
Unzivilisierte, gewalttätige Russen - Bundeswehr wärmt rassistische Klischees auf

Von Astrid Sigena
Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) veranstaltete am 12. Februar 2025 eine Podiumsdiskussion zum Thema "Illegitime Gewalt in Russlands Kriegen". Sie kann auf YouTube angeschaut werden.
Schon die einführenden Worte des stellvertretenden Kommandeurs des ZMSBw, des Schotten Prof. Dr. Dr. Alaric Searle, zeigen, wohin die Reise geht. Er halte die aus der Ukraine dringenden Schilderungen russischer Kriegsverbrechen für glaubwürdig, weil er sich schon seit Jahren mit den russischen Streitkräften befasse, sowohl mit denen der Zarenzeit als auch den gegenwärtigen. Die Ursachen der entgrenzten Gewalt in der Ukraine durch die russische Armee lägen in der russischen Militärgeschichte und in der russischen Gesellschaft. Wir müssten in Deutschland lernen, mit dieser Realität umzugehen und auch darüber zu sprechen (warum, wenn wir doch keinen Krieg gegen Russland vorhaben, verrät er nicht).

Angenehm unvoreingenommen und sehr aufschlussreich ist (abgesehen von der obligatorischen Erwähnung Butschas am Anfang) der Impulsvortrag von Prof. Dr. Sönke Neitzel "Was sind und zu welchem Ende studiert man militärische Gewaltkulturen?" Er betont, dass sich nationale Gewaltkulturen auch immer wieder ändern können. Briten und Kanadier hätten zum Beispiel eine ähnliche militärische Organisationsstruktur gehabt. Dennoch hätten die Kanadier im Zweiten Weltkrieg weitaus mehr Kriegsverbrechen (im Landkrieg) begangen als die Briten.
Im Ersten Weltkrieg seien hingegen die Briten (und gerade die Schotten) noch für massenhafte Erschießungen deutscher Kriegsgefangener berüchtigt gewesen. Neitzel erklärt diesen Wandel mit dem einzigartigen Phänomen der britischen Öffentlichkeit, die zwar Kriegsverbrechen im Moment des Geschehens nicht habe verhindern können, aber durch ihre darauffolgende Empörung künftige Kriegsverbrechen verhindert habe. Hier erhält diese Veranstaltung ihren Sinn, denn der Zweck der Beschäftigung mit Gewaltkulturen muss ja lauten: Wie können wir Kriegsverbrechen in Zukunft verhindern? Die Stellungnahme der Öffentlichkeit (oder auch ihr Fehlen) ist ganz offensichtlich ein wichtiges Kriterium.
Nach Neitzels Vortrag fiel das Niveau bei der anschließenden Podiumsdiskussion aber schnell wieder ab. Besonderes Missfallen erregte in der Diskussionsrunde der russische Begriff мирные жители (mirnije schiteli), wörtlich übersetzt "friedliche Bürger", der im Russischen dem deutschen "Zivilbevölkerung" entspricht (die eigentliche russische Entsprechung lautet гражданские лица [zivile Personen] oder einfach гражданские [Zivilisten] – sie wird aber in der Diskussion nicht erwähnt; ein aktuelles Beispiel für den journalistischen Gebrauch der beiden Begriffe im Russischen findet sich in diesem Bericht ["Мирные жители Селидова рассказали, как ВСУ расправлялись с гражданскими"] über das Schicksal der Bewohner von Selidowo).
Gleich zwei Diskutanten, sowohl Dr. Sabine Fischer als auch Dr. Frank Reichherzer, sprechen von diesem russischen Begriff, als wollten sie ihn nur mit spitzen Fingern anfassen. Was an diesem Begriff so anders ist, inwiefern er negativer ist als das deutsche "Zivilbevölkerung", bleibt unklar. Reichherzer erklärt immerhin, Soldat und Zivilist hätten einen ganz anderen Status, während im Russischen von "friedlich" und von "kriegerisch" geredet werde, was eine ganz andere Haltung impliziere. Der Zuhörer kann nur schlussfolgern, dass Zivilisten – schon aufgrund der sprachlichen Verhältnisse – einen geringeren Schutzstatus in der russischen Militärkultur hätten. Es war in Potsdam keiner so frei, darauf hinzuweisen, dass die Leningrader trotz des feineren deutschen Ausdrucks für "Zivilbevölkerung" 1941 von der Wehrmacht eiskalt dem Hungertod überlassen wurden. Aber vielleicht reicht es auch schon, den trefflicheren Begriff zu haben, man braucht ihn dann gar nicht zu verwirklichen.
