
17. Sanktionsliste: Weiter so, mit kleinen Gefälligkeiten

Von Dagmar Henn
Da liegt es, das 17. Sanktionspaket der EU gegen Russland. Das 18. soll ja bereits in Arbeit sein. Und zusätzlich gibt es noch eine weitere Liste, die mindestens ebenso befremdlich ist und sich gegen die "hybride Bedrohung" richten soll. Und dann gibt es noch eine dritte Liste, vermeintlich auf Menschenrechtsverletzungen beruhend. Nicht zu vergessen, das ist aber schnell erledigt, Sanktionen gegen die russischen ABC-Truppen und deren Forschungseinrichtungen wegen angeblichen Einsatzes von Tränengas. Man war also sehr fleißig in Brüssel.
Fangen wir mit den harten materiellen Tatsachen an. Den wirtschaftlichen Sanktionen. EU-Außensprecherin Kaja Kallas pries das Ergebnis.

"Diese Runde Sanktionen gegen Russland ist die umfassendste seit Beginn des Krieges, zusammen mit neuen hybriden, menschenrechts- und chemiewaffenbezogenen Sanktionen. In dieses 17. Paket haben wir Surgutneftegas – einen russischen Ölgiganten – ebenso aufgenommen wie beinahe 200 Schiffe der russischen Schattenflotte. Während Putin Interesse am Frieden vortäuscht, sind weitere Sanktionen in Arbeit. Russlands Handlungen und jene, die Russland unterstützen, stehen vor ernsten Konsequenzen. Je länger Russland seinen illegalen und brutalen Krieg fortsetzt, desto härter wird unsere Antwort sein."
Gut, holen wir noch ein wenig Luft nach dem unvermeidlichen Lachanfall, denn: Wer weiß, ob sie nicht gerade mit diesem Paket mal nicht vor allem sich selbst schaden. Die Estin Kaja Kallas ist aber da vermutlich keine gute Ratgeberin – es sieht gerade so aus, als hätte Russland eine hübsche Gegenmaßnahme gegen die von Estland mit Begeisterung vorgenommenen Belästigungen jener vermeintlichen "Schattenflotte" gefunden. Die Festsetzung eines in Estland beladenen Tankers in russischem Territorialgewässer war da nur der Fingerzeig. Das wirkliche Problem scheint zu sein, dass die Gewässer vor der estnischen Küste voller Untiefen sind, die größeren Schiffen das Manövrieren fast unmöglich machen, weshalb sie bisher immer auf russische Gewässer ausgewichen sind. Nun, die Esten können es ja mal mit Lotsen und Schleppern versuchen; ob das hilft, ist allerdings ungewiss.
Aber zurück zur Liste. Natürlich beschäftigt sie sich mit Schiffen, allerdings auf andere Weise als die vorhergehende, die die einzelnen Schiffe aufführte. Nachvollziehbar; schließlich war damit überprüfbar, ob die Behauptungen der EU, diese Schiffe seien überaltert und nicht versichert, zutrafen (sie taten es nicht). Jetzt werden gleich ganze Eignergesellschaften sanktioniert, wie Eiger Shipping in Dubai, die Reederei Moonlight Shipmanagement, Cape Gemi Isletmeciligi in Istanbul oder Prominent Shipmanagement Ltd. in Hong Kong. Der Vorwurf? Schiffe, die russisches Öl transportieren. Die standardisierten Vorwürfe lauten dabei, sie seien "beim Transport von russischem Rohöl auf dem Seeweg an hochriskanten Schifffahrtspraktiken beteiligt" und "verfügen über keine angemessene Haftpflichtversicherung".
Das ist eine Form von EU-Humor. Immerhin ist das Monopol, das Lloyds in London einmal für Schiffsversicherungen hatte, ein Ding der Vergangenheit, seit es Brüssel gelang, die Versicherung dazu zu bringen, keine Schiffe mehr zu versichern, die russisches Öl transportieren.
Aber auf der gleichen Sanktionsliste, auf der die Firmen, die angeblich nicht versicherte Schiffe betreiben, sanktioniert werden, steht auch noch die Versicherung VSK.
"Insbesondere versichert JSC VSK russische Logistikunternehmen, einschließlich Transportschiffen, um die Ausfuhr von russischem Öl zu erleichtern, was eine zentrale Einkommensquelle für den Staatshaushalt der Russischen Föderation darstellt."
