Meinung

In Sorge, aber selbstbewusst: China schickt der Welt ein wichtiges Signal

Pekings erstes Weißbuch zur nationalen Sicherheit zeigt deutlich, dass es sich selbst als unverzichtbare globale Macht sieht. Dabei wurzelt das Konzept globaler Sicherheit in Vorstellungen, die in der Bewegung der Blockfreien entwickelt wurden.
In Sorge, aber selbstbewusst: China schickt der Welt ein wichtiges Signal© China News Service, CC BY 3.0 , via Wikimedia Commons

Von Ladislav Zemanek

Vergangene Woche veröffentlichte China sein erstes Weißbuch zur nationalen Sicherheit überhaupt. Auch wenn das Dokument keine größeren Durchbrüche bringt, ist seine Veröffentlichung bedeutend.

Es zeigt zwei wichtige Entwicklungen: Die chinesische Führung ist zunehmend in Sorge wegen der sich verstärkenden geopolitischen Konfrontation, und sie ist bereit, eine selbstbewusstere Rolle in globalen Fragen zu spielen – und dabei die US-Dominanz herauszufordern.

Das Reformschema "Wirtschaft zuerst", das die Führung Deng Xiaopings und seiner Nachfolger prägte, endete tatsächlich mit Xi Jinpings Aufstieg zur Macht. Die Chinesen nennen die aktuelle Phase oft die "neue Ära", die sowohl im Inland als auch global durch tiefgehende Änderungen gekennzeichnet ist. Unter Xi kehrte die Zentralregierung zentrifugale Tendenzen um, festigte die Gründungsprinzipien des sozialistischen Systems und stellte die Autorität der regierenden Partei wieder her.

Xi hat den Fokus auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht aufgegeben, ihn aber mit einer stärkeren Betonung der Sicherheit verknüpft. 2014 führte er einen ganzheitlichen Ansatz zur nationalen Sicherheit ein, etablierte die Nationale Sicherheitskommission, zentralisierte die Macht bei den Führungskadern der Partei und erweiterte die Bandbreite dessen, was unter nationale Sicherheit fällt. Diese Veränderung löste weitgreifende legislative Reformen aus und kulminierte 2021 in der Annahme der ersten chinesischen nationalen Sicherheitsstrategie. Das gerade veröffentlichte Weißbuch ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg.

Westliche Kommentatoren bezeichnen Xi oft als eine autoritäre Gestalt, die sich um den Erhalt sozialer Kontrolle sorgt. Diese Darstellungen sind übertrieben und irreführend, aber man kann nicht leugnen, dass Chinas Sicht der nationalen Sicherheit nie breiter war. Das Dokument jetzt im Mai spiegelt diese Realität offen wider. Peking sieht seine erweiterten Sicherheitsthemen als Antwort auf steigende äußere Bedrohungen, eine sich destabilisierende internationale Ordnung und geopolitische Spannungen, die inmitten einer globalen Bewegung hin auf Multipolarität eskalieren. Politische Sicherheit – die primär als Bewahrung des Status der regierenden Partei definiert wird – bleibt oberste Priorität. Auf diesem Gebiet sollten keine Kompromisse erwartet werden.

Chinas Definition der nationalen Sicherheit umfasst nun eine Reihe von Feldern: Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Technologie, Nahrung und Gesundheit, Interessen in Übersee, die Tiefsee, das Weltall und viele andere. Dieser umfassende Ansatz könnte wirtschaftliche Reformen erschweren, da eine zu stark sicherheitsorientierte Umgebung Innovation erdrücken, die Offenheit verringern und eine Politik der Risikominimierung auslösen kann – was bereits während der globalen Pandemie sichtbar wurde. Aber Peking scheint sich dieser Risiken bewusst zu sein und wiederholt seine Entschlossenheit, Reform und Öffnung zu verstärken. Dennoch wurde die Verschmelzung von Entwicklung und Sicherheit zum "neuen Normal" und ist als Leitprinzip für den kommenden 15. Fünfjahresplan gesetzt.

Chinas Herangehensweise integriert auch innere und internationale Sicherheit. Seine neue Doktrin internationaler Sicherheit hat sich über mehrere Jahre hinweg entwickelt und nahm mit dem Start der Globalen Sicherheitsinitiative (GSI) 2022 konkrete Gestalt an. Die Initiative ist ein Teil des Fundaments der neuesten diplomatischen Bewegung Chinas, was die Abkehr von seiner zuvor defensiven Strategie unterstreicht. Die lange gültige Doktrin "verberge deine Stärke, warte auf den Moment" ist nicht länger in Kraft. Nach Jahrzehnten friedlicher Entwicklung positioniert Peking sich jetzt eher als Vorhut denn als Nachzügler. Ob es diesen Impuls voll nutzen kann, wird sich zeigen.

