
Deutsche Presse tief im Schützengraben: "Rückkehr vom Fronturlaub"

Von Dagmar Henn
"Krieg ist zuerst die Hoffnung, dass es einem besser gehen wird, hierauf die Erwartung, dass es dem andern schlechter gehen wird, dann die Genugtuung, dass es dem andern auch nicht besser geht, und hernach die Überraschung, dass es beiden schlechter geht."
Karl Kraus
Es war schon das ganze letzte Jahrzehnt so, als hätten die Schreiber der deutschen Journaille mit Sicherheit nie Erich Maria Remarque gelesen, aber in den letzten Tagen wirken sie so, als hätte man sie mit täglichen Lesungen von Ernst Jüngers "Stahlgewitter" herangezogen. Sie nähern sich einer Sprache, die bis tief in den Wortschatz hinein militarisiert ist. Wenn die FAZ einen Kommentar zu den wahnwitzigen Rüstungsplänen der künftigen MicroKo (Große Koalition kann man das ja nicht mehr nennen) mit dem Titel "Deutschland ist zurück aus dem Fronturlaub" versieht, reiht sich das willig ein hinter Pickelhaube und Stahlhelm, als hätte sich die Welt nichts sehnlicher gewünscht als eine Rückkehr des deutschen Militarismus.

Das hat selbst mit der Bundesrepublik, in der ich einmal aufgewachsen bin, nichts mehr zu tun. Trotz der unzähligen Kalten Krieger wurde damals noch von einer durchaus relevanten Gruppe der Bevölkerung (darunter auch große Teile der Gewerkschaften) schon der Kommentar eines Fußballspiels mit Misstrauen betrachtet, wenn er zu sehr an Frontberichterstattung erinnerte. Das wirklich Abscheuliche allerdings kann man heute beobachten: Frontberichterstattung, als ginge es um ein Fußballspiel.
Dabei konnte man am 20. Januar drei Kreuze machen, dass man die Ära Joe Biden überlebt hatte. Das war mehr als einmal reichlich knapp. Aber Presse und Politik in Westeuropa benahmen sich weitgehend so, als hätte man ihnen mit dem jederzeit möglichen Untergang ihr liebstes Spielzeug weggenommen, das man jetzt unbedingt wieder zurückhaben will. Vielleicht ist ihr Leben ja so unsäglich langweilig.
Es ist schon verblüffend, mit welcher Geschwindigkeit jetzt das Thema einer deutschen Atombombe auftaucht. "Braucht Deutschland jetzt eine Atombombe?", fragt der Spiegel und spielt dann Varianten durch, mit Frankreich oder Großbritannien, oder eben mit einem eigenen deutschen Modell ... Aber in diesem Text steht nichts mehr vom Zwei-plus-Vier-Vertrag, in dem auf eine solche Bewaffnung ebenso verzichtet wurde wie auf biologische und chemische Waffen. Scheint egal zu sein, schließlich gab es ja auch schon diese Biolabore in der Ukraine, die im Auftrag der Bundeswehr forschten ...
Ja, es gab immer wieder Anläufe zu dieser deutschen Atombombe. Den ersten übrigens noch während des Zweiten Weltkriegs, immerhin waren die führenden Atomphysiker damals Deutsche, die Raketenwissenschaftler auch. Wenigstens an diesem Punkt könnte man heutzutage entspannt sein. Das damalige Deutschland war ein wissenschaftlicher Gigant. Das heutige? Alles hat eben seine Vor- und Nachteile.
"Rein technisch gäbe es wohl keine unüberwindlichen Hürden, die einem deutschen Atomwaffenprogramm entgegenstünden. Selbst Ländern wie Nordkorea und Iran ist das gelungen, auch wenn sie bei Weitem nicht über dieselbe industrielle Basis verfügen und nicht einmal annähernd so viel Erfahrung mit kerntechnischen Anlagen haben. Das dafür notwendige Wissen ist in Deutschland trotz des Atomausstiegs noch vorhanden."
Aber, schreibt das Magazin dann mit spürbarem Bedauern, "die Ablehnung eigener Atomwaffen ist Teil der politischen DNA dieser Republik", und eine Kehrtwende würde international politische Glaubwürdigkeit kosten. Als wäre davon nach Annalena Baerbock noch viel übrig.
Nein, keine Sorge, die Grünen werden schon bald lernen, die Bombe zu lieben, selbst wenn sie Kernkraftwerke weiter ablehnen. Bei einem wie Roderich Kiesewetter von der CDU kann es ohnehin nicht laut genug Bumm machen.
Schon im April des vergangenen Jahres, das ist die eine wirkliche Information, die die ganze Spiegel-Suada enthält, habe es Gespräche zwischen Berlin, Paris und London gegeben, die letztlich auf irgendetwas zwischen einem europäischen Militärpakt und einer europäischen Armee hinausliefen. Das erklärt natürlich auch, warum jetzt dieses Thema so schnell in Blei gegossen wird (man verzeihe mir die antiquierte Metapher aus der Zeit des Bleisatzes), nicht nur beim Spiegel.
Nein, auch die Zeit steht Computer bei Fuß und fantasiert über "La Boom" und "die Atommacht Frankreich" als "Vorbild für Europa". Paris richte seine Hoffnung auf Friedrich Merz, wird dort berichtet.
"Ein designierter deutscher Kanzler, noch dazu ein Christdemokrat, der das Bündnis mit den USA infrage stellt und mit Frankreich über einen nuklearen Schutzschirm sprechen will – niemals hätte er sich so etwas vorstellen können, sagt der französische Premierminister François Bayrou. Frankreichs Europaminister Benjamin Haddad spricht gar von einem 'historischen Moment'."
Und die FAZ? Die mit dem Fronturlaub, der nun beendet sein soll?
"In dieser Lage darf das noch freie Europa nicht länger nur kleckern und meckern, sondern muss klotzen. Das gilt besonders für das bevölkerungsreichste und – wenn es sich endlich nicht länger selbst fesselt – wirtschaftlich potenteste Land im Zentrum des Kontinents."
Das mit der wirtschaftlichen Potenz ohne günstige Energie ist so eine Sache, aber dass die gesamte Bagage einige grundsätzliche Zusammenhänge auf diesem Gebiet nicht verstanden hat, wurde in den letzten Jahren zur Genüge vorgeführt. Dieser Tonfall jetzt, dieses Feldwebelschnarren, das ist noch ein anderes Thema:
"Deutschland muss Putin in jeder nur denkbaren Weise zeigen, dass es den eisernen Willen hat, sich im Ernstfall mit aller militärischen Macht zu verteidigen."
Da ist gar nichts zu diskutieren, nicht nur in den Koalitionsverhandlungen, sondern auch in den Redaktionsstuben, die wahnwitzige Aufrüstung muss sein, strittig sind nur, wo bei den Sozialleistungen geholzt werden und ob die Grenze nicht doch offen bleiben soll. Währenddessen wird das Geschrei über die vermeintliche "Solidarität mit der Ukraine" noch eine Tonlage schriller. Der Stern hat das gleich in ein Titelbild gegossen:

"Was Trumps Verrat an der Ukraine für uns bedeutet". Das fasst den Tonfall gut zusammen. Jede Bemühung, den Krieg zu beenden, ist Verrat. Nur die erbarmungslose Fortsetzung ist wünschenswert.
Als kleines Mädchen haben mich die verstümmelten Männer, denen man damals noch überall begegnen konnte, zutiefst entsetzt. Die mit Sicherheitsnadeln hochgesteckten Jackenärmel. Die Bilder, die man heute aus der Ukraine sehen kann, sind noch weitaus schrecklicher. Wenn man die Aufnahmen von menschlichen Körpern sieht, die schon halb in der Erde verschwunden sind, nur noch Knochen in zusammengefallenem Tarngewand, oder einen Leib, an dem ein wilder Hund zerrt, dann ist es egal, auf welcher Seite der Lebende stand, am Ende ist das immer ein Verlust, eine beendete Möglichkeit. Der Trick ist natürlich, dass all die begeisterten Krieger an ihren Schreibtischen schon diesen Bildern ausweichen und alles tun, um nicht wahrzunehmen, dass es dabei um Menschen aus Fleisch und Blut geht.
Eigentlich müsste man es verbieten, solche Artikel zu schreiben, solange jemand derart der Empathie entbehrt. Man hätte glauben sollen, dass es sich in Deutschland tief genug eingegraben hat, dass sie alle den Geruch noch in der Nase haben müssten. Sicher, in den Jahren nach dem Vietnamkrieg, der noch auf allen Fernsehschirmen zu sehen war, wurde gut aufgepasst, dass der reale Schrecken nicht zu sehen ist. Aber es gibt das Internet, und in diesem Berufsstand muss man sich schon anstrengen, nicht über die echten Bilder zu stolpern. Nicht eingehämmert zu bekommen, wie zerbrechlich das menschliche Leben ist.
Nein, bei ihnen läuft Richard Wagners Walkürenritt in Endlosschleife. Als wären sie von Geistern aus der deutschen Vergangenheit in Besitz genommen worden, aus beiden Weltkriegen gleichzeitig, und müssten nun noch einmal auf Pferdeskeletten und in Panzerwagen von VW den Ostlandritt antreten. Das ist es, was vom Fronturlaub zurück ist, als wäre es nie fort gewesen, ohne jedes Erbarmen wie ohne jeden Gedanken, eben so, wie es im Volksmund einmal hieß: flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl – und dumm wie Bohnenstroh.
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