Man muss schon in Brüssel arbeiten, um das zu schaffen – gleichzeitig Schiffe zu sanktionieren, weil sie angeblich nicht versichert seien, und eine Versicherungsgesellschaft, weil sie derartige Schiffe versichert. Aber trotzdem hübsch, wenn sie sich selbst widerlegen.
Direkt darunter steht übrigens die Ölgesellschaft Surgutneftegaz. Die wird sanktioniert, weil "der Energiesektor, insbesondere Erdöl und Gas (…) der Regierung der Russischen Föderation erhebliche Einnahmen" verschaffe – der einzige Grund. Ob eine Gesellschaft, die in Sibirien Öl und Gas fördert, sich überhaupt dafür interessiert, was die EU sanktioniert oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Die Verhandlungen über Power of Siberia II dürften da ganz anderes Interesse auslösen.
Ja, und dann gibt es eine ganze Reihe russischer Firmen, die Drohnen oder Drohnenteile herstellen, die allerdings auch nicht den Eindruck erwecken, sie beabsichtigten, ihre Produkte demnächst im Westen zu verkaufen. Aber man kann es ja mal versuchen. Auch bei Rüstungsunternehmen – Tochterfirmen von Rostec stehen ebenfalls auf der Liste – wird derartige Sanktionierung kein Erschrecken auslösen: Selbst, wenn es der EU gelingen sollte, den möglichen Export dieser Produkte durch Sanktionen zu verteuern, waren die letzten drei Jahre ein derartig gigantischer Werbeclip für die russische Rüstungsindustrie, dass sich der Schaden auf jeden Fall in Grenzen halten dürfte.
Richtig nett wird die Liste aber dort, wo sie "grenzüberschreitend" wird. Also nicht nur, dass da im Schiffsbereich gleichsam rund um die Welt sanktioniert wird, auch die Minsker Traktorenfabrik ist auf der Liste. Und dann finden sich noch diverse chinesische Unternehmen, beispielsweise Shandong OreeLaser Technology Co., "ein chinesisches Unternehmen, das auf die Herstellung von Werkzeugmaschinen spezialisiert ist. Insbesondere über die russische Gruppe "Intervesp Company" bietet es auf dem russischen Markt Laserschneidemaschinen an. Solche Werkzeugmaschinen sind für den militärisch-industriellen Komplex Russlands erforderlich."
Ja, und die EU bezieht Schießbaumwolle aus China, wenn ich mich recht entsinne … das klingt ein wenig nach einem kleinen Geschenk an die deutsche Maschinenbaukonkurrenz; schließlich bedeutet das Auftauchen auf einer solchen Sanktionsliste, dass der Markt in der EU für dieses Unternehmen erst einmal versperrt ist.
Wo wir schon einmal bei Bonbons für spezifische EU-Staaten sind – die Franzosen haben sich auch ein nettes Präsent verpacken lassen. Auf der Liste zur "hybriden Bedrohung" findet sich etwa der – usbekische – Chef der Nachrichtenagentur African Initiative, der Chef der Mediengruppe International Afrique Media, Justin Blaise Tagouh, sowie ein Aktivist aus Togo namens Sylvain Afoua, der die "Ligue de défense noire Africaine" (Schwarzafrikanische Verteidigungsliga) gegründet hat.
Ja, wir reden hier nicht von Russen, wir reden hier auch von Staatsbürgern aus der Region, die in ihrem eigenen afrikanischen Land eine politische Position vertreten haben, die der EU – in diesem Falle vermutlich insbesondere Frankreich – nicht passt. Dieses Engagement hat sich selbstverständlich nicht vor allem um Russland oder die Ukraine gedreht, sondern um die Souveränität des eigenen Landes. Aber man kann es verstehen: Der Verlust des Kolonialpakts war für Frankreich sehr teuer, da wird man schon einmal nachtragend und nutzt jede noch so banale Möglichkeit, etwas heimzuzahlen.
Das gleiche Gefühl von Wunscherfüllung löst übrigens auch die Aufführung von "Voice of Europe" auf der Liste aus, zusammen mit Oleg Woloschin, Artem Martschewskij und Wiktor Medwedtschuk, die ukrainische Staatsbürger sind. Wobei im Falle von Woloschin der Kernvorwurf nicht mehr so ganz frisch ist: Er habe "am 11. Februar 2022 eine Veranstaltung im französischen Senat (Friedensprozess in der Ukraine: wie die Blockade lösen") einige Tage vor dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine" durchgeführt.