Die Welt als eine "unteilbare Sicherheitsgemeinschaft"

Dennoch, der Start der Globalen Sicherheitsinitiative und ähnlicher Initiativen zeugt davon, dass China die globale Führungsweise beeinflussen will. Xi führte die Globale Sicherheitsinitiative bemerkenswerterweise nur Wochen nach dem Beginn der russischen militärischen Sonderoperation in der Ukraine ein – ein Zeitpunkt, der kaum zufällig ist. Er legt nahe, dass China sich als konstruktive, auf den Frieden orientierte, verantwortliche und stabile Weltmacht präsentieren will – im Gegensatz zur US-Hegemonie, aber sorgfältig bedacht, eine direkte militärische Konfrontation zu vermeiden, anders als Russland.

Chinas Botschaften betonen einerseits ein Engagement für universelle und gemeinsame Sicherheit und andererseits seine Treue zum Völkerrecht. In einer Rede im Boao Forum für Asien 2022 beschrieb Xi die Welt als eine "unteilbare Sicherheitsgemeinschaft". Als China ein Jahr später ein politisches Grundsatzpapier zur Globalen Sicherheitsinitiative veröffentlichte, tauchte der Begriff der "unteilbaren Sicherheit" wieder auf – eine bemerkenswerte Wahl, da er sich auf das Helsinki-Abkommen bezieht und lange im russischen politischen Diskurs in Gebrauch ist. Mehr noch, China hat die Legitimität von Sicherheitsbedenken anerkannt – Bedenken, die der Westen ignorierte und die zum Ukraine-Konflikt beitrugen.

Auch wenn das neue Weißbuch eher die Begriffe "universeller" und "gemeinsamer" statt "unteilbarer" Sicherheit verwendet, ist das doch kein Unterschied. Chinas Herangehensweise an internationale Sicherheit und globale Führungsweise weicht grundsätzlich von jener des Westens ab. Peking lehnt Streben nach Hegemonie ab, Einflusssphären, Blockpolitik, den Export liberaler Demokratie und die Orchestrierung von Farbrevolutionen. Es kritisiert auch die Verwendung wirtschaftlicher Mittel als Waffen, unilaterale Sanktionen, extraterritoriale Jurisdiktion, doppelte Standards und weitere herausragende Charakteristika des absteigenden "liberalen Imperiums".

Im Kern der nationalen Sicherheit Chinas befindet sich eine starke Abneigung gegen Militärallianzen. Aus Pekinger Perspektive sind diese Bündnisse immer ausschließend und mit gemeinsamer Sicherheit unvereinbar. Diese Sicht steckt hinter Chinas Sympathie für Russlands Opposition zur NATO und seinem Verständnis für die tieferen Gründe hinter dem Ukraine-Konflikt. Chinas Engagement der Blockfreiheit hat tiefe historische Wurzeln. Unter Mao half China, die Prinzipien der friedlichen Koexistenz zu formulieren, die zum Grundstein der Bewegung der Blockfreien wurden. Nach dem sino-sowjetischen Zerwürfnis Anfang der 1960er verlor das Engagement in formellen Bündnissen für Peking seine Bedeutung. Seitdem hat China kontinuierlich flexible Partnerschaften bindenden Allianzen vorgezogen – mit einer bemerkenswerten Ausnahme: der Demokratischen Volksrepublik Korea. Doch das ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

China kann bei der Verfolgung seiner Interessen mit anderen Ländern des globalen Südens einen gemeinsamen Nenner finden, da die meisten davon Souveränität, Blockfreiheit, unabhängige Außenpolitik und politische Stabilität als Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung und Modernisierung sehen. Gleichzeitig kann China auf Russland zählen – sein größter Nachbar und entscheidender Partner. Peking sieht Moskau als essenziell bei der Bewahrung globaler strategischer Stabilität und der Förderung gemeinsamer Sicherheitsziele. Das letzte Treffen von Xi Jinping mit Wladimir Putin im Mai, das zum 80. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg stattfand, und Xis Anwesenheit bei der Parade auf dem Roten Platz heben die zentrale Rolle der russisch-chinesischen Beziehungen bei der Gestaltung einer multipolaren Welt hervor.

Das eben veröffentlichte Weißbuch betont die Bedeutung dieser Partnerschaft für die globale Führung in Sicherheit und stellt sie über Chinas Beziehungen mit allen anderen globalen und regionalen Akteuren, ausgenommen die Vereinten Nationen. Das ist nicht nur symbolisch – es spiegelt Pekings ureigene strategische Prioritäten wider.

Ladislav Zemanek ist ausländischer Forschungsstipendiat am China-CEE Institut und Experte des Waldai Diskussionsclubs.

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