker und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im ARD-Talk mit Caren Miosga über angebliche "mangelnde Leistungsbereitschaft" von Bürgergeldbeziehern, die zugleich jedoch "ein bisschen schwarz arbeiten" würden. Zahlreiche Medien, allen voran die Axel-Springer-Presse, schlachteten das genüsslich aus.

Abgesehen davon, dass es eher wütend machen sollte, wenn ein Berufspolitiker, der sich als Unternehmersohn nach einem Langzeitstudium seit vielen Jahren an Abgeordneten-Diäten im Bundestag labt, über "Faulheit", "mangelnde Arbeitsmoral" und "fehlende Leistungsbereitschaft" schwadroniert: Belege brauchte Linnemann für seine inkonsistenten Sündenbock-Geschichten auch wieder nicht zu liefern.

Ackern "wie die Polen"

Und dann erst der Vergleich, den Moritz Schularick, Präsident des neoliberalen Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, zum Besten gab: Die Polen würden mehr arbeiten als die Deutschen. Na klar, denn in Polen sind die Sozial- und Lohnstandards noch niedriger als in Deutschland. Man muss sich nur auf deutschen Baustellen umschauen, wo sich Bulgaren, Rumänen und eben auch Polen mangels Perspektiven oft zwölf Stunden täglich unter Arbeitsbedingungen abrackern, die jede Schutzvorschrift unterlaufen.

Man könnte den implizierten Aufruf so formulieren: Deutsche, ackert wie die Polen für Hungerlöhne und lasst euch bereitwillig unter üblen Bedingungen ausbeuten. Hier ahnt man dann, worauf diese Kampagne wirklich abzielt: Die Neoliberalen wollen den deutschen Arbeitsmarkt zu einem Paradies für Profiteure rückabwickeln.

Regierung will Grundgesetz untergraben

Dafür muss die Politik existenziellen Druck auf die Ärmsten aufbauen. So schwingen die Union und ihre Claqueurin, die SPD, die Peitsche gegen Arbeitslose und gering verdienende Bürgergeld-Aufstocker: Entweder ihr verdingt euch ungeachtet eurer persönlichen Probleme zu jedem Lohn und jedweden Bedingungen, oder wir lassen euch verhungern. Das kann man so drastisch formulieren, weil die "GroKo" Totalsanktionen für alle plant, die Jobcenter als "arbeitsunwillig" einstufen.

Dabei verstoßen Totalsanktionen, wie sie schon unter Hartz IV monatlich tausendfach verhängt wurden, nach höchstrichterlichem Urteil von 2019 gegen die Menschenwürde. Rechtswidrig sind demnach Kürzungen von mehr als 30 Prozent, was auch schon fragwürdig ist, da die Gesamtleistung doch angeblich das staatlich bezifferte und zugesicherte Existenzminimum sei. Die Bundesregierung plant also konkret, das Grundgesetz zu untergraben.

Mehr als zwei Jahre vor dem Karlsruher Urteil kam bereits der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu gravierenden Erkenntnissen, die wenig überraschend waren, aber schon damals geflissentlich von der Merkel-"GroKo" ignoriert wurden. Danach stürzten Sanktionen Betroffene ins Elend, bereiteten Obdachlosigkeit den Weg, verwehrten Zugang zu medizinischer Versorgung und maximierten psychische Erkrankungen. 

Jobchancen auf "historischem Tiefstand"

Nun suggerieren Linnemann und Co., es gäbe Arbeit für jeden an jeder Ecke. Das sehen ihre eigenen Behörden allerdings ganz anders. Die Chancen auf einen festen Arbeitsplatz für Bürgergeld-Bezieher seien "auf einem historischen Tiefstand", erklärte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) den Zeitungen des Großverlages Ippen Media

Demnach ist "die Zahl der monatlich neu gemeldeten offenen Stellen so gering wie seit Jahrzehnten nicht." Weiter konstatierte die BMAS-Sprecherin: "Zudem richten sich 80 Prozent der gemeldeten Arbeitsstellen an Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung." Zwei Drittel der Bürgergeld-Bezieher würden aber nicht über benötigte Ausbildungen verfügen. Und gerade an ihrer Aus- und Weiterbildung will die Bundesregierung noch stärker sparen, als ohnehin schon.