Überhaupt ist es peinlich, der Diskussion zuzuhören. Es fehlt einfach die russische Perspektive, es fehlen die Forschungsberichte russischer Wissenschaftler. Es fehlen die Teilnehmer vonseiten der russischen Entsprechung des früheren militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Man nimmt während dieser Veranstaltung Russland wie einen toten Frosch auf dem Seziertisch auseinander. Man bemüht sich zwar zu betonen, wie sehr man Essentialismus (also Vorurteile à la "Die Russen sind halt so") ablehne, verfällt aber doch immer wieder in diese Untugend. Das kann ja auch gar nicht anders sein, weil eben das russische Gegenüber als Gesprächspartner fehlt. In Potsdam gilt: Die Russen sind und bleiben die anderen.
Richtiggehend rassistisch wird es eigentlich fast immer, wenn Prof. Dr. Jan C. Behrends zu Wort kommt. Seine Einseitigkeit wird schon am Ukraine-Anstecker an seinem Jackett deutlich. Ach ja, der Mythos von den geraubten Waschmaschinen wurde auch reaktiviert. Und dann legt Behrends los: Prozesse der Entmenschlichung und der Entrechtlichung seien in der Sowjetunion nie wirklich an ihr Ende gekommen. Unter Gorbatschows Perestroika habe es die "oktroyierte Zivilisierung" gegeben, also dass man von oben versucht habe, die sowjetische Gesellschaft ein Stück weit zu zivilisieren. Das sei aber ganz offenkundig gescheitert. (Da haben wir es wieder! Also sind die Russen weniger zivilisiert als wir; vielleicht auch gar nicht zivilisiert.) Es sei aber nicht so, dass man nicht trotzdem aus dieser Kontinuität ausbrechen könne. Und das Beispiel, dass man daraus ausbrechen könne, sei ja gerade die Ukraine. Die Ukraine kämpfe ja nicht so wie Wladimir Putins Russland. (Bei diesen Äußerungen wurde es sogar Dr. Fischer zu viel, die sich später im Gespräch für die russische Gesellschaft zumindest der 90er-Jahre ins Zeug legte.)
Behrends, der noch ganz erbaut von einer Ukraine-Veranstaltung in der schwedischen Botschaft kommt, berichtet von einem Gespräch mit einer ukrainischen Offizierin aus dem Donbass, einer Drohnenpilotin. Sie bestätige das, was man aus den Nachrichten kenne, die Entmenschlichung der russischen Armee, dass sie sich nicht um ihre Toten und ihre Verwundeten kümmere, dass diese von den Ratten gefressen würden. Sie verspreche ihren 30 Männern, dass keiner von ihren Leuten da liegen bleibe. (Wenn sie das wirklich verspricht, ist sie entweder eine Lügnerin oder dumm, jedenfalls gefährlich.)
Denn es war bereits im Ersten Weltkrieg so, dass verwundete Soldaten tagelang im Stacheldraht hingen und nach ihrer Mutter riefen und von ihren Kameraden nicht gerettet werden konnten, weil die feindlichen Scharfschützen das verhinderten. Und im jetzigen Drohnenkrieg hat sich das noch einmal verschärft. Wenn doch noch ein Verwundeter geborgen werden kann, ist das ein Wunder, das zu Recht tagelang in den Medien gefeiert wird. Wenn jemand behauptet, das erzwungene Im-Stich-Lassen eines Kameraden sei ein rein russisches Problem, verleugnet er die durch die technischen Entwicklungen zwangsläufig gewordene Unerbittlichkeit der modernen Kriegsführung, ja bereitet schon den kommenden Krieg vor: Denn wir würden ja nie so unzivilisiert wie die Russen handeln, wir würden menschlicher Krieg führen, nicht wahr?