Martschewskij wird als "ehemaliger ukrainischer Politiker" tituliert, der mit Medwedtschuk zusammenarbeitet. Er habe "eine entscheidende Rolle in der Verbreitung abgestimmter Desinformation und einseitiger Narrative gespielt, die darauf abzielten, die außenpolitischen Interessen der Russischen Föderation zu unterstützen und ihren Einfluss zu verbreiten" und so weiter und so weiter – ohne die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass es eigentlich in der Ukraine, vor den jetzigen diktatorischen Zuständen, eine völlig legitime politische Vertretung jener Bevölkerungshälfte gab, die sich kulturell als russisch begreift. Dass die Genannten überhaupt außerhalb der Ukraine agieren, ist das Ergebnis der Bandera-Herrschaft in der Ukraine.
Allerdings, auch wenn in der Begründung der Sanktionen erklärt wird, es ginge um "Planung, Lenkung und Teilnahme an der Nutzung von Informationsmanipulation und Einmischung", und die Geschichte rund um "Voice of Europe" vor der letzten Europawahl hochgekocht wurde, dass heute jemand davon auf dieser Liste steht, ist wohl eher das Bonbon für die tschechische Regierung. Dort sind nämlich im Herbst Wahlen, und wie das gerade so ist bei Wahlen in Osteuropa, ist da kein Mittel zu schäbig, um EU-Linientreue zu sichern.
Wo wir schon einmal bei den Personen sind: Auf der Liste steht auch Julia Prochorowa. Vorgeworfen wird ihr unter anderem eine …
"… Kampagne in sozialen Medien, in der sie zur absichtlichen Energieverschwendung in Deutschland aufrief, mit dem Ziel, Russlands Aggressionskrieg zu unterstützen".
Das Ganze bezieht sich auf ein paar Videos im Jahr 2022, die damals so beschrieben wurden:
"In Videos schaltet sie Lichtschalter an und dreht ihren Herd auf. Dabei lächelt sie süffisant in die Kamera."
Wahrhaft erschütternd. Klar, dass da die EU sanktionieren muss.
Rechtliches Neuland hat die EU mit der Sanktionierung zweier deutscher Journalisten betreten, Thomas Röper und Alina Lipp. Vor allem deshalb, weil das deutsche Recht es nicht vorsieht, deutschen Staatsbürgern die Einreise zu verweigern. Soll da im Hintergrund eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft stattfinden? Oder kennen die deutschen Vertreter im Ministerrat den Artikel 11 Grundgesetz nicht mehr? Wobei, wenn man betrachtet, wie die drei oben erwähnten Ukrainer verbucht wurden, auch nicht mehr wirklich überraschend.
Überhaupt ist man, was die Kategorien betrifft, großzügig und scheint inzwischen die Sanktionspakete gegen Russland nach dem Prinzip "one size fits all" zu schnüren. Die Begründung für die Sanktionen gegen den türkischen Staatsbürger Hüseyin Dogru lautet nämlich, er habe "die Narrative radikal-islamistischer Terrorgruppen wie der Hamas" verbreitet; als konkretes Beispiel wird dann angeführt:
"Während einer gewaltsamen Besetzung einer deutschen Universität durch antiisraelische Aufrührer sprach sich Personal von RED mit den Besetzern ab, um Bilder ihres Vandalismus – darunter auch die Verwendung von Hamas-Symbolen – über ihre Online-Kanäle zu verbreiten, was ihnen eine exklusive Medienplattform verschaffte und die gewaltsame Natur des Protestes erleichterte."
Hier geht es um Gaza, nicht um die Ukraine, und um gewöhnliche Berichterstattung von Protesten. Egal, kommt auch mit darauf. Wie haben eigentlich die spanischen und irischen Vertreter darauf reagiert, die doch eigentlich in der Palästina-Frage nicht die genozidfreundliche deutsche Position einnehmen? Immerhin: In diesem Fall muss man sich nicht lange fragen, wer diesen Namen wohl auf die Liste gesetzt hat.
Ja, so geht es dahin, eben mit einer ganz eigenen Logik, die sich wohl nur dem Gläubigen erschließt. Die "Menschenrechtsliste" ist übrigens nicht besser. Nur ein kleines Beispiel:
"In ihrer Stellung als Richter des Twerskoj Bezirksgerichts in der Stadt Moskau weigerte sie sich, eine Klage gegen den Generalstaatsanwalt, Juri Tschaika, und den Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, anzunehmen, die von Alexei Nawalny und der Anti-Korruptionsstiftung eingereicht wurde. Nawalnys Klage gegen Juri Tschaika war einer von mehreren Versuchen, Juri Tschaika wegen Verleumdung zu verklagen, nach der Veröffentlichung eines investigativen Films durch Nawalnis Anti-Korruptionsstiftung, der Tschaikas Familienmitgliedern eine Beteiligung an illegalen Aktivitäten vorwarf."
Das muss man übersetzen. Das Filmchen war übrigens dieses, ich denke irgendwo in Deutschland, hergestellte KI-Produkt, das angeblich "Putins Palast auf der Krim" zeigen sollte. Wobei in der Beschreibung natürlich ein Zwischenschritt fehlt, denn im Grunde kann diese Verleumdungsklage keinen anderen Inhalt gehabt haben, als den vermeintlichen Verleumder zu belangen, weil dieser den vermeintlichen Aufklärer der Lüge bezichtigt hat.
Daraus dann eine Sanktionierung der Richterin abzuleiten, ist schon ziemlich dreist; als hätte eine vergleichbare Klage in einem anderen Staat auch nur den Hauch einer Chance. Da hat eine Bezirksrichterin eine Klage gegen den Staatspräsidenten nicht angenommen? In Deutschland werden noch ganz andere Verfahren eingestellt …
Die Nichtannahme einer Verleumdungsklage jedenfalls zählt für die EU, die tagtäglich an weiteren Zensurmethoden feilt, als "schwere Menschenrechtsverletzung in Russland, darunter die Freiheit von Meinung und Ausdruck, und Aktivitäten, die die Herrschaft des Rechts in Russland ernsthaft untergraben."
Wie gesagt, diesen Humor muss man verstehen wollen, zwischen Wahlannulierungen und Schwachkopf-Durchsuchungen. Auch bei den Wirtschaftssanktionen findet sich da noch ein schönes Beispiel: Das Staatsmuseum "Tauric Chersonese", ein Freiluftmuseum in Sewastopol, wird sanktioniert, weil …
"… seit der Annexion der Krim (…) das ukrainische Kulturerbe durch das Museum aktiv untergraben",
worden sei, indem …
"… prorussische Narrative über die kulturelle Bedeutung der vom Museum verwalteten Artefakte und Ausgrabungsstätten gefördert wurden".
Nein, nicht einmal in Sewastopol finden Ausgrabungen statt, um Verhältnisse zu bekunden, die erst seit 1992, und dann nur bis 2014, herrschten. Wie viel "ukrainisches Kulturerbe" in dieser Zeit aufgehäuft werden kann, ist ebenfalls eine interessante Frage. Aber die Lösung ist vermutlich ganz einfach – sie werden die Tafel aus der Ausstellung entfernt haben, auf der behauptet wird, die Ukrainer hätten das Schwarze Meer gegraben.
Immerhin, an einem Punkt ist man fast versucht, den zuständigen Schreibtischhengsten in Brüssel ein Lob auszusprechen – außer der Fortsetzung der Provokationen in der Ostsee findet sich kein weiterer Punkt, mit dem sich die EU-Staaten unmittelbar selbst schaden. Das hat wohl auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen inzwischen erkannt, weshalb sie für das nächste Paket, an dem schon gearbeitet wird, angekündigt hat, Nord Stream so zu sanktionieren, dass kein Teil davon je wieder in Betrieb gehen kann, solange es die EU gebe. Damit hat sie auf jeden Fall dafür gesorgt, den dieses Mal fehlenden Anteil an Selbstverstümmelung zu kompensieren.
Irgendwo kann man bestimmt auch darauf wetten, wie viele Sanktionspakete insgesamt benötigt werden, bis die EU auseinander- oder ökonomisch zusammenbricht. 20? 25? Wäre interessant, diesbezüglich den aktuellen Stand zu kennen. Ich würde mal sagen, 20 genügen.
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