Auch Fehlen an Beweisen macht den Russen verdächtig – zum aktuellen Spionagewahn

Von Astrid Sigena
Diesen Montag begann in München der Prozess gegen drei Deutschrussen. Ihnen wird geheimdienstliche Agententätigkeit zu Sabotagezwecken vorgeworfen. Die drei Beschuldigten streiten die Tatvorwürfe ab und erklären diesbezügliche Textnachrichten mit Schauspielerei, Übersetzungsfehlern oder Ironie. Dieter S., der vor Jahren in Donezk für eine prorussische Einheit gekämpft hat, wird zusätzlich der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" bezichtigt (zur Absurdität dieser Einordnung siehe hier).
Angeblich handelt es sich – so der Bericht der Tagesschau – um sogenannte "Low-Level-Agents", zu Deutsch: "Wegwerfagenten", also Leute ohne geheimdienstliche Ausbildung, die – so die Mär – vom russischen Geheimdienst über Mittelsmänner im Internet für Sabotagemaßnahmen und Anschläge angeworben werden – aufgrund einer prorussischen Haltung oder auch für Geld.
Die Tagesschau, die über den Fall berichtet, gibt selbst zu, dass es sich in solchen Fällen nicht gerichtsfest beweisen lasse, dass ein russischer Geheimdienst der Auftraggeber gewesen sei, da kein direkter Kontakt zu den "Wegwerfagenten" bestehe. So könne Russland immer dementieren, etwas mit den verübten oder geplanten Sabotageakten zu tun zu haben. Dieser Mangel an Beweisen hindert den Sender jedoch nicht daran zu behaupten, dass Russland diese "Low-Level-Agents" anwerbe, um Angst und Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung zu schüren. Man kann für die drei Münchner Angeklagten nur hoffen, dass die Vorsitzenden Richter nicht ebenso nonchalant vorgehen, was die Beweislage betrifft.
Auch eine vorige Woche bei Phoenix ausgestrahlte ZDF-"Doku" stellt als eine besondere Perfidie der Russen dar, dass man ihnen nichts so recht nachweisen kann. Da hilft auch das Fragezeichen im Titel "Sabotage in Putins Auftrag?" nichts mehr, um sich das Mäntelchen der Seriosität umzuhängen. Denn man konzentriert sich im Folgenden ausschließlich auf die Moskauer Spur.
Ein Reporterteam von ZDF und Zeit hat angeblich monatelang recherchiert, um die russische Spur bei ganz unterschiedlichen Aktionen nachzuweisen: von Berliner und Pariser Graffitisprayern zu "Provokationen im öffentlichen Raum" (ganz schlimm!) bis zu mutmaßlichen Sabotageakten auf die kritische Infrastruktur. Alles in einen Topf geworfen. In Estland findet man dann endlich, was man so dringlich gesucht hat: den Auftraggeber eines Sabotageaktes mit früheren Verbindungen zum russischen Geheimdienst – das behauptet zumindest der estnische Geheimdienst KAPO (ab Minute 17.30 und 22.20).
Einer der herangezogenen "Experten" ist Gerhard Conrad, ein früherer Mitarbeiter des BND (merke: Es gibt keine Ehemaligen!). Conrad tat sich auch schon damit hervor, eine Verbindung zwischen Messerattacken in Deutschland durch Migranten und "aktiven Maßnahmen" als "gewaltsamen Provokationen" des russischen Geheimdienstes in alter KGB-Tradition herzustellen. Natürlich als reine Arbeitshypothese. Spekulieren darf man ja mal. Was bedarf es an Beweisen? Insinuieren reicht doch schon!
Es ist schon eine besondere Gemeinheit der Russen, auf Beweise zu pochen: "Dann setzt sich der russische Außenminister, Herr Lawrow, hin und sagt: 'Dann beweist das mal. Gerichtsfest.' Und wie häufig können Sie das gerichtsfest nicht beweisen? Und dann sagt er: 'Haltet den Mund!' Und: 'Fürchtet euch!' Das sagt er dann nicht mehr, aber genau diese Botschaft" (Zitat Conrad, Minute 7.40).
Diese "Expertisen" von Geheimdienstlern dienen letztlich dazu, die Feindschaft gegenüber Russland weiter zu schüren, das Gefühl zu erwecken, dass ein Krieg unausweichlich sei. Conrad: "Deutschland befindet sich nicht im Krieg mit Russland, aber Russland befindet sich im Krieg mit Deutschland. So einfach ist das. Zum Krieg brauchen Sie immer nur einen." (Minute 27.24)
Und auch diesen Mittwoch geht es weiter mit der Kampagne gegen Moskaus angebliche "Aushilfsagenten" und "Brückenköpfe". Und wieder ist das ZDF (diesmal in Verein mit dem Magazin Der Spiegel) vorne dran. Dieses angebliche Spionagenetzwerk tarne sich als Kulturvereine und Hilfsorganisationen, um die russische Diaspora zu beeinflussen. Und wieder diese russische Heimtücke: Die verdächtigen Personen achten darauf, "sich im Rahmen der Gesetze des Landes (zu) bewegen", wird "ein europäischer Geheimdienst" zitiert. Offenbar macht sich ein Russe verdächtig, wenn er besonders gesetzestreu ist.
Diesmal ist der Erfurter Blogger Juri E., der die Nachrichtenseite "Russkoepole" betreibt, Zielscheibe des Spionagewahns. Für den Spionageverdacht reicht es diesmal schon, dass er sich bei öffentlichen Veranstaltungen neben einem mutmaßlichen russischen Geheimdienstmann fotografieren ließ. Nach dieser Logik könnte man auch ZDF-Journalisten als Spione einstufen, sogar mit größerem Recht, denn diese haben sich nach eigenem Bekunden bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit Geheimdienstlern getroffen (Minute 9).
Auch die unter Sanktionen stehende russische Stiftung Pravfond, die Auslandsrussen Rechtshilfe finanziert, gerät unter Spionageverdacht. Dabei ist dieser Beistand gerade in Zeiten des grassierenden Antirussismus in Europa unentbehrlich geworden! Auch der AfD-nahe Verein Vadar, der sich ebenfalls um die Unterstützung von Opfern antirussischer Diskriminierung bemüht, wird in dem Bericht über den angeblichen Spionagering erwähnt. Merke: Wer sich für Russen einsetzt, macht sich verdächtig! So werden Russen immer mehr zu Parias, von denen man sich besser fernhält.
Den Münchner Angeklagten wird unter anderem vorgeworfen, für ihre geplanten Anschläge unter anderem einen Werkzeughersteller ins Auge gefasst zu haben, der Rüstungsgüter herstellt, sowie eine Bahntrasse, auf der Waffen für die Ukraine abtransportiert werden. Ihr Ziel sei es gewesen, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu sabotieren. Aus deutscher Sicht schwere Straftaten, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Und eine Anstiftung zur Destabilisierung Deutschlands vonseiten des russischen Geheimdienstes, sollte er darin verwickelt sein.
Deutsche Waffen töten Russen
Aber sind es aus der Sicht der Russen wirklich Verbrechen? Der Russen, über deren zu langsames Ausbluten der (damals noch designierte) Kanzler Merz sich im Interview ausgelassen hat? Der Russen, die sich noch gut an die ihnen durch Deutschland zugefügten millionenfachen Menschenverluste im Zweiten Weltkrieg erinnern – und sich ihrerseits nur über die Vergesslichkeit und Kaltschnäuzigkeit der heutigen Deutschen gegenüber russischen Opfern wundern können? Der Russen, deren Landsleute im Ukrainekrieg heutzutage wieder (auch) deutschen Waffen zum Opfer fallen?
Für die Russen sind womöglich eher die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine und weniger die Sabotageakte zu deren Verhinderung ein Verbrechen. Im Vergleich zur nochmaligen deutschen Aggression gegen Russland dürften dem russischen Geheimdienst die meisten der ihm zur Last gelegten bisherigen Vergehen als harmlos erscheinen. In russischen Augen wären Deutschland und NATO-Europa damit wohl noch gut weggekommen.
Umso schlimmer, wenn an den Vorwürfen gar nichts dran ist und Russland noch der Umstand zum Vorwurf gemacht wird, dass man seinen Geheimdiensten nichts nachweisen könne. Gilt sonst "in dubio pro reo" heißt es hier: Der Russe steckt immer dahinter! Auch und gerade, wenn er unschuldig ist.
Russische Botschaft: Man braucht einen Arzt
Gegen einen Wahn kommt man nicht an. Das muss auch die Botschaft der Russischen Föderation erkennen, die in ihrer Antwort auf eine ZDF-Anfrage schreibt: "Da die Mitarbeiter der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin über keine gründlichen beruflichen Kompetenzen in Bereichen Paranoia, Verfolgungswahn und Verschwörungstheorien verfügen, können wir Ihnen bei der Beantwortung der von Ihnen vorgebrachten 22 'Vorwürfe' kaum behilflich sein."
Arglistiger kann man kaum noch vorgehen, als es uns die deutschen Geheimdienste und Medien ständig vormachen: Mit tagtäglicher Propaganda wird vor der ach so gefährlichen russischen hybriden Kriegsführung Angst geschürt, Millionen Köpfe werden mit Hass auf die grausamen und heimtückischen Russen kontaminiert und so eine Kampagne für unbegrenzte Aufrüstung unterstützt. Das alles kann ein übles Ende nehmen.
Mehr zum Thema - Geheimdienst gibt Tipps: So erkennen Sie einen russischen Spion!
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.