Natürlich muss auch der angeblich in der russischen Gesellschaft unter Putin grassierende Sexismus und Chauvinismus Erwähnung finden, der Gleichgesinnte aus dem Westen anlocke, so Dr. Fischer. Die Ukraine werde im russischen Diskurs mithilfe von Vergewaltigungsmetaphern herabgesetzt, so Forschungen aus feministischer Perspektive. Dieses Sprechen über die Ukraine als Vergewaltigungsopfer eröffne in der Folge auch Handlungsräume. Dementsprechend seien die von der UNO dokumentierten Fälle von Vergewaltigungen durch russische Kombattanten nur die Spitze des Eisbergs. Sexualisierte Gewalt sowohl gegen Männer als auch gegen Frauen werde von russischer Seite als Kriegswaffe eingesetzt. Es gebe zwar auch Vergewaltigungen russischer Kriegsgefangener durch die ukrainische Armee, russische Frauen seien davon aber nicht betroffen (von Fällen wie in Russkoje Poretschnoje im Kursker Gebiet weiß sie anscheinend nichts – oder will sie nichts wissen).
Dazu passt, dass auch diesmal wieder Dr. Kristiane Janeke mit von der Partie ist, die dem angeblichen russischen Chauvinismus schon in einem Interview ("Krieg und Geschlecht in der Ukraine") mit Gender Advisor Sabine Barz schon hinreichend Raum geboten hatte. Dem Transkript zufolge lassen sich die beiden Damen über die chauvinistische russische Kultur aus, deren Zuschreibungen von Geschlechterbildern dem russischen Mann die Rolle als Soldat zukommen lasse, der russischen Frau hingegen die Trinität von Kindern, Küche, Kirche. Die russische Gewalt, die man jetzt in der Ukraine zu sehen bekomme, sei nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern habe ihre Wurzeln im gewaltvollen Erbe Russlands. Gipfel des Gesprächs war die geradezu backfischartige Schwärmerei der beiden Bundeswehrangestellten für "Präsident Selenskij", der – im Gegensatz zu Präsident Putins männlichkeitsfixierter Außendarstellung – sich als Mensch gebe, der auch mal Schwächen zeigen dürfe.
Diesmal durfte sich Dr. Janeke unter anderem über die russische Erinnerungskultur auslassen – und über die sowjetischen Ehrenmale in der BRD. Man merkte ihr das Bedauern an, diese aus rechtlichen und historischen Gründen nicht einfach abreißen zu können.
Russen als (vermeintliche) Kriegsverbrecher scheinen ein Modethema geworden zu sein, denn fast gleichzeitig zur Potsdamer Podiumsdiskussion fand in Nürnberg ein zweitägiger Kongress statt, der sich vornehmlich diesem Thema widmete (RT DE berichtete). Der zwei Tage andauernde Kongress wurde auch im Livestream übertragen (hier und hier). Bedauernd müsse man feststellen – so die Völkerrechtsprofessorin Angelika Nußberger, eine prominente Teilnehmerin des Kongresses –, dass die alte Faustregel "Russia always pays" (die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg) keine Gültigkeit mehr besitze. Überhaupt gab man sich in Nürnberg weitgehend hilflos, auch wenn man ein Tribunal gegen Russland forderte: Die politische Annäherung der beiden Präsidenten Donald Trump und Putin hatte der "lebendigen Menschlichkeit" (so der Titel des Kongresses) die Stimmung gründlich verdorben.
Die genannten Veranstaltungen wirken seltsam aus der Zeit gefallen: Während der Rest der Welt nach Wegen aus dem Dilemma des Ukrainekriegs sucht, arbeitet man sich in Deutschland in staatlichen oder staatliche geförderten Veranstaltungen von Berlin bis Brandenburg immer noch am Feindbild Russland ab. Zukunftsfähig ist das nicht.
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