
"Wenn das der Widerstand ist, dann gute Nacht" – Nur maue Proteste gegen Kriegsvorbereitungen

Von Wladislaw Sankin
Am Dienstag hat der Deutsche Bundestag mit der dafür notwendigen Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung gestimmt. Damit wurde die Schuldenbremse aufgehoben und der Weg für ein Hunderte Milliarden schweres Schuldenpaket von Union und SPD frei gemacht – und das wider deren Wahlversprechen. Versuche der AfD, die Abstimmung mit einer Klage beim Verfassungsgericht und dann mit der Ausrufung des neuen Bundestages zu verhindern, scheiterten.

Das ganze Verfahren – von der Bekanntgabe über die mediale Aufbereitung bis hin zur Abstimmung – dauerte nur gut zwei Wochen. Der Coup fand im Eiltempo vor den Augen der erstaunten Öffentlichkeit statt. Die größte finanzielle Tragweite hat die Lockerung der Schuldenbremse für Ausgaben, die unter einen erweiterten Verteidigungsbegriff fallen. Dafür gibt es faktisch keine Kreditobergrenze mehr. Das bietet Kritikern wie dem BSW Gründe, von Kriegskrediten zu sprechen.
Dass es CDU-Chef Friedrich Merz in erster Linie um Kriegsvorbereitungen geht, hat er in seiner Bundestagsrede klargemacht. Im "Kasernenton" redete er von "Putins Angriffskrieg gegen Europa" und einem "Krieg gegen unser Land, der täglich stattfindet". Dies seien die "Umstände", die zu dieser "Generationen-Verschuldung" (wie er selbst zugibt!) zwingen. Kaum ist die neue Regierung an der Macht, stürzt sich das Land in Kriegshysterie und eine gefährliche Aufrüstungsspirale. Die naheliegende Frage, die sich dabei stellt: Was sagt denn die deutsche Friedensbewegung zu dieser Entwicklung?
In Berlin riefen mehrere Organisationen zu Protesten und Kundgebungen auf, wobei das BSW besonders aktiv war. Am Samstag fand eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor statt. Aufgetreten sind u. a. BSW-Außenpolitikerin Sevim Dağdelen und (überraschenderweise) eine Politikerin der Linkspartei, Gesine Lötzsch. Dağdelen prangerte die Entwicklung im gewohnten Tonfall an. Es haben sich maximal sechshundert Menschen versammelt.
Am Tag der Abstimmung fanden mehrere weitere Kundgebungen statt. Zu der einen haben gleich neun Organisationen ausgerufen, darunter die Friedenskoordination Berlin, die Naturfreunde und Pax Christi. Infrarot-Reporter Artur Buchholz dokumentierte die Aktion am sonnigen Vormittag mit einem Livestream. Er kam ein wenig verspätet, und als er sich der Kundgebung näherte, war deutlich zu sehen, dass es sich maximal 150 Personen in einer Menschentraube inmitten der Wiese vor dem Reichstagsgebäude versammelten. Offenbar waren sie allesamt Mitglieder und Aktivisten der Veranstalter, wie der Reporter später in einem RT-Gespräch sagte. Als er ankam, zog gerade eine Rednerin einen Vergleich zur Nazi-Zeit:
"Die deutsche Armee muss in vier Jahren wieder einsatzfährig sein. Die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsfähig sein. Von wem sind diese Sätze, wenn sie nicht von Pistorius sind? Sie sind von Adolf Hitler. Er sagte sie 1936 in einer Denkschrift zu einem Vierjahresplan. Und Hermann Göring kommentierte diese Denkschrift mit folgendem Ausspruch: Sie geht vom Grundgedanken aus, dass die Auseinandersetzung mit Russland unvermeidbar ist."
Die Sowjetunion habe Deutschland damals nicht angegriffen, und es sei auch jetzt absurd zu behaupten, dass Russland das vorhabe, so die Rednerin weiter. Dafür gab es Applaus. Der nächste Redner trat mit Kritik an der Militarisierung von Forschung und Hochschulwesen auf. Auch hier fielen viele treffende Sätze. Einer nach dem anderen traten die restlichen Redner auf, bis die Veranstaltung mit dem Satz "Kein Blankocheck fürs Militär. Wir hoffen, wir wurden gehört da drüben" beendet wurde. Der Reporter konnte seine Enttäuschung kaum verbergen und zog dazu seine Bilanz in seiner gewohnt bissigen Art:
"Es war Reinfall hoch drei. Wenn das der Widerstand ist, dann gute Nacht. Ja, das war es, alles Freizeitredner. Das war echt mau, ein paar Leute, die denken, sie wären Aktivistendarsteller. Diesen Schwachsinn hätten sie sich noch sparen können. Die im Bundestag lachen sich doch kaputt, wenn sie sehen, was hier auf der Wiese zusammengekommen ist."
"Die Reden, weil es so wenige Leute gab, hatten keine Zugkraft. Die Protestaktion wirkte wie die Pflichtversammlung eines kleinen örtlichen Vereins. Die breite Masse verharrt weiterhin in der Duldungsstarre", sagte Buchholz im anschließenden RT-Gespräch. Der Reporter und Podcaster weiß, wovon er redet. Er und sein Kollege Jens Zimmer senden seit Jahren Livestreams von Demos und Kundgebungen und kennen sich mit verschiedenen Protestmilieus gut aus.