Freie Stellen oft prekär

So kommen für 2,7 der rund vier Millionen sogenannten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nur Helfertätigkeiten in Frage. Ihnen standen vergangenes Jahr jedoch nur etwa 160.000 Jobangebote für ungelernte Kräfte gegenüber, die sie überhaupt antreten könnten. Da kann man schlecht von Faulheit reden.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam kürzlich das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA). Seiner Analyse zufolge sind "die neuen Jobs", die Arbeitslosen heute zur Verfügung stehen, "meistens atypische Beschäftigungen". Gemeint sind befristete und Teilzeit-Stellen, Leiharbeit und Minijobs – häufig vermittelt durch das Jobcenter. Dies führe dazu, dass der Lebensunterhalt weiterhin nicht vollständig gedeckt werden könne. Oft folgten immer neue Phasen der Arbeitslosigkeit.

Das IAB widerlegte auch Linnemanns Faulheitsvorwurf. So resümierte es: 80 Prozent der sogenannten Langzeiterwerbslosen waren zwischendurch berufstätig, oft aber nur befristet und so gering entlohnt, dass sie es nicht oder nicht dauerhaft aus dem Leistungsbezug herausschaffen konnten.

Sachbearbeiter sollen Psychologe spielen

Die BMAS-Sprecherin erläuterte noch weitere Faktoren, die eine Jobaufnahme erschweren: körperliche und psychische Erkrankungen, Behinderungen, fehlende Betreuung für kleine Kinder oder die häusliche Pflege von Angehörigen. Auch mangelhafte Sprachkenntnisse dürften eine entscheidende Rolle als sogenanntes Vermittlungshemmnis spielen. Doch an Sprachkursen mangelt es genauso wie an Weiterbildungen.

Hier sollen also wie unter Hartz IV einfache Sachbearbeiter darüber entscheiden, welche Betroffenen zu welcher Arbeit fähig seien. Diese sollen also Erzieher, Arzt und Psychologe spielen – und Ungehorsamen anhand diverser Kann-Bestimmungen nach Bauchgefühl das Existenzminimum kürzen oder streichen können. Damit sind noch mehr soziale Verwerfungen vorprogrammiert, als es sie ohnehin schon gibt.

Die Mär von den explodierenden Bürgergeld-Kosten

Dem Medienbericht zufolge treiben diese schlechten Chancen nun die Bürgergeldkosten in die Höhe. Diese Mär wird seit vielen Jahren verbreitet – sie stimmt nur nicht. Teurer wird vor allem die Verwaltung.

Die im Bericht genannten 45,3 Milliarden Euro betreffen nämlich auch die Kosten für den ausufernden bürokratischen Apparat, der nicht zuletzt der Rundumüberwachung der Leistungsbezieher dient. An reinen Leistungen sind dieses Jahr knapp 30 Millionen Euro eingeplant. Zum Vergleich: 2010 flossen knapp 22,3 Milliarden Euro in die Hartz-IV-Bezüge

Nominal zahlte der Staat damit zwar knapp 35 Prozent mehr für diese Grundsicherungsleistung als 2010. Jedoch lag die Inflation allein in diesem Zeitraum bei 38 Prozent und somit höher. Die Preissteigerung bei Lebensmitteln und Energie, also den absoluten Grundbedürfnissen, war sogar noch gravierender. Inflationsbereinigt sind die Staatsausgaben für Bürgergeld- beziehungsweise Hartz-IV-Leistungen in den letzten 15 Jahren somit real gesunken.

Drohkulisse der Verelendung

Letztlich bleibt mal wieder festzustellen: Den Neoliberalen unter Kanzler Friedrich (BlackRock) Merz geht es vor allem um Profitmaximierung und Krisenmanagement auf dem Rücken der Lohnabhängigen. Dafür hebeln sie Grundrechte aus und prekarisieren den Arbeitsmarkt weiter. Mit einem Erpressungsinstrument, das euphemistisch "Grundsicherung" genannt wird, damit aber nur noch wenig zu tun hat, wollen sie Beschäftigte durch eine Drohkulisse der Verelendung noch gefügiger als ohnehin schon machen.

Und wie immer, geht es ihnen auch darum, von ihren eigenen politischen Untaten und den von ihnen geförderten tatsächlichen "Leistungsverweigerern" abzulenken: den millionen- und milliardenschweren Vorständen, Aufsichtsräten, Großaktionären, Lobbyisten, Think-Tank-Präsidenten und so weiter. Sie wissen: Solange die Bevölkerung mehrheitlich nach unten tritt, können sie oben schalten und walten wie sie wollen.

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