So hat man in der 🇩🇪 Hauptstadt am 18. März gegen #Grundgesetzänderung für die Aufnahme der #Kriegskredite protestiert. Eine #BSW-Aktion, eine Schüler-Gruppe und eine Wiesenkundgebung mit 150 Teilnehmern, veranstaltet vo neun Organisationen (s. Video) https://t.co/BW6EJGAdqz… pic.twitter.com/L3GkjMHJJb
— Wlad Sankin (@wladsan) March 20, 2025
Allerdings war es nicht so, dass es in diesen Tagen gänzlich an Protestaktionen gefehlt hätte. So fand am 13. März eine Kundgebung "Nein zu Grundgesetzänderung" direkt vor dem Paul-Löbe-Haus statt. Versammelt haben sich einige Dutzend Menschen. Zimmer berichtete:
"Es ist schockiedend, wie wenige Leute angesichts der Situation hier erschiehen sind. Wären es das Hundertfache, dann wäre es immer noch wenige. Und überwiedend ist es wiederum die ältere Generation, die hier steht."
Eine junge Frau trug weiße Engelsflügel auf dem Rücken. Es wimmelte von kreativen Plakaten und Bannern, die Menschen wie Wächter stoisch hochhielten. Die Reden wechselten sich mit musikalischen Einlagen ab – bekannten Antikriegsliedern deutscher und US-amerikanischer Liedermacher. Die Protestaktion war zeremoniell durchdacht. "Stoppen Sie die Aufrüstung und unternehmen Sie alles in Ihrer Macht Stehende, um die Lösung in Konflikten zu finden!", las eine Rednerin ihren Appell von einem DIN-A4-Blatt ab. Wurde die Stimmung durch rockige Klänge und Reden an diesem trüben Tag munterer? Der Reporter wandte sich an die Versammelten mit der Frage: "Was glauben Sie, warum so wenige Leute hier sind?"
Diese Kungebungen vor dem Parlamentsgebäude Paul-Löbe-Haus wenige Tage vor der historischen Abstimmung im #DeutschenBundestag konnten die Grundgesetzänderung nicht verhindern. Wurden sie überhaupt von den Herrschenden wahrgenommen? #Kriegskredite#Militärisierung. Video:… pic.twitter.com/8MVZn275gQ
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Zwei Gesprächspartner sagten, dass die arbeitenden Menschen an einem Werktag keine Zeit hätten zu kommen. Ein Aktivist im Frührentenalter machte die Manipulation der herrschenden Klasse dafür verantwortlich:
"Die herrschende Klasse hatte hundert Jahre Zeit, Propaganda zu entwickeln. Und das Ergebnis ist, dass die Leute nicht den Blick vom Fernsehen wenden. Sie sind gebannt von diesem Geflimmer. Das ist Schlafmittel für die Leute. Die Propaganda ist übermächtig. Und wer berichtet über unsere Stimme? Wer hört da überhaupt hin?"
Ein deutlich älterer Herr sah es ähnlich. "Die jüngere Generation ist nur mit Propaganda konfrontiert." Zu Veranstaltungen wie diese kämen deshalb vor allem die Älteren, weil sie noch während oder kurz nach dem Krieg lebten und diese Erfahrungen noch gemacht hätten. Ein Schmied, der mit einem aus Metall geschmiedeten Plakat "Abrüsten statt Aufrüsten" kam, erklärte die Schwäche der Friedensbewegung mit ihrer Zersplitterung in kleinere, miteinander verfeindete Gruppen. Man streite nicht nur um die Sache, was ja okay sei, sondern auch miteinander. Hinzu komme noch das Radio, das die Menschen täglich mit Propaganda beschalle, dass "der Russe vor der Tür" stehe. "Fühlen Sie sich von den Russen bedroht?", fragte der Reporter.
"Ich fühle mich von der Dummheit und dem Wahnsinn bedroht", sagte der Schmied.
Eine Rentnerin, die zum Schluss befragt wurde, widersprach der Meinung, dass die Friedensbewegung nicht aktiv sei. "Wir sind drei Gruppen. Und wir sind extra aus Braunschweig hierhergefahren, um hier präsent zu sein."
Auch wäre es falsch zu behaupten, dass junge Menschen in diesen Tagen im Parlamentsviertel gar nicht in Erscheinung getreten seien. Am Tag der Abstimmung protestierte auch eine Schülergruppe auf der Wiese. Ihren Plakaten zu entnehmen, war eine pazifistische Einstellung ihr Hauptbeweggrund. "Jugend verweigert" und "Nein zur Wehrpflicht" stand auf den Plakaten. Laut dem neuerlichen Mantra der deutschen Politik kann Russland einen heißen Krieg gegen Europa schon in vier Jahren beginnen. Gerade zu jener Zeit erreichen sie das Wehrdienstalter.
Doch dieser Verweigerungshaltung mangelt an einer politisch-ideologischen Komponente, die entscheidend ist. Wie ein weiteres Plakat "Kein Gott, kein Herr, kein Vaterland. Desertieren!" zeigte, liegt ihr bloß eine anarchistische Einstellung zugrunde. Kann man damit zum Idealismus neigende Jugendliche erreichen? Wie das vor wenigen Tagen ausgetragene Duell bei Hart aber Fair zwischen einem "egoistisch" argumentierenden Wehrdienstverweigerer und einem von seiner Mission überzeugten Bundeswehr-Influencer zeigte, kann diese Haltung beim Kampf um die Seelen durchaus verlieren. "Für mich ist es wert, für Deutschland zu kämpfen", sagte der redegewandte Jungoffizier. Nur: Für Menschen wie ihn wird Deutschland nun am Dnjepr und im litauischen Rūdninkai verteidigt